Sind die 'Wörter des Jahres' für euch geläufige Wörter?

vom 18.12.2013, 04:33 Uhr

Alljährlich wird von der Gesellschaft für deutsche Sprache das "Wort des Jahres" gewählt. Diese Tradition hält sich schon seit mehreren Jahrzehnten. Viele der "Wörter des Jahres" erlangten wirkliche Bekanntheit, jedenfalls früher. Ich habe den Eindruck, dass diese Wörter des Jahres allerdings mit der Zeit immer willkürlicher und unwichtiger geworden sind.

In die engere Auswahl kamen dieses Jahr beispielsweise unter Anderem die Begriffe "Armutszuwanderung", "Protz-Bischof", "falsche Neun", "Generation Sandsack", "Big Data" und "Freund hört mit". Gewonnen hat das Wort "GroKo", was ein Synonym für "Große Koalition" sein soll. Im Wahljahr 2013 soll es besonders populär geworden sein.

Mal abgesehen davon, dass ich mit vielen dieser angeblich ach so bedeutsamen und geläufigen Wortneuschöpfungen gar nichts anfangen kann, fiel mir dieses Jahr eine Sache besonders auf. Ich frage mich nämlich ernsthaft, ob diese Begriffe, die in die engere Auswahl gekommen sind, einschließlich des Siegerbegriffs, eigentlich überhaupt richtige Wörter sind. Eigentlich sollten ja nur Wörter das "Wort des Jahres" werden dürfen, das sagt ja schon der Titel der Auszeichnung.

Aber ist das wirklich noch gegeben? "GroKo" ist wohl eher eine Abkürzung, was auch die Großschreibung mitten im Wort zeigt. "Big Data" und "Generation Sandsack" sind wohl eher Phrasen, aber in linguistischer Hinsicht würde ich mal behaupten, dass da auch nicht unbedingt alle Kriterien erfüllt werden, die für Wörter notwendig wären. Und dass "Protz-Bischof" ein geläufiges und normales Wort sein soll, das auch in Zukunft Relevanz hat, halte ich aufgrund seines eingeschränkten Bezugs auch für sehr unwahrscheinlich. Zumal das einfach ein Kompositum aus "protzen" und "Bischof" ist, eigentlich kein richtiges neues Wort. Und "Freund hört mit" ist eine Phrase und definitiv kein einzelnes Wort. Höchstens das meiner Meinung nach unschöne Wort "Armutszuwanderung" könnte aus der genannten Auswahl überhaupt als Wort durchgehen, denn es bezieht sich nicht auf eine einzelne Person (wie in etwa "Protz-Bischof"), sondern drückt einen ganzen Sachverhalt aus.

Findet Ihr, dass diese nominierten Begriffe bei der Wahl zum "Wort des Jahres" richtig waren? Oder sehr ihr auch die Tatsache, dass das teilweise einfach gar keine richtigen Wörter sind? Wenn ja, wieso, wenn nein, wieso nicht? Ist "GroKo" für Euch ein Wort?

Benutzeravatar

» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Was ist eigentlich ein Wort? Die möglicherweise banale Frage ist an sich nicht so einfach zu beantworten, wie man vielleicht denkt. Und ich habe in fast jedem Seminar eine zumindest irgendwie unterschiedliche Definition für den Begriff Wort gehört, als im vorherigen. Wie man Wort definiert, hängt sicherlich vom Forschungsinteresse ab.

Hier für die Medien wurde aber augenscheinlich der Begriff nicht sauber gewählt. Man geht wohl davon aus, dass für Otto Normalverbraucher der Begriff Wort stimmiger klingt, als alternative Bezeichnungen. Ich würde es auch bevorzugen, wenn man den Preis "Begriff des Jahres" nennen würde. Aber im Umkehrschluss würden dann solche Bildungen wie "Unwort des Jahres" auch nicht mehr möglich sein. Den Ausdruck "Unbegriff" wird man so schnell vermutlich nicht durchsetzen können. So denke ich mal, dass ähnliche Überlegungen da eine Rolle gespielt haben dürften, als man sich für diese Begriffe entschieden hat.

Letztlich würde ich hier einfach sagen, dass man Alltag und Alltagssprache nicht immer auf die wissenschaftliche Goldwaage legen sollte. Außerdem ist es vielleicht auch eine besonders deutsche Macke, alles mögliche in der Sprachverwendung reglementieren zu wollen. Das sieht man schon an der im Volk vorherrschenden Grammatik. In anderen Sprachen wird da weniger deskriptiv vorgegangen. Was richtig ist, das stimmt letztlich die Masse der Sprecher ab. Und so würde ich eher dafür plädieren, dass hier einfach der Begriff Wort inhaltlich erweitert wird und einen neuen Bedeutungseintrag im Lexikon zugesprochen bekommt.

Benutzeravatar

» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge


Ehrlich gesagt habe ich "GroKo" noch nie gehört oder gelesen bevor das zum Wort des Jahres erklärt wurde. Seither wird es lustigerweise recht häufig in den Medien verwendet, die vorher anscheinend kein Problem mit "große Koalition" hatten. Und mal ehrlich, so lang oder unaussprechlich sind die beiden Worte jetzt auch nicht, dass man dafür dringend eine Abkürzung brauchen würde.

Natürlich ist der Titel "Wort des Jahres" etwas irreführend, aber ist es nicht ein grundlegendes Problem der deutschen Sprache, dass man nicht unbedingt klar definieren kann, was denn nun EIN Wort ist? "Armutszuwanderung" ist aus zwei Wörtern zusammen gesetzt, im Französischen würde ich "immigration de la pauvreté" sagen, das würde kein Mensch als EIN Wort sehen. Aus "Protz-Bischof" könnte man auch "Protzbischof" machen und es ist wohl eher Zufall, dass dieser Bischof einen Bindestrich bekommen hat, und die "Generation Sandsack" könnte man ganz leicht in eine "Sandsackgeneration" umbasteln. Eigentlich müsste man also eher Kritik an der deutschen Grammatik üben, die solche Wortkonstrukte zulässt.

Die Frage, ob die nominierten Begriffe nun passend waren oder nicht ist ja noch mal ein ganz anderes Thema und ich kann dazu eigentlich gar nichts sagen, von meinen "GroKo" Beobachtungen mal abgesehen, weil ich nicht weiß, nach welchen Kriterien die Begriffe überhaupt ausgesucht werden. Ich nehme aber an, dass es da schon irgendwelche seriösen und objektiven Kriterien geben wird, zum Beispiel wie häufig die Begriffe im Internet gesucht werden oder wie häufig sie in den Medien aufgetaucht sind. Davon aber mal abgesehen denke ich nicht, dass das "Wort des Jahres" überhaupt eine Relevanz für die Zukunft haben soll. Eigentlich ist doch eher das Gegenteil der Fall, also es wird zurück geblickt auf das vergangene Jahr und es wird ein Begriff gewählt, der in dieser Zeit relevant war.

Benutzeravatar

» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge



Ich finde es schwierig über diese Wörter, wenn es denn welche sind, denn da bin ich mir auch nicht so sicher, zu diskutieren. Zum einen sind es tatsächlich Phrasen, die man teilweise gehört hat, teilweise nicht und zum anderen sind sie eben einmal gefallen, sollten aber nicht nur deshalb Wörter des Jahres werden, damit sie vielleicht dadurch bekannter werden.

Abgesehen davon finde ich es auch reichlich merkwürdig, dass man immer ein Wort (oder auch Unwort) des Jahres finden muss. Reicht es nicht, wenn sie irgendwann einmal in einem Zusammenhang gefallen sind und man sie dadurch kennt? Muss man Wörter wirklich noch zu irgendetwas küren?

Benutzeravatar

» Nettie » Beiträge: 7637 » Talkpoints: -2,59 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Cloudy24 hat geschrieben:Ich nehme aber an, dass es da schon irgendwelche seriösen und objektiven Kriterien geben wird, zum Beispiel wie häufig die Begriffe im Internet gesucht werden oder wie häufig sie in den Medien aufgetaucht sind.

Ich habe jetzt mal nachgelesen und die Angabe gefunden, dass die Geläufigkeit und Verwendungshäufigkeit des Wortes bei der heutigen Wahl zum Wort des Jahres nicht mehr von Wichtigkeit sein soll. Es wird einfach von einer Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache ein Wort ausgesucht, das ihrer Meinung nach angeblich im jeweiligen Jahr eine besondere Relevanz hatte. Allerdings finde ich das weniger sinnvoll, da eigentlich die Verwendungshäufigkeit oder Geläufigkeit des Begriffes beachtet werden sollte. Ansonsten kommen eben solche fixen Ideen wie "GroKo" heraus, die eigentlich kein Mensch benutzt.

Aber dieses ganze Vorgehen fällt ja auch jedes Jahr beim "Jugendwort des Jahres" auf. Schon in meiner Jugend tauchten da immer Wörter auf, die eigentlich niemand benutzte, nicht einmal die pseudo-coolsten unter den Jugendlichen, die ich in der Schule so mitbekam. Die letzten Jugendwörter des Jahres sollen übrigens "Babo" und "YOLO" gewesen sein. Ich kenne ja nun auch noch genügend kleinere Schwestern und Brüder, oder auch aus meiner Arbeit einige Jugendliche, und viele von denen wurden von diesen angeblich ach so geläufigen Jugendwörtern einfach nur irritiert. Beim normalen "Wort des Jahres" wird es wohl genauso werden, wenn objektive Kriterien da nun keinerlei Rolle mehr spielen.

Zum Wortbegriff: Da gehen die Definitionen wirklich weit auseinander. Aber ich denke, dass einige der geläufigsten sein dürfte, oder zumindest ein geläufiges Wort-Kriterium, dass das Wort oder der Begriff eine feste Bedeutungseinheit haben muss. Das mag bei der "Generation Sandsack" und bei der "falschen Neun", was auch immer diese bezeichnet, der Fall sein.

"Protzbischof" dürfte wohl auch als Wort durchgehen, wobei ich die Wahl da fragwürdig finde, da es kein geläufiges Wort ist, sondern mehr oder weniger die Spottbezeichnung einer einzelnen Person, und damit so etwas wie ein ganz spezifischer Name. Ich kann mir jedenfalls sehr schwer vorstellen, dass plötzlich irgendwann über andere Personen zu lesen sein wird, sie seinen "Protzbischöfe". Es ist ein genau auf eine einzelne Person zugeschnittener Spitzname, meiner Meinung nach, ganz deutlich sogar. "Protzbischof" als allgemeinen Begriff wird man sicher nie in einem Wörterbuch finden, ebenso, wie man dort auch nicht "Gustav Meier" finden dürfte.

"GroKo" gilt für mich weiterhin als Abkürzung, wie auch das angebliche Jugendwort "YOLO". Und "Freund hört mit" geht über einen einzelnen Begriff mit eindeutiger, fester Bedeutungseinhalt wohl auch definitiv hinaus. Es ist ja nicht so, dass man bei "Freund hört mit" gleich wüsste, worum es eindeutig geht, sondern es gäbe, je nach Kontext, jede nur erdenkliche Interpretationsmöglichkeit. Sicher haben auch richtige Wörter teilweise unterschiedliche Bedeutungen, aber das in einem weitaus geringeren Umfang, als diese Phrase, die ja schon einen verkürzten Satz darstellt. Und so ein kurzer Satz kann doch kaum als einzelnes Wort durchgehen. Und zwar auch ganz egal, wie bekannt dieser Satz möglicherweise wäre. "Haribo macht Kinder froh" oder "Betreten verboten!" mögen weitaus bekannter sein, als "Freund hört mit!", und sind auch eindeutig keine Wörter.

Benutzeravatar

» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Wawa666 hat geschrieben:Ich habe jetzt mal nachgelesen und die Angabe gefunden, dass die Geläufigkeit und Verwendungshäufigkeit des Wortes bei der heutigen Wahl zum Wort des Jahres nicht mehr von Wichtigkeit sein soll. Es wird einfach von einer Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache ein Wort ausgesucht, das ihrer Meinung nach angeblich im jeweiligen Jahr eine besondere Relevanz hatte.

Das wusste ich nicht, ich bin echt davon ausgegangen, dass das Wort oder der Begriff irgendwie statistisch ermittelt wird. In meinem Bereich gibt es nämlich solche Sachen wie "Farbe des Jahres" und dafür wird der Markt beobachtet und es werden tatsächlich ganz viele verschiedene Quellen analysiert. Das erklärt jedenfalls, warum ich von GroKo vorher noch nie was gehört habe. Ein Kollege meinte schon, dass wir uns das vielleicht nur einbilden, weil wir vorher nicht darauf geachtet haben.

Diese Vorgehensweise lässt mich jetzt schon irgendwie an der Sinnhaftigkeit der ganzen Aktion zweifeln. Ich weiß nun nicht, wie die Jury zusammengesetzt ist, aber damit wird doch dann eigentlich nur die völlig subjektive Meinung von ganz wenigen Menschen widergespiegelt. Da würde man mit jeder Straßenumfrage in jeder beliebigen Fußgängerzone wahrscheinlich ein Ergebnis mit mehr Realitätsnähe erzielen können.

Benutzeravatar

» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


Einen wirklichen Sinn an der Aktion sehe ich jetzt, wo ich weiß, dass irgendeine interne Jury sich das "Wort des Jahres" einfach ausdenkt, auch nicht mehr. Die Frage, was das Ganze soll, halte ich also auch für berechtigt. Und ich finde es seltsam, dass diese Aktion in den Medien so präsent ist, obwohl sie ja eigentlich, aus objektiver Sicht, wirklich sehr wenig Relevanz haben dürfte.

Würde man hingegen tatsächlich Sprechgewohnheiten und neu "gewachsene" Wörter eines Jahres, die tatsächlich durch den Sprachgebrauch entstanden sind und auch geläufig geworden sind, sammeln, und am Ende jeden Jahres mal präsentieren, welche Wörter so bekannt geworden sind, dann fände ich das gar nicht so verkehrt. Für mich wäre es einfach interessant, zu sehen, wie Sprache sich entwickelt. Man könnte sich ansehen, ob es bestimmte Entwicklungen gibt, die sich über Jahre hinweg ziehen, oder ob viele der neu entstandenen Wörter möglicherweise ähnliche Aspekte besitzen. In Hinsicht der Sprachforschung ist das eine spannende Sache. Wobei ich denke, dass nicht nur Sprachwissenschaftler, sondern auch fachfremde Personen das einfach mal spannend finden könnten, am Jahresende quasi eine Tabelle zu sehen, die zeigt, was sich in der Sprache Neues ergeben hat.

Benutzeravatar

» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^