Erste Stunde: "Sie wissen das ja alles schon!"

vom 03.10.2013, 11:27 Uhr

Ich muss derzeit an einem Lehrgang teilnehmen, bei dem man lernen soll, einen Aktenvortrag zu halten. Das ist Teil der mündlichen Prüfung beim zweiten juristischen Staatsexamen. Man hat eine Stunde Zeit und muss einen Aktenauszug (meistens mit etwa acht bis zehn Seiten Umfang) erfassten und die darin enthaltenen rechtlichen Probleme lösen. Anschließend hat man zehn Minuten Zeit, der Prüfungskommission in einer bestimmen vorgegebenen Form (Einleitung - Sachbericht - Kurzvorschlag - rechtliche Lösung - ausformulierter Tenor) das Ergebnis der Bearbeitung zu präsentieren. Mit anderen Worten: Es ist - vor allem, wenn man es noch nie gemacht hat - richtig schwer, in der knappen Vorbereitungszeit etwas Sinnvolles zu Papier zu bringen, das dann in freier Rede und unter den bestehenden Vorgaben (zum Beispiel richtige Zeitformen beim Sachbericht) vorzutragen.

Am Dienstag war nun der erste Tag dieses Lehrgangs und ich dachte, die Richterin würde uns nun erstmal etwas zur grundlegenden Herangehensweise sagen, beispielsweise, wie man ein vernünftiges Zeitmanagement betreibt, um alles in der einen Stunde zu schaffen und ähnliches. Statt dessen sagte sie so etwas wie: "Sie wissen das ja alles schon! Sie kennen und haben ja auch die ganzen Bücher, die es über den Aktenvortrag so gibt!" Ich dachte mir nur "Häh?! Woher soll ich das denn alles wissen??" Ich hatte mir auch extra noch keine Literatur zum Aktenvortrag gekauft, weil ich gehofft hatte, wir würden in dem Lehrgang TIpps bekommen, welches Buch besonders hilfreich ist. Aber Fehlanzeige. Zudem fühlt man sich nach so einer Ansage natürlich gleich total dämlich, wenn man noch Fragen hat, weil ja seitens der Dozentin davon ausgegangen wird, dass man alles schon weiß. Wir haben bisher genau einmal im gesamten Referendariat einen Aktenvortrag halten müssen und den durften wir zu Hause vorbereiten, also keinesfalls unter den realen, nervenaufreibenden Bedingungen mit nur einer Stunde Vorbereitung.

Habt ihr solch eine Situation auch schon mal erlebt? Findet ihr es (wie ich) didaktisch total ungeschickt, so eine Aussage zu machen? Warum sagt die Frau so etwas, wo sie und der Lehrgang uns doch erst auf den Aktenvortrag vorbereiten sollen? Wenn wir alles schon wüssten, dann könnten wir uns das Ganze ja gleich sparen...

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» Kate110 » Beiträge: 485 » Talkpoints: 0,35 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich studiere ja noch nicht, aber ich habe durchaus schon bei Lehrern erlebt, dass sie einige Sachen vorausgesetzt haben, die wir nicht hatten, wenn sie neu in einer Klasse waren. In so einem Fall ist es tatsächlich besser, wenn man sich einfach meldet und sagt, dass man das noch nicht hatte. Blamiert hat man sich damit doch nicht, sondern eher die Lehrer oder Professoren, die dass hätten erklären müssen. Man muss es ja wissen, wenn man die Prüfung machen muss und es kann nicht sein, dass das so im Lernplan stand und es nicht gemacht wurde, dann muss es eben nachgeholt werden.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Ich habe nicht Jura studiert, aber ich habe gerade über das Jurastudium immer wieder gehört, wie viel die Studenten alleine lernen müssen. Dass sie viel schon lange vor der Zeit vorbereiten und wissen. Dass gerade das Jurastudium sehr wettbewerbsgeprägt ist und man sich jeden Vorteil holen muss, den man kriegen kann.

Ich könnte mir vorstellen, dass alle anderen sich auf so einen Kurs so intensiv vorbereiten, dass der Kurs dann nur noch eine praktische Übung ist. Dass sie eben etliche Bücher darüber gelesen haben. Wenn die Professorin diesen Kurs oder auch andere schon vorher gegeben hat, dann weiß sie, dass sie nicht bei Null anfangen muss, weil die Studenten es schon vorgearbeitet haben und das gar nicht erwarten.

Ich hätte mich an deiner Stelle auch ganz klein gemacht und hätte mich nicht getraut, etwas zu fragen. In der Schule war das etwas anderes. Da gibt es einen festen Lehrplan und wenn der Lehrer den im Vorjahr nicht eingehalten hat, dann ist es nicht die Schuld der Schüler und sie können sich ruhig beschweren. Aber in der Uni ist das alles nicht so fest vorgeschrieben. Vor allem gibt es keinen Klassenverband, bei dem alle die gleichen Voraussetzungen mitbringen. Da lernen höchstens ein, zwei Streber vor. Aber im Jurastudium sitzen dann eben alle Streber zusammen. Da verschiebt sich das Verhältnis und das Vorlernen wird zum Standard.

Ich würde mich an deiner Stelle an deine Kommilitonen wenden. Oder die Sprechstunde der Professorin wahrnehmen und sie dort nach geeigneten Büchern fragen.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Danke für die Tipps, Bienenkönigin. Ich bin allerdings nicht mehr in Studium, sondern im Referendariat, also in dem eher praktisch orientierten Teil der juristischen Ausbildung.

Ich muss folgendes ergänzen: Ein Teil der Gruppe (unter anderem auch ich) hat im September die Examensklausuren geschrieben. Ich habe also bis Anfang September dafür gelernt (da war nun wirklich keine Zeit, sich auf die Monate später anstehende mündlichen Prüfung vorzubereiten) und mich dann 2 1/2 Wochen ausgeruht, eben bis zur genannten ersten Stunde des Aktenvortrags-Lehrgangs. Das ist auch nichts Ungewöhnliches, nach den Klausuren ist man so erschöpft und kaputt, dass es geradezu Selbstverletzung wäre, sich da nicht zunächst eine Pause zu gönnen. Ein "Vorlernen", wie von Dir angesprochen, war in diesem Fall daher beim besten Willen nicht möglich. (Die Klausuren machen übrigens 60 % der Endnote aus, deswegen konzentriert man sich natürlich erstmal nur darauf, bis man diese hinter sich gebracht hat.)

Der andere Teil der Gruppe jedoch ist schon weiter vorangeschritten und muss bereits nächsten Monat in die mündliche Prüfung. Selbstverständlich hatten diese Leute auch schon Zeit, sich Bücher durchzuarbeiten, Vorträge (privat oder mit einer eigenen Arbeitsgemeinschaft) zu üben etc.

Der Richterin/Dozentin war dies aber bewusst, weil sie uns reihum zu Beginn der Stunde unter anderem genau danach befragt hat, wer wann die Mündliche hat. Daher verstehe ich ihr Vorgehen noch weniger. Wann meint sie denn, dass diejenigen, die gerade die Klausuren hatten, sich intensiv mit dem Aktenvortrag hätten beschäftigen sollen/können?! Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr rege ich mich wirklich auf... :twisted:

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» Kate110 » Beiträge: 485 » Talkpoints: 0,35 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich studiere auch nicht und habe es eigentlich auch nicht vor, aber solche Situationen erlebt man ja nicht nur in einem Studium oder auf einem Lehrgang. Des Öfteren, auch in der Schulzeit, musste ich miterleben, wie zum Beispiel Lehrer vorausgesetzt haben, dass man den Unterrichtsstoff schon kannte, obwohl man den Unterrichtsstoff gerade neu bekommen hat. Nicht nur ich musste so etwas miterleben, meine Mitschüler und Mitschülerinnen waren meist genauso geschockt von der Aussage des Lehrers, dass wir das ja alles schon kennen und wissen und nun uns an die Arbeit machen sollten. Und natürlich sitzt oder steht man dann etwas dämlich da, weil man dann denkt, dass man wohl die Einzige im ganzen Raum ist, die keine Ahnung von dem Thema hat.

Ich habe mich in solchen Situationen dann immer gefragt, weshalb ich den Unterricht besuche, wenn ich angeblich doch eh schon alles weiß und vor allem wissen müsste. Auch in der Zukunft, oder in deiner Situation, würde ich mich fragen, weshalb ich den Lehrgang besuchen sollte, wenn der Dozent oder desgleichen davon ausgeht, dass ich schon eh von allem eine Ahnung habe und alles wissen müsste. Ich finde so etwas auch immer schlimm, vor allem, wenn man erwartet die Sachlage dort zu erlernen und man nur zu hören bekommt, dass man schon alles kennt und sich an die Arbeit machen soll.

» kai0409 » Beiträge: 3345 » Talkpoints: 72,64 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


Ich kann deinen Unmut total nachvollziehen. Ich verstehe Leute nicht, die einem eine Aufgabe geben bzw. einen extra Treffen wollen, weil Sie einem etwas erklären möchten/müssen und es sich dann leicht machen, indem sie sagen "Können Sie ja eh schon".

Ich glaub solche Leute haben einfach keine Lust etwas zu erklären und/ oder haben andere Probleme, so dass Sie ihre Verantwortung auf dich als Bedürftiger abschieben. Leider kommt man so ja nicht weiter. Wenn die Erwartungen an sich gegenseitig, sich so gar nicht überschneiden, besteht kein Gleichgewicht.

» olli56 » Beiträge: 1 » Talkpoints: 0,34 »


Solcherlei Situationen habe ich auch schon häufig erlebt. Diejenige, die mir am meisten im Gedächtnis geblieben ist, fand auch im Zusammenhang mit Jura statt. Ich saß damals in der ersten Stunde meiner allerersten Arbeitsgemeinschaft zum öffentlichen Recht. Wir sollten uns den Fall im Vorhinein schon einmal durchlesen, mehr hatte der Professor nicht gesagt. Als dann der Übungsleiter in den Raum kam, meinte er zuerst, es würde sich um eine abstrakte Normenkontrolle handeln, deren Schema wir ja schon kennen müssten - dem war natürlich nicht so. Im Anschluss warf er eine Folie mit dem bearbeiteten Fall an die Wand, sprach zwei Sätze dazu und ging dann schon wieder zum nächsten Fall über.

Natürlich ist das didaktisch extrem ungeschickt und ich kann mir auch nicht wirklich vorstellen, warum Dozenten so etwas tun. In einigen Fällen mag es ja wirklich damit zusammenhängen, dass man von einem anderen Kenntnisstand der Lerngruppe ausgeht, in deinem Fall kann das aber eigentlich nicht sein, weil ja zuvor nach dem Fortschritt im Examensprozess gefragt wurde. Oft ist es auch ein Zeichen der überlegenheit, mit dem man Studierende gerne abschrecken möchte - kein schöner Zug, aber immerhin möglich. In deinem Beispiel gehe ich aber davon aus, dass die Dozentin sich auf diejenigen konzentrieren wollte, deren Examen vor der Tür steht und die sie mit Erklärungen eher langweilen und aufhalten würde. Vielleicht kümmert sie sich mehr um die Neulinge, wenn die Fortgeschrittenen ihre Prüfung absolviert haben.

» Anemone » Beiträge: 1740 » Talkpoints: 764,26 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



So etwas habe ich zum Glück nicht erleben müssen, aber ich habe auch nicht studiert. Ich finde es auch unklug von der Dozentin, direkt mit einer solchen Feststellung zu beginnen. Damit motiviert sie niemanden und ich verstehe es, wenn man sich dann nicht traut, Fragen zu stellen. Immerhin besucht man so einen Lehrgang doch, um etwas zu lernen. Wenn man alles schon wüsste, könnte die Frau ihren Job als Dozentin ja gleich an den Nagel hängen, weil sie nicht gebraucht würde. Das mit der Literatur verstehe ich auch, ich hätte mir auch Vorschläge zu hilfreicher Literatur auf dem Lehrgang erhofft und vorher nichts gekauft.

» Barbara Ann » Beiträge: 28945 » Talkpoints: 58,57 » Auszeichnung für 28000 Beiträge


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