Jeden Felsen beklettern müssen
Mein Sohn hat mir gerade Urlaubsfotos geschickt, auf denen er auf einem bizarr geformten, etwa 30 Meter hohen Felsen in einer Wüste sitzt. Das Foto ist beeindruckend, aber sehr typisch für meinen Sohn. Ähnliche Fotos hat er aus Australien, Neuseeland und der Fränkischen Schweiz hier in Deutschland. Schon als Kind hat er gemeint, jeden Felsen beklettern zu müssen. Ich kenne das allerdings auch aus meiner eigenen Kindheit. Dort, wo ich aufgewachsen bin, gab es einen Felsen mitten im Wald, der aus der Eiszeit stammte. Dieser Ort war ein Standardziel für Schulausflüge. Der Felsen war so groß, dass die gesamte Schulklasse auf dem Gipfel und den Hängen Platz fand. Ich kann mich noch genau an das abenteuerliche Gefühl erinnern, den Felsen zu besteigen, wobei der Aufstieg selbst noch aufregender war als das Erreichen des Gipfels.
Beklettert ihr auch noch als Erwachsene jeden größeren Felsen, den man beklettern kann? Warum hat der Mensch wohl diesen Drang, auf jeden begehbaren größeren Felsen steigen zu müssen?
Ich klettere nicht mehr, früher bin ich auch immer auf alles geklettert. Mein Bruder ist aber auch schon immer so ein Kletterer und er klettert auch heute noch gern, wobei es weniger geworden ist seit er Kinder hat. Seit dem klettert er auch nur noch in der Halle und nicht mehr so gefährlich. Als er ein Jahr in Schweden war, bekamen wir beispielsweise solche Bilder, wo er auf zwei großen Felsen steht, dazwischen eine Spalte. Das sah schon sehr gefährlich aus, was wir da an Bildern bekommen haben. Es ist der Kick, der Menschen bewegt solche Sachen zu machen und ist man erst mal oben, wird man ja auch mit einer tollen Aussicht belohnt.
Nein, diesen Drang, einen Felsen zu besteigen, habe ich nicht und hatte ich auch nie gehabt. Höchstens bin ich mal etwas hinaufgeklettert, um eine bessere Übersicht zu haben. Aber weiter hat mich das Klettern nicht interessiert. Wenn es höher hinauf geht und es eine ziemlich steile Felswand ist, an der man sich festklammert, würde ich es wahrscheinlich mit der Angst bekommen. Vielleicht kommt die Furcht kurz, wenn es schwieriger wird.
Aber ein unendliches Glücksgefühl wird den Kletterer erfassen, der es geschafft hat, den Felsen unter sich zu lassen und auf der Spitze steht. Ein erhabener Moment des Stolzes und eine unendliche Freiheit, die er genießt, wenn die Augen weit in die Ferne blicken und alles unter ihm kleiner geworden ist. Vielleicht sieht er mit Verachtung auf die herab, die es gar nicht versuchen und fühlt sich ihnen überlegen. Da ich diese Momente bisher noch nicht genossen habe, kann ich auch mit Gewissheit nicht sagen, was einen Menschen dazu bewegt, einen Felsen zu erklimmen. Vielleicht ist es sein Wagemut, der ihn dazu treibt.
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