Coolness in der konkreten Situation

Eigentlich, so dachte ich, gehöre ich zu den Leuten, die sich vorher immer gut vorstellen, wie sie in bestimmten Situationen auftreten würden. Praktisch immer richtig und überlegt handelnd, ohne sich verunsichern zu lassen.

Nun hatte ich tatsächlich die Gelegenheit, einen Fall zu erleben, über den es bei Talkteria schon vor drei Jahren einen Thread gegeben hat (Verfallen Leergutbons irgendwann?). Damals hatte ich sogar in diesem Thread geschrieben, dass ich selbstverständlich sofort den Filialleiter rufen würde, wenn man mir mal mit fadenscheiniger Begründung - wie in dem Fall - das verwehren würde, was mir zusteht.

Jetzt ist es mir passiert (Flaschenpfand-Bon mit Ablaufsdatum?) aber ich habe leider nicht so cool reagiert, wie ich es mir in der Theorie vorgestellt hatte. Statt wirklich schlicht den Filialleiter rufen zu lassen, war ich zu einem Streit mit der Kassiererin bereit und habe von ihr meine Flaschen verlangt (obwohl ich weiß, dass sie diese nicht herausrücken kann).

Geht es vielen so, dass sich das eigene Handeln in der konkreten Situation von dem unterscheidet, was man sich selbst eigentlich zurecht gelegt hat? So, dass man zwar eine passende Antwort weiß, sie aber in der passenden Situation - aus welchem Grund auch immer - nicht bringt? Wenn ich länger darüber nachdenke dann frustriert so was.

Absolut, das ist ein normales Verhalten. Vorher kann man immer schlau reden und sich vorstellen, wie "kühl" und überlegt man reagieren würde, wenn einem eine solche Situation widerfahren würde. Doch in der Situation selbst, die zudem meist spontan eintritt, ist man dann so emotional aufgewühlt und unsortiert, dass man Dinge macht, mit denen man selbst gar nicht rechnen würde und die man eventuell auch im Nachhinein bereut.

Das Ärgern über das Fehlverhalten in solchen Situationen bringt sehr wenig. Wir sind nun einmal emotionale und leicht erregbare "Tiere" und die Gene, die für dieses Instinkte Abwehrverhalten (oder Aggressionen) verantwortlich sind, sind praktisch unverändert durch die vergangenen Jahrtausende gegangen. Heißt: Tief drinnen sind wir nach wie vor die Überlebenskämpfer aus dem Urwald.

Das Wort "Coolness" gefällt mir in dem Zusammenhang jedoch sehr gut, aber nicht in dem modernen Sinne von: Ja, wenn mir so etwas passiert, dann mach ich da voll den Aufstand und verlange den Geschäftsführer. Sondern cool bleiben, also ruhig, gelassen und erst ein paar Sekunden über die Situation nachdenken, bevor man sich wieder zu irgendwelche dummen Handlungen treiben lässt.

Ich bin nicht der Typ, der sich großartig die Dinge ausmalt und zurechtlegt. Wenn ich einen guten Tag habe, dann kann ich sehr cool und souverän sein und mein Gegenüber kriegt die passenden Antworten links und rechts um die Ohren gehauen. Ich brauche aber auch nur müde sein, mit dem falschen Bein aufgestanden oder eine halbe Stunde dem unsäglichen Lärm und Kassengetute bei Kaufland ausgesetzt und schon bin ich als HB-Männchen unterwegs.

Ich neige auch dazu, mir Situationen und Konflikte auszumalen und mir vorzustellen, wie cool und souverän ich reagieren würde, wenn ich beispielsweise irgendwo von unfreundlichem Servicepersonal oder ähnlichen Alltagskonflikten höre oder lese. In meiner Vorstellung bin ich dann immer entweder unheimlich herablassend-höflich oder lasse links und rechts mit der Eleganz von Cyrano de Bergerac sarkastische Bemerkungen fallen.

Die Realität sieht meistens ganz anders aus. Entweder traue ich mich nicht, irgendein Problem mit dem schlecht gelaunten Schaffner oder der Kellnerin wirklich aus zu diskutieren oder ich habe schlicht nicht die Energie für cooles und abgeklärtes Verhalten übrig. Meistens stottere ich irgend etwas zusammen und schleiche wie ein begossener Pudel davon. Die passenden Antworten oder kommentare fallen mir dann Stunden später ein. In der Literatur gibt es dafür den Ausdruck "Treppenwitz". Es handelt sich hier also um ein bekanntes, wenngleich manchmal echt frustrierendes, Phänomen.

Ich könnte auch ein Lied davon singen, wie cool ich reagieren will in bestimmten Situationen und es dann letztendlich doch nicht schaffe und eigentlich überreagiere. Das letzte Mal ist es mir bei einem Gespräch mit unserem Bauträger passiert, dass ich mich mit ihm angelegt habe, weil er sehr stur ist und auch mit Gutachten seine Fehler nicht eingestehen will. Aber das nur am Rande. Ich habe mir auch gesagt, dass es nichts bringt, mich aufzuregen, aber letztendlich ist mein Temperament mit mir durchgegangen, ich konnte seine fadenscheinigen Argumente nicht mehr hören und habe ihm meine Meinung gesagt, was natürlich nicht wirklich konstruktiv in dieser Situation war.

Ich bin tatsächlich schon mehrfach in Situationen geraten, die ich mir schon im Kopf ausgemalt habe und sogar schon innerlich Dialoge durchgegangen bin. Dabei wollte ich auch super cool wirken und muss sagen, dass es bisher auch gut geklappt hat und die Gespräche wie am Schnürchen gelaufen sind, als ob ich das Drehbuch geschrieben hätte. Jedoch kannte ich die Personen gut und konnte ihr Verhalten auch gut einschätzen, sodass es relativ einfach für mich war, das Gespräch zu meinen Gunsten verlaufen zu lassen und "cool", wenn nicht gar herblassend zu wirken.

Befinde ich mich aber in einer Situation, auf die ich nicht vorbereitet bin und sehr spontan reagieren muss, werde ich leider ganz anders. Da bleibt von meiner Coolness nicht mehr viel übrig, schlagfertig bin ich dann auch in den seltensten Fällen. Aber so ergeht es wahrscheinlich den meisten Menschen.

Ich verhalte eigentlich auch so, wie ich es möchte. Ich mache mir nicht großartig Gedanken, was ich wann richtig sagen muss oder nicht, eben weil man sich dann nicht mehr trauen würde. Früher war ich auch mal schüchtern und habe über alles nachgedacht, was ich sagen will und wie ich handeln will, aber das bringt es einfach nicht und man muss dann auch so handeln, wie man es sich denkt oder man handeln möchte. Coolness finde ich an der Stelle das falsche Wort. Immerhin ist das ja auch eine Definitionssache.