warum muss man heutzutage alles einklagen?

vom 06.06.2011, 11:26 Uhr

Was ich in letzter Zeit alles durchgemacht habe, passt definitiv in keinen Hut mehr und alles endete irgendwie auf dem Gericht, obwohl man es hätte eigentlich auch im Vorfeld anders regeln hätte können. Findet ihr nicht auch das man heutzutage einfach zu schnell alles einklagen muss und es auch nicht wirklich im Vorfeld eine Einsicht beider Parteien gibt.

Früher konnte man die Sachen doch auch anderweitig regeln und nicht wegen ich sage mal jeden Kaugummi gleich zum Gericht rennen. Wenn ich schon lese, das ein Harz4 Empfänger versucht hat eine Rechnung einklagen, für einen Knopf annähen oder ähnliches, frage ich mich doch was soll das? Solch Spielereien halten doch von wichtigerem ab.

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» alkalie1 » Beiträge: 5526 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 5000 Beiträge



Ich hatte solche Probleme noch nie, deshalb kann ich da nicht wirklich qualifiziert mitreden. Die Frage die sich mir dabei aber stellt ist, warum man sich denn nicht einigen kann auf anderem Weg. Ich hatte es bisher noch nie, dass ich mir mit Ämtern oder Firmen nicht einig wurde. Irgendeinen Weg gibt es doch fast immer, man muss aber auch selbst zu Kompromissen bereit sein.

Mir wäre der Weg über ein Gericht zu umständlich, gerade bei Dingen mit geringem Wert. Man muss es natürlich in Relation sehen und ob sich bei der jeweiligen Angelegenheit der Gang zum Gericht lohnt. Für mich war das bisher noch nie nötig und ich bin verwundert, dass du offenbar den Eindruck hast, dass es häufig nötig ist, etwas einzuklagen. Ich weiß natürlich nicht, um was es bei dir konkret geht, aber wenn man zum Gericht geht, muss es meiner Meinung schon sehr begründet sein.

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» Vampirin » Beiträge: 5979 » Talkpoints: 30,32 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


Grundsätzlich hat in unserer Gesellschaft die Tendenz zur Individualität in den letzten Jahren ja zugenommen und der Gemeinschaftsgedanke stirbt so langsam aus. Alles ist Wettbewerb, alles muss sich messen lassen, für alles gibt es Ranglisten, jeder will der erste, der beste, der einzige sein. Das heißt, dass Menschen dann viel stärker auf sich und auch ihrer Rechte fokussiert sind. Dazu noch eine Rechtsschutzversicherung und dann geht es los.

Im öffentlichen Recht ist es heute so, dass der Gesetzgeber in der näheren Vergangenheit mehrfach Gesetze erlassen hat, die dann vom BGH nach jahrelangem Streit wieder einkassiert wurden, weil sie verfassungsrechtlich nicht zu halten waren. Das ist teilweise vorher schon klar, aber der Gesetzgeber setzt sich trotzdem darüber hinweg, z. B. um kurzfristig die Kassenlage zu schönen, um Fakten zu schaffen oder um Wählerstimmen zu fangen. Ich erinnere, nur um ein Beispiel zu nennen, an die Diskussion um Hartz IV. Auch das Thema Europa trägt zu der Thematik bei, wenn der deutsche Gesetzgeber nicht zeitgerecht oder nicht richtlinienkonform umsetzt.

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» Richtlinie2 » Beiträge: 1872 » Talkpoints: -0,63 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Die Klagementalität hängt, so denke ich, vom immer mehr einsetzenden und auch schon zuvor beschriebenen Egoismus der Menschen ab. Jeder wähnt sich gegen jeden im Recht, folgend versucht jeder sein angebliches Recht im Klageweg durchzusetzen.

Im öffentlichen Recht ist es heute so, dass der Gesetzgeber in der näheren Vergangenheit mehrfach Gesetze erlassen hat, die dann vom BGH nach jahrelangem Streit wieder einkassiert wurden, weil sie verfassungsrechtlich nicht zu halten waren. Das ist teilweise vorher schon klar, aber der Gesetzgeber setzt sich trotzdem darüber hinweg, z. B. um kurzfristig die Kassenlage zu schönen, um Fakten zu schaffen oder um Wählerstimmen zu fangen.

Du meinst das Bundesverfassungsgericht, oder? Die Rechtsprechung des BGH hat, außer wegweisenden Charakter, nicht viel mit der Gesetzgebung am Hut. Es gab in der jüngsten Vergangenheit auch Fälle, in denen der BGH Sachverhalte konsequent falsch entschieden hat, sodass eine Intervention des Gesetzgebers notwendig war.

» jigha » Beiträge: 97 » Talkpoints: 1,11 »



Ich kann dir sagen warum immer mehr Verbraucher klagen. Weil der Verbraucherschutz zunehmend unterwandert wird. Wenn ich mir ansehe was Verlage und Mobilfunkanbieter (nur als Beispiel) teilweise machen um an mehr Geld zu kommen. Es ist doch gesetzlich ganz klar geregelt, dass bei einer Zahlungsaufforderung z.B. keine Gebühren anfallen. Mobilfunkbetreiber berechnen diese aber. Wenn man sich jetzt als Verbraucher weigert diese zu zahlen, werden die von Rechnung zu Rechnung weitergeschleppt und immer mehr. Weil der Betrag ja auch immer wieder angemahnt wird. Am Ende kann man den Betrag einfach zahlen, wenn man dies nicht tut, dann geht sowas eventuell vor Gericht.

Konkretes Beispiel:

Mein Betreiber berechnet mir 100 Euro (+ meine üblichen Gebühren) in meiner Mobilfunkabrechnung. Nach 12 Minuten Wartezeit in der kostenpflichtigen Hotline werde ich rausgeschmissen. Dann habe ich meine Bank angerufen und das zurückbuchen lassen und meinem Betreiber eine Email geschickt, dass sie mir eine richtige Rechnung stellen sollen. Daraufhin bekomme ich 7,90 Mahngebühren + 10,00 Rückbuchungsgebühren berechnet. Die zahle ich aber nicht, sondern ich fordere von meinem Anbieter 3,43 für die Hotline. Ja, das sind "nur" knappe 20 Euro. Aber warum sollte ich diese denn zahlen. Irgendwann kommt das halt vom Anwalt also brauche ich auch einen.

» exposure » Beiträge: 9 » Talkpoints: 2,49 »


jigha hat geschrieben:
Im öffentlichen Recht ist es heute so, dass der Gesetzgeber in der näheren Vergangenheit mehrfach Gesetze erlassen hat, die dann vom BGH nach jahrelangem Streit wieder einkassiert wurden[...]


Du meinst das Bundesverfassungsgericht, oder? [...]

Hoppla, natürlich. Kommt wohl daher, weil ich in den letzten Wochen nur noch "EuGH" gelesen und gehört habe und schon ergoss sich das "GH" in die Tastatur.

@exposure
In der Tat meine ich auch immer wieder erkennen zu können, dass es ganze Branchen und ganze Geschäftszweige gibt, die vom Kleinviehgeschäft leben und sich bei Problemen hinter teuren Telefonnummern, Hotlines, Postfächern oder einfach schlichter Ignoranz, geradezu verstecken. Nach meiner Erfahrung ist die Ignoranz das probateste Mittel, lästige Kunden abzuwimmeln. Diese Geschäftemacher bauen darauf, dass für 12,50 € die meisten noch nicht einmal den Mahnweg beschreiten, geschweige denn bereit wären zu klagen. Für den einzelnen Kunden ist das wenig Geld und es ist unwirtschaftlich hier etwas zu unternehmen, für das Unternehmen aber sind 1000 mal 12.50 € schon eine ganze Menge Holz. Es ist ein reines Rechenspiel, wenn man weiß, dass nur jeder 100. Kunde wirklich hartnäckig bleibt und womöglich tatsächlich einen Titel erwirkt. Da kann ich verstehen, wenn zunehmend Leute auch wegen Nichtigkeiten klagen.

Vermutlich hat über das Internet auch ganz einfach die Zahl der Verträge absolut zugenommen und schon alleine dadurch kommt es häufiger zu rechtlichen Streitigkeiten.

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» Richtlinie2 » Beiträge: 1872 » Talkpoints: -0,63 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Ich kann auch ein Lied davon singen, das ich mittlerweile alles von meinem Nochgatten einklagen muss, wozu er verpflichtet ist. Das ging im letzten Jahr nach der Trennung los, das ich den Unterhalt für die Kinder einklagen muss. Dabei ist mehr als ersichtlich, das er in vollem Umfang zahlen kann, aber einfach nicht will. Mittlerweile sind wir beim Oberlandesgericht damit.

Dann muss vor der Scheidung der gemeinsame Besitz gerklärt werden. Obwohl es da eine notarielle Vereinbarung gibt, welche seine Pflichten aufzeigt, fühlt er sich nicht zuständig, diesen endlich nachzukommen. Also muss ich auch hier den gerichtlichen Weg gehen, damit dann auch endlich die Scheidung vollzogen werden kann.

Sicherlich gibt es genug Leute, welche aus einem Pups einen Donnerschlag machen und die Gerichte bemühen, wo es nicht notwendig ist. Und diese Leute sorgen dann auch dafür, das wichtigere Probleme teilweise über Jahre verhandelt werden müssen, weil einfach zu viele Klagen anhängig sind.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



Ich denke, dass Deine Frage zunächst mal schwer pauschal zu beantworten ist, denn es gibt unterschiedliche Voraussetzungen dafür, wie weit ein Streit geht.

Bringt jemand einen anderen zu Schaden, dann ist die Auffassung beider Beteiligten, was die Regulierung des Schadens angeht, nicht immer übereinstimmend. Können sich die beiden Parteien nicht über den Umfang der Wiedergutmachung einigen, schalten sie irgendwann jeweils eine weitere, hier dann schlichtende Partei ein, nämlich ihre Rechtsanwälte, die erstmal versuchen werden, sich außergerichtlich zu vergleichen, wenn die Rechts- oder die Beweislage nicht eindeutig ist und ein Ausgang vor Gericht unabsehbar scheint.

Es gibt aber auch Menschen, die immer wieder nach Streitpunkten suchen, um irgendwelche Rechte durchzusetzen, die sie zu haben glauben. Einige kommen damit leider doch recht weit, eben auch, weil gern verglichen wird, nicht zuletzt vor Gericht. Das habe auch ich leider schon einmal erlebt, und das, obwohl die Rechtslage eindeutig war.

alkalie1 hat geschrieben:Was ich in letzter Zeit alles durchgemacht habe, passt definitiv in keinen Hut mehr und alles endete irgendwie auf dem Gericht, obwohl man es hätte eigentlich auch im Vorfeld anders regeln hätte können.


Damit gibst Du einen Teil der Antwort schon vor. Warum war es denn in Deinen jeweiligen Fällen nicht möglich, auf den Gang vor Gericht zu verzichten? Gab es keinen Vergleichsversuch oder hast Du das Angebot der Gegenseite nicht akzeptiert?

Letzten Endes wird es wohl relativ egal sein, warum man teilweise auch wegen angenähter oder nicht angenähter Knöpfe vor Gericht geht, denn es geht alles auf dieselbe Ausgangsbasis zurück: es gibt zwei Rechtsauffassungen, die sich gegenüberstehen, die Parteien werden sich nicht einig, die Rechtsanwälte ebenfalls nicht, und dann geht die Sache eben vor Gericht.

Klar ist das teilweise blöd und vielleicht sogar lächerlich in Anbetracht des jeweiligen Streitgegenstands. Aber als Beteiligter an einem solchen Streit hat man immer die Wahl, den Streit vorzeitig zu beenden, indem man auf ein Vergleichsangebot eingeht und den Streit damit beendet.

Diese Verfahrensweise ist nicht nur - je nach Streitgegenstand - sinnvoll, sondern eben auch günstiger, denn wenn man vor Gericht verliert, weil kein Vergleich geschlossen wird, hat man auch noch weitere Kosten zu tragen: die, die durch die Gerichtsverhandlung verursacht wurden und nicht zuletzt auch die des gegnerischen Rechtsanwalts.

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» moin! » Beiträge: 7218 » Talkpoints: 22,73 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Ich finde die Entwicklung mittlerweile auch krass. Keiner ist mehr großartig nett zu dem anderen und jeder sucht nur seinen eigenen Vorteil. Wenn man übers Ohr gehauen wurde, erreicht man nur was, wenn man entweder diverse Paragraphen zitiert oder mit dem Anwalt droht. Natürlich kommt es dann auch noch vor, dass sich manche Menschen davon dann nicht beeindrucken lassen und es wirklich auf eine gerichtliche Auseinandersetzung anlegen. Es gibt Menschen, die haben tatsächlich keine Hobbies oder aber das Gericht ist ihr privater kleiner "Hobbyraum".

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» Olly173 » Beiträge: 14700 » Talkpoints: -2,56 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


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