Können Menschen von Geburt an gefühlskalt sein?
Meine Mutter bezeichnet meine Nichte, also ihre Enkelin, immer mal wieder als "gefühlskalt". Speziell bei einem sehr traurigen Ereignis hat meine Nichte sehr wenig Regung gezeigt. Das würde ich aber auf ihren Schockzustand zurückführen und darauf, dass an diesem Tag alle auf sie geachtet haben. Das mag sie nicht und an einem solchen Tag schon gar nicht. Daher hat sie sich besonders erwachsen angezogen und hat eine starre Miene aufgesetzt. Als Maske sozusagen. Ich finde es auch krass, dass sie es an diesem Tag geschafft hat, diese Maske beizubehalten. Es sich vorzunehmen, ist ja noch mal was anderes als es dann wirklich zu schaffen. Aber ich würde sie deshalb nie als gefühlskalt bezeichnen.
Meine Mutter meint aber, dass meiner Nichte an diesem Tag tatsächlich ihr Styling wichtig war. Das finde ich so grausam von meiner Mutter. Eigentlich ist sie die gefühlskalte. Meine Nichte hat an diesem Tag etwas erlebt, was niemand je erleben sollte und sie war gerade mal 11. Wenn es ihr wirklich nichts ausgemacht haben sollte, dann würde ich mir Sorgen um sie machen anstatt sie dafür zu verurteilen.
Ich kann mich an einen Beitrag hier im Forum erinnern, in dem eine Mutter von ihren sehr unterschiedlichen Söhnen erzählt hat. Der eine wäre sehr kuschelbedürftig, der andere eben nicht. Leider kann ich den Beitrag nicht wiederfinden. Ich weiß gar nicht mehr, worum es eigentlich ging. Aber ich denke, so ist es bei meiner Nichte eben auch. Es ist ihre Art, damit umzugehen und nicht jeder bricht öffentlich in Tränen aus. Auch mit 11 hat man doch schon einen eigenen Charakter.
Kennt ihr Kinder, die man als gefühlskalt bezeichnen könnte? Gibt es so etwas überhaupt? Oder wird man das nicht eher im Laufe des Lebens, wenn man zu viel Schlechtes erlebt hat? Ist es nicht eher etwas anderes, das jemanden gefühlskalt erscheinen lässt? Unfähigkeit, Gefühle auszudrücken, Hemmungen, Angst, Introvertiertheit? Kann man nur von Tränen darauf schließen, dass jemand traurig ist oder auch, wenn er gar nicht in der Lage ist zu weinen?
Psychopathie ist ja so was wie angeborene Gefühlskälte. Psychopathen (nicht im Sinne der umgangssprachlich gemeinten Bedeutung) haben ein vermindertes Einfühlungsvermögen und empfinden Gefühle generell viel schwächer, als "normale" Menschen. Diese Art von Gefühlskälte führt nicht selten zu gesellschaftlich nicht akzeptiertem Verhalten, welches man häufig mit therapeutischen Maßnahmen aufzufangen versucht. Diese wirken in solchen Fällen jedoch nur begrenzt, da die Hirn-Anatomie von Psychopathen deutlich von der Norm abweicht.
Eine andere Art von Gefühlskälte entsteht auf der Grundlage einer Depression. Betroffene erleben Ihren Alltag dann als "grau" und können sich an nichts mehr erfreuen. Sie verbleiben längerfristig in einem Zustand permanenter Trauer, welche im Laufe der Erkrankung ggf. schwächer wird, jedoch immer noch das Auftreten anderweitiger Gefühlsregungen verhindert. Depersonalisation und Derealisation bewirken etwas sehr Ähnliches. Bei diesen Krankheitsbildern nimmt der Betroffene seine Umwelt "wie durch Watte" wahr, und seinen Körper als fremd sowie nicht der eigenen Seele zugehörig. Nach außen hin gibt es jedoch oft nur sehr wenig Anhaltspunkte für diese Erkrankungen und angeboren sind sie auch nur in den seltensten Fällen (mir ist überhaupt kein solcher Fall bekannt).
Umgekehrt gibt es viele Menschen, die nach außen hin zwar völlig teilnahmslos wirken, jedoch über ein sehr lebendiges und abwechslungsreiches Gefühlsleben verfügen. Das Asperger-Syndrom kann eine Ursache für eine solche Erscheinung sein, muss aber nicht. Diese Menschen fallen jedenfalls durch sehr sparsame Körpersprache und Mimik auf, was sie eben als "teilnahmslos" erscheinen lassen kann, selbst wenn sie es nicht sind.
Was Erfahrungen eines Menschen angeht, so können diese sowohl zu Abstumpfung als auch zu Traumata führen, wobei letztere viel eher eine Verstärkung bestimmter Affekte bewirken. Der "Abstumpfungs-Effekt" seinerseits resultiert oftmals aus lang anhaltenden Angstzuständen und permanenter Stress-Exposition. Die Abstumpfung lässt sich dann sogar im Gehirn, mittels bildgebender Verfahren, nachweisen: Bei den Betroffenen sind die Amygdalae verkleinert; jene Hirnregionen, die für die Verarbeitung von Emotionen zuständig sind. Dabei handelt es sich um einen Schutzmechanismus des Körpers. Die dadurch angehobene Schwelle zur Emfpindung von Emotionen ist als Anpassung an die Umwelt zu deuten.
Jeder Mensch hat eine andere Sensibilität. Es gibt sehr emotionale Menschen, die bei jedem traurigen Film weinen, so wie ich. Sogar als Kind habe ich das Zimmer verlassen, wenn Märchen zu traurig waren und habe heimlich geweint, weil es mir peinlich war. Meiner Schwester hat das gar nichts ausgemacht. Ich würde mir allerdings nicht anmaßen, jemanden als Gefühlskalt zu bezeichnen, weil man ja in die Menschen nicht hineinsehen kann.
Aber es gibt bestimmt Leute, die wenig Empathie besitzen. Wie könnte sonst jemand alte Menschen um ihr Erspartes bringen oder Leute überfallen? Das kann niemand machen, der Mitleidensfähigkeit besitzt.
Als Nicht-Fachfrau kann ich nicht sagen, ob Menschen von Geburt an als "gefühlskalt" gelten können, da uns ja gerade in frühen Jahren die Möglichkeit fehlt, Gefühle auszudrücken, die über "nass", "kalt" und "hungrig/durstig" hinausgehen. Auch stellt sich die Frage, wie man Gefühlskälte definiert, sprich, ob manche Gefühle einfach fehlen oder weniger tief empfunden werden. Aber wie will man das objektiv feststellen oder gar messen?
Ganz wichtig ist in meinen Augen auch der Unterschied, ob jemand wirklich beispielsweise keine Trauer empfindet, sie nur sehr gut verbirgt oder auf Grund irgendwelcher Eigenheiten nicht so zeigen kann, dass die anderen das Gefühl auch erkennen. Wie MasterOers schon erwähnt hat, haben z.B. manche Menschen im Autismus-Spektrum ein durchaus entwickeltes Gefühlsleben, wirken aber auf andere hölzern und stoisch, weil sie Probleme mit Mimik und Gestik haben.
Ich kann mir prinzipiell schon vorstellen, dass es Menschen gibt, die aus unterschiedlichen Gründen entweder "weniger" fühlen oder sich schwer tun, die Gefühle ihrer Mitmenschen nachzuempfinden. Ob sich dies jedoch quasi auf genetische Ursachen, Krankheiten, Behinderungen oder negative Erfahrungen und Traumata zurückführen lässt, kann man wohl wie immer nur im Einzelfall entscheiden.
Es besteht ja immer noch ein großer Unterschied dazwischen, ob man keine Gefühle zeigt oder ob man tatsächlich keine hat. Manche Menschen bauen eine Mauer um sich auf und können diese auch sehr gut aufrecht halten, auch wenn es in ihrem Inneren ganz anders aussieht.
Du hast ja nun nicht geschrieben, was genau deiner Nichte passiert ist, aber es tut eigentlich auch nichts weiter zur Sache. Wenn sie sich an diesem Tag scheinbar völlig normal verhalten hat, dann hat sie das Geschehene wahrscheinlich vollkommen verdrängt. Ist ja auch erstmal leichter, als sich mit einem schrecklichen Ereignis auseinanderzusetzen und Gefühle zuzulassen. Irgendwann wird es aber aus ihr herausbrechen, vielleicht auch nur in Momenten, wo sie ganz alleine ist und es niemand mitbekommt.
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