Ist Selbstüberschätzung überlebensnotwendig?

vom 05.06.2013, 14:06 Uhr

In einer Umfrage wurden Lehrerinnen und Lehrer gebeten, ihre Fähigkeiten auf einer Skala von eins bis zehn zu beurteilen, auf rein subjektiver Basis. Nun weiß man, dass längst nicht jeder Lehrer seinen Staatsexamen mit einer 1,0 abgeschlossen hat. In der Umfrage gaben aber tatsächlich um die 95% der Lehrer an, sich für besonders fähig zu halten, was schon statistisch völlig unmöglich ist. Ähnliche Ergebnisse liefert auch die Frage nach der Beurteilung der eigenen Menschenkenntnis und die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.

Ein solches Phänomen hat nun zwei Seiten: Wenn man sich gar nichts zutraut, wird man vermutlich keine Tätigkeiten aufnehmen, an denen man wächst und womöglich tatsächlich überdurchschnittliche Fähigkeiten entwickelt. Auf der anderen Seite kann die Selbstüberschätzung Einzelner gewaltige Schäden anrichten, wie z.B. im Falle eines Lehrers, der seine Stelle nicht räumen will, obwohl er in Wirklichkeit nicht fähig ist seinem Lehrauftrag in angemessenem Maße nachzukommen, von Politikern und Spekulanten ganz zu schweigen.

Nun kann man sich fragen: Wie kommt es zu dieser Erscheinung der Selbstüberschätzung? Die Antwort lautet wie so oft: Evolution. Geht man vom umgekehrten Fall aus, - nämlich, dass sich jeder für minderwertig hält - käme es vermutlich zum Stillstand aller Fortschritte in allen Bereichen und da das Merkmal der Selbstüberschätzung offenbar immer weiter vererbt wurde, ist es anscheinend tatsächlich überlebensnotwendig.

Der Begriff "Überschätzung" ist natürlich ziemlich negativ behaftet, und genauso negativ empfinde ich auch diesen Effekt. Ich erinnere mich da an einen Mitschüler im Politikunterricht, der einmal wie aus dem Nichts verlauten lies, er traue es sich zu Politiker zu werden. Sein sicheres Auftreten hätte ihm bestimmt den Weg zum Ziel geebnet. Dabei hatte der Bursche in den aller seltensten Fällen Noten, die über das Mittelmaß hinausgingen, und seine Gedankengänge, die im Unterrichtsgespräch zum Tragen kamen, waren weder besonders stichhaltig, noch revolutionär.

Auf die gesamte Gesellschaft übertragen, ist die Selbstüberschätzung dennoch als durchaus positiv zu werten, da sie den Wettbewerb und damit den Fortschritt fördert. Jeder soll sich gerne so viel überschätzen, wie er will. Irgendwann wird er (nicht zuletzt dank der Selbstüberschätzung) eines Besseren belehrt, sofern dafür ein Anlass besteht. Ich persönlich glaube meine Stärken recht objektiv beurteilen zu können. Aber Moment: ist das nicht auch schon Selbstüberschätzung ;)?

Würdet Ihr diese Erscheinung als positiv oder doch tendenziell als negativ (bezogen auf dessen Auswirkungen) bewerten? Schließlich kann die Selbstüberschätzung auch zu Arroganz führen, was m.E. keine so tolle Charaktereigenschaft ist. Seid Ihr von dem Phänomen auch betroffen?

» MasterOers » Beiträge: 348 » Talkpoints: 1,16 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich denke, du hast schon ganz recht mit deinen Ausführungen. Wenn sich jeder unterschätzen würde, wären wir alle kleine Häufchen Elend und hätten null Ehrgeiz, etwas zu verbessern. Wobei ich mich selber auch von der Selbstüberschätzung ausnehme und mich total objektiv beurteilen kann. :lol:

Ich hab im Zusammenhang mit "Deutschland sucht den Superstar" mal einen interessanten Bericht gelesen. Dort kommen ja auch Leute zum Casting, bei denen man sich nur wundern kann, wie sie auf die Idee kommen Singen zu können. Das muss ihnen doch auffallen, dass sie nicht einen Ton treffen und sich total lächerlich machen.

Es fällt ihnen nicht auf. Dank des Dunning-Kruger-Effekts, der es inkompetenten Personen erlaubt, ihre Fähigkeiten vollkommen überzubewerten und die Fähigkeiten von anderen, kompetenten Personen unterzubewerten. So halten sie sich mindestens für Mittelmaß, wenn nicht für besonders klug, interessant oder in irgendetwas ausgesprochen gut. Wahrscheinlich sind sie nur so mental überlebensfähig. Alles andere würde sie zu sehr deprimieren.

Also je inkompetenter, desto mehr von sich überzeugt. Ist man allerdings tatsächlich kompetent, überschätzt man sich nicht mehr in diesem Ausmaß. Ein sehr interessanter Effekt, der einiges erklärt, wie ich finde. Unter anderem, warum ich mich ganz objektiv für schlau halte. Weil ich es bin. :lol:

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


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