Wieso ist eine Behindertenwerkstätte nicht rollstuhlgerecht?

vom 15.01.2014, 13:51 Uhr

Wie mein Nickname schon sagt, sitze ich im Rollstuhl. Aus mehreren verschiedenen Gründen sollte ich dann in einer Behindertenwerkstätte wieder anfangen, mich in den Arbeitsalltag einzufinden. Als ich dann das erste Mal die Betriebsstätte der Werkstatt besichtigte, fiel ich aus allen Wolken, denn wie jeder andere auch war ich davon ausgegangen, dass eine Behindertenwerkstätte automatisch auch rollstuhlgerecht eingerichtet ist, denn dies ist ja eine der häufigsten Behinderungen.

Tatsächlich war dies bei dieser riesengroßen Behindertenwerkstätte aber nicht der Fall. Es existierte etwa kein Behindertenklo. Viele Türen haben auch nur eine Breite von 80 cm, wo ich mit meinem Rollstuhl nicht hindurch komme. Dazu sind die Gänge meistens nicht breit genug, um mit meinem fast einen Meter breiten Rollstuhl durch zu kommen. Es müssten ständig alle Mitarbeiter eng an den Arbeitstisch rücken, damit ich durch kommen kann. Damit würde ich den gesamten Arbeitsablauf stören. Außerdem gibt es immer mal wieder Stufen.

Ich war total perplex. So kann ich dort nicht arbeiten, es ist einfach nicht möglich. Wie kann man eine neue Behindertenwerkstätte bauen, die nicht rollstuhlgerecht ist? Wer kommt auf so eine Idee? Wie kann so etwas genehmigt werden? Darf so eine Werkstätte sich dann wirklich Behindertenwerkstätte nennen?

» rasenderrolli » Beiträge: 1058 » Talkpoints: 16,66 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Das ist wirklich ein Armutszeugnis für den Bauplaner, den Träger und alle, die jemals an dem Projekt mitgearbeitet haben. Ist die Werkstatt denn wirklich neu gebaut worden? Man könnte natürlich nur Behinderte einstellen, die keinen Rollstuhl brauchen, aber das wäre wirklich ein stark limitierender Faktor und es ist einfach diskriminierend und schlichtweg schwachsinnig. War dort wirklich niemand der Angestellten im Rollstuhl?

Also ich bin genauso fassungslos wie du. Etwas, das ich nicht für möglich gehalten hätte. Vor allem, weil so ein Bau doch auch immer gefördert wird, oder?!. Und ich nehme mal an, dass die Förderung für Behindertenwerkstätten durchaus breitere Türen und Rampen vorsieht und das Geld dafür bereitstellt. Sonst würden ja alle Behindertenwerkstätten so aussehen. Dass nicht mal die Förderung darauf geachtet hat, ist wirklich schlampig. Das sind immerhin Steuergelder.

Wie haben denn die Leute dort darauf reagiert? Hast du mit dem Leiter der Werkstatt gesprochen? Irgendwer hat dich doch bestimmt herumgeführt. Vielleicht gibt es ja doch eine logische Erklärung. Ist die wirklich neu gebaut worden? Das hab ich schon mal gefragt. Man sieht schon. Ich bin sprachlos!

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Unter welchen Aspekten ist denn diese Werkstatt neu gebaut worden? Immerhin kann ich mir vorstellen, dass man vielleicht ein anderes Patientenklientel ansprechen wollte. Am Ende ist das nicht so gekommen, wie kalkuliert und nun steht man vor dem Problem, dass man die vorhandenen Kapazitäten auch gerne nutzen würde, aber baulich nicht alles dafür passt.

Vor allem wurde das ganze Gebäude wirklich nur gebaut oder ist es nur übernommen worden? Sicherlich ist es für dich als betroffene Person dann frustrierend, wenn du deine eigenen beruflichen Pläne deswegen nicht in Angriff nehmen kannst. Aber einfach nur sagen, da waren Blödmänner am Werk, als geplant wurde, ist sicherlich zu einfach.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



Jede Behindertenwerkstatt muss für Rollstuhlfahrer ausgerichtet sein, denn ansonsten darf sie sich einfach nicht als Behindertenwerkstatt wohlgemerkt offiziell bezeichnen. Dieser Passus wird nämlich von den zuständigen gesetzlichen Trägern ziemlich genau kontrolliert. Danach wird dann das sogenannte Prädikat der Anerkennung als Behindertenwerkstatt vergeben. Vielleicht handelt es sich hierbei um eine nicht staatlich anerkannte Werkstatt.

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» karlchen66 » Beiträge: 3563 » Talkpoints: 51,03 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Also diese Behindertenwerkstatt ist nicht einmal zehn Jahre alt und wird immer noch erweitert. Aktuell ist sie an sechs Standorten hier im Umkreis vertreten und es wird gerade ein neuer gebaut - wohl ebenfalls nicht rollstuhlgerecht. Ursprünglich waren diese Werkstätten vor allem für psychisch Kranke und geistig Behinderte vorgesehen, ist dann aber für körperlich Behinderte erweitert worden, weil ja auch viele körperlich Behinderte psychische Probleme haben und andererseits auch psychisch Kranke und geistig Behinderte zusätzlich körperlich behindert sein können.

Aber irgendwie hat man Rollstuhlfahrer außen vor gelassen und wir werden ausgegrenzt. Dabei gibt es für uns aber leider auch keine Alternative. Es gibt also nicht etwa noch zusätzlich eine rollstuhlgerechte Werkstätte in der Nähe. Gesetzlicher Träger ist wohl die Rentenversicherung, die sich um die konkrete Ausgestaltung der Räumlichkeiten und der Arbeitsplätze nicht wirklich kümmert.

» rasenderrolli » Beiträge: 1058 » Talkpoints: 16,66 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


@rasenderrolli: Ich verstehe jetzt so ungefähr das konkrete Problem an der Sache, denn hier greift dabei die sogenannte Quotenregelung der gesetzlichen Rentenversicherung. Diese besagt im laufendenden Gesetzestext, dass der betreffende Rollstuhlfahrer eine Mehrfachbehinderung haben muss. Er müsste daher auch geistige Einschränkungen haben, denn ansonsten könnte er auch auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden. Für die Behindertenwerkstatt kommen eigentlich nur Personen in Frage die man nicht auf den ersten Arbeitsmarkt vermitteln kann, weil sie auch geistige Beeinträchtigungen aufweisen.

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» karlchen66 » Beiträge: 3563 » Talkpoints: 51,03 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


@ karlchen66: Ich lese das so, dass rasenderrolli wieder ins Berufsleben eingegliedert werden soll und deshalb die Arbeit in einer Werkstatt für Behinderte angedacht war. Somit ist er zur Zeit noch nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelbar. Je nach Kostenträger bleibt da nur eine Werkstatt für Behinderte.

@ rasenderrolli: Ich möchte nun sicher nicht deine Behinderung in Frage stellen. Trotzdem dürfte die größte Gruppe an Behinderten mittlerweile psychisch und geistig kranke Menschen sein. Wobei das einen Rollstuhl nicht ausschließt.

Wie du selbst schreibst, wurden die Werkstätten für Menschen mit einer psychischen Erkrankung geschaffen. Die nun eben mittlerweile auch für Menschen mit anderen Beeinträchtigungen genutzt werden. Problem dürfte hier sein, dass immer mehr Bedarf besteht, aber keine Mittel da sind und man deshalb mit vorhandenen Mitteln arbeiten möchte. Mehr möchte, als Können.

In der Regel wird in solchen Einrichtungen aber sehr darauf geachtet, eben auch Menschen im Rollstuhl zu integrieren. Wobei du ja von sechs Standorten schreibst. Ist keine einzige dieser sechs Standorte für Rollstuhlfahrer geeignet?

Ich würde mich generell mit dem Problem mal an den Vdk wenden. Außerdem an den Kostenträger der Maßnahme.

» XL » Beiträge: 680 » Talkpoints: -0,02 » Auszeichnung für 500 Beiträge



@XL: Hier hat der Kostenträger ja noch ganz andere Optionen dazu, denn er kann auch beispielsweise eine komplette Berufsausbildung dem Interessenten dazu anbieten. Im Endeffekt kann diese Maßnahme ja sogar effektiver sein als eine Eingliederung in der Werkstatt. Ich denke speziell, dass man hier seitens des gesetzlichen Trägers nur die falsche Maßnahme gewählt hat.

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» karlchen66 » Beiträge: 3563 » Talkpoints: 51,03 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


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