Seht ihr in Wagner den Komponisten oder den Antisemiten?
Die Wagner Festspiele in Bayreuth sind ja für sich gesehen ein Ereignis in erster Linie für die "Elite" des Landes. Die Vergabepraxis der Tickets ist ja Jahr für Jahr in der Kritik und auch der Anspruch der Festspielmacher ist sicher zu hinterfragen. Und es gibt - auf Grund großer Nachfrage - natürlich sowohl einen Schwarzmarkt für die Eintrittskarten als auch einen Handel mit gefälschten Karten, was ja tatsächlich ein Betrug darstellt.
Jetzt gab es aber eine Aktion einer Künstlergruppe, die - eigenen Angaben zufolge - 50'000 falsche Tickets an Bayreuther Haushalte verteilt hat. Es handelt sich um Freitickets inkl. freier Platzwahl. Es ist in meinen Augen eigentlich ausgeschlossen, dass ein Bewohner in Bayreuth hier die Fälschung nicht als solche einstuft. Zumal das Prozedere um die Karten ja dort bekannt sein dürfte.
Mit der Aktion wollte die Künstlergruppe auf den verharmlosenden Umgang des Antisemitismus im Zusammenhang mit Wagner aufmerksam machen. Ich persönlich finde, dass das zu Recht geschieht und halte die Aktion für gelungen. Auch wenn jetzt die Polizei ermittelt. Aber nachdem jetzt auch noch der 200. Geburtstag von Wagner gefeiert wird, ist es doch so, dass die eigentliche Geschichte gerne unter den Teppich gekehrt wird. Zwar erkennt man an, dass Wagner sich als Antisemit zu erkennen gegeben hat (zahlreiche Veröffentlichungen von ihm sowie diverse Briefwechsel und Tagebucheintragungen zeugen davon). Aber man will eine Trennung zu seinem Wirken als Künstler sehen, und ihn so rehabilitieren. Auch nimmt man für sich in Anspruch, dass Wagners Antisemitismus keinen Vernichtungswillen gezeigt hat. Aber macht diese Sicht die Sache besser?
Viele sehen ja in erster Linie den "genialen" Komponisten - und werten seine politische Sicht nicht bzw. sehen sie als lässlich. Aber kann oder darf man tatsächlich so eine Unterscheidung machen?
Die Unterscheidung in Künstler und Privatmensch ist tatsächlich schwierig, weil ja seine Persönlichkeit in seine Musik eingeflossen ist. Das gehört ja alles zur Person Wagner dazu. Und wenn man ein ganzes Festival nur ihm widmet, sollte dies dort auch thematisiert werden. Wenn es um dutzende verschiedenen Künstler ginge, könnte man es eher vernachlässigen, aber der Fokus auf eine Person verpflichtet eigentlich dazu, die ganze Person zu beleuchten.
Andererseits sollte es bei Wagner natürlich auch nicht nur darum gehen, dass er Antisemit war. Das wäre ebenso eine unnatürliche Einschränkung. Er war nun mal beides und wahrscheinlich noch vieles anderes mehr. Zudem denke ich, dass Antisemitismus damals ja sehr weit verbreitet war. Sollten wir wirklich alle Künstler aus unserer Geschichte wegen ihres Antisemitismus ignorieren, würden nur sehr wenige übrigbleiben. Und es würde das Geschichtsbild ja auch verfälschen.
Vor allem ist Antisemitismus wirklich nicht sofort mit dem Holocaust gleichzusetzen. Das sind zwei Paar Schuhe. Das ist im Endeffekt genauso wie mit dem Islam und den Terroristen. Nicht jeder Muslim kann den bewaffneten Kampf gegen Ungläubige gutheißen und im Grunde hat dieser Kampf gar nichts mehr mit dem Islam zu tun. Hitler ging es doch auch nicht wirklich um den Antisemitismus, er war nur ein Vehikel, das sich aufgrund seiner Verbreitung anbot.
Ich finde es besser, wenn sich mit der Geschichte des Antisemitismus auseinandergesetzt wird. Antisemitismus ist ein Fakt. Ihn und seine Anhänger einfach nicht mehr zu erwähnen, wäre falsch. Wagner ohne seinen Antisemitismus darzustellen und zu feiern, ist ebenso falsch. Er hätte das wahrscheinlich auch gar nicht gewollt. Er war ja freiwillig Antisemit.
Mit der Aktion wollte die Künstlergruppe auf den verharmlosenden Umgang des Antisemitismus im Zusammenhang mit Wagner aufmerksam machen. Ich persönlich finde, dass das zu Recht geschieht und halte die Aktion für gelungen. Auch wenn jetzt die Polizei ermittelt. Aber nachdem jetzt auch noch der 200. Geburtstag von Wagner gefeiert wird, ist es doch so, dass die eigentliche Geschichte gerne unter den Teppich gekehrt wird.
Mir ist das eigentlich egal, welche genaue politische Einstellung Wagner hatte, schließlich hat er keinem was getan und insofern niemand anderen Menschen aktiv schadet, sind mir politische Meinungen generell egal. Es kann doch jeder denken und glauben was er will, insofern er dann niemandem Schaden zufügt, spielt das doch gar keine Rolle. Wenn man das alles so genau nimmt, müsste man selbst etwas gegen Luther haben, der soll ja auch in so manchem Brief erwähnt haben, dass er gegen den jüdischen Glauben ist.
@Zitronengras: Das ist genau der fruchtbare Boden für latenten Antisemitismus oder aber gerne auch für z.B. Ausländerhass. Natürlich will man sich nicht mit einem Schläger-Skin vergleichen, der Häuser abfackelt. Aber wie kommt man auf die Idee zu glauben, man sei besser weil man sich hinter der "Meinungsfreiheit" versteckt? Nur weil man Ausländerhass verbreitet, schlägt man keinen. Und du behauptest, dass das ja dann egal ist?
Nebenbei: niemand verteidigt Luther! Der hat bzgl. der Judenfrage genug aus der katholischen Kirche gelernt. Und natürlich ist die gesamte christliche Kirche auf Antisemitismus gegründet. Denn hier ist es so, dass "die Juden" den Sohn Gottes ermordet haben. Und was das für Konsequenzen haben kann, sieht man z.B. auch unter der Geschichte von Papst Pius XII. Aber auch alle Vorgänger standen dem Judentum feindlich gegenüber. Die Piusbruderschaft sieht nur in bekehrten Juden (zum katholischen Glauben!) wirklich gute Juden.
Ich finde schon, dass man nicht immer so ein Theater darum machen sollte, weil irgendjemand mal vor zweihundert Jahren in einem Brief irgendwas geschrieben hat, was mit unserem heutigen freiheitlichen Denken nicht zusammenpasst. Zu der damaligen Zeit haben bestimmt viele ähnlich gedacht und insofern war Wagner auch nur ein Kind seiner Zeit. Zudem heißt das Besitzen einer Meinung ja nicht automatisch, dass man diese aktiv verbreitet. Dass jemand, der etwas denkt, das auch mal anderen mitteilt, ist auch irgendwo normal, aber das ist nicht mit politischer Propaganda oder Meinungsmache zu vergleichen. Manche Einstellungen sind nur irgendwo in einem Kopf vorhanden, aber wirken gar nicht handlungsleitend. Nur weil jemand etwas denkt, heißt das nicht, dass deswegen gleich andere Leute Schaden nehmen.
Ich habe sicherlich auch gewisse Meinungen oder Ansichten, die wieder anderen nicht gefallen, wobei es sich da nicht um politische Inhalte handelt. Aber wenn es bei allen anderen Fragen des Lebens egal ist, was jemand denkt und man da tolerant ist, warum dann nicht auch bei politischen Ansichten? Dass der Schläger-Skin ein Schläger-Skin ist, ist nur seine Schuld, denn er hat sich ja zu seinem Verhalten entschieden. Dafür können andere, die vielleicht eine (mir sicherlich auch nicht sympathische) Meinung vertreten, aber nichts. Jeder ist für sein eigenes Handeln verantwortlich.
Und was das für Konsequenzen haben kann, sieht man z.B. auch unter der Geschichte von Papst Pius XII. Aber auch alle Vorgänger standen dem Judentum feindlich gegenüber. Die Piusbruderschaft sieht nur in bekehrten Juden (zum katholischen Glauben!) wirklich gute Juden.
Jede Religion hat es an sich, dass man annimmt, sie sei die Wahrheit und die Angehörigen anderer Glaubensrichtungen liegen irgendwie falsch. Denn ansonsten gäbe es ja keinen Grund, genau das zu glauben, was man eben glaubt. Das hat in der Vergangenheit auch zu Kriegen etc. geführt, was sicherlich nicht schön ist, aber das ist ja in zumindest zivilisierten Ländern heute nicht mehr der Fall. Vermutlich sind aber dennoch die meisten derjenigen, die heutzutage einer Religion angehören, der Ansicht, dass sie richtig liegen und die anderen nicht. Das ist ja auch nicht verwerflich, insofern man dann dem Andersglaubenden tolerant gegenübersteht, ist das doch ok. Nur weil das früher nicht der Fall war, bedeutet das doch nicht, dass man heute keinen Glauben mehr haben darf.
@Zitronengras: Evtl. ist das ja nicht wirklich allen klar - das könnte aber auch Resultat der Behandlung von Wagner sein, die ich zu kritisieren will - Richard Wagner ist nicht nur ein "Kind seiner Zeit". Er gilt als Vorreiter des modernen Antisemitismus. Immer wieder veröffentlicht er Pamphlete die gegen Juden hetzen und wünscht ihren Tot. Dazu muss man sich nur mal über sein "Werk" kundig machen: "Das Judentum in der Musik".
Was ihn dann auch besonders macht: für ihn ist ein Jude immer ein Jude, auch wenn er zum Christentum konvertiert. Das hat dann nichts mehr mit dem Antisemitismus der Kirchen zu tun, bei denen eben ein Jude sich retten kann indem er sich zum "wahren Gott" durch die Taufe bekennt. Für Wagner ist das egal. Wenn jüdische Vorfahren da sind, dann spielt das "aktuelle Glaubensbekenntnis" keine Rolle mehr. Damit erreicht der Antisemitismus eine neue Qualität!
Er bedient sich aller Vorurteile und bestreitet, dass Juden deutsch sein können (wobei "deutsch" in der damaligen Zeit sogar was fortschrittliches war). Für Wagner waren Juden schlicht "Parasiten im Volkskörper". Und über deren Tot muss man nicht betrübt sein. Darf man dies schon als Meinungsfreiheit sehen? Heute oder damals?
Nur als Opportunist hält er sich jüdische Freunde, die ihn weiter bringen können. Dieser Widerspruch ist es, was heute genommen wird, um zu zeigen, wie "wenig schlimm" sein Antisemitismus war. Ich selbst sehe solche Feigenblätter aber nicht als echte Entschuldigung.
Jede Sache und auch jeder Mensch hat seine guten als auch schlechten Seiten. Auch denke ich, dass wir durch diese schlechten Seiten viel lernen können es jedoch nicht zwanghaft müssen. Es mag zwar einigen ein Gräuel im Auge sein, dass Wagner auch ein Antisemitist war und nicht nur ein brillanter Komponist doch ich denke, dass dies wieder zeigt, dass der Mensch einfach nicht perfekt ist. So muss man halt abwägen welche Seite Wagners man besser findet.
Aus diesem Grund halte ich mehr von seiner Musik als von seinem Antisemitismus, doch wir sollten diesen Aspekt und auch andere Aspekte seines Lebens nicht vergessen und nicht einfach unter den Teppich kehren, da diese wohl doch seine Werke und auch sein Leben geprägt haben. Deshalb finde ich zwar die Idee den Antisemistismus Wagners ins Licht zu rücken gut, jedoch ist die Fälschung von Eintrittskarten meiner Meinung nach nicht der richtige Weg, da man, egal wie gut der Wille auch ist, nicht gegen das Gesetz verstoßen sollte.
Valdez hat geschrieben:Aus diesem Grund halte ich mehr von seiner Musik als von seinem Antisemitismus,
Und nur weil Wagner persönlich nicht vermerkt hat, dass er z.B. auch im "Ring der Nibelungen" seine Judenkarikaturen anbringt, sollen die Werke frei von Antisemitismus sein? Dazu vielleicht mal ein Blick auf den Bruder des Unterweltzwergs Alberich riskieren: es ist diese Mine, der mit Schmeichelleich, List und Tücke versucht, den Germanen Siegfried für die eigenen üblen Zwecke einzuspannen. Alle Züge, die Wagner diesem Mine zuschreibt, entsprechen denen die man dem verschlagenen Juden zugesprochen hat. Um jetzt wirklich nur ein Fallbeispiel zu nehmen (das bekannteste).
Und nur weil Wagner persönlich nicht vermerkt hat, dass er z.B. auch im "Ring der Nibelungen" seine Judenkarikaturen anbringt, sollen die Werke frei von Antisemitismus sein? Dazu vielleicht mal ein Blick auf den Bruder des Unterweltzwergs Alberich riskieren: es ist diese Mine, der mit Schmeichelleich, List und Tücke versucht, den Germanen Siegfried für die eigenen üblen Zwecke einzuspannen. Alle Züge, die Wagner diesem Mine zuschreibt, entsprechen denen die man dem verschlagenen Juden zugesprochen hat. Um jetzt wirklich nur ein Fallbeispiel zu nehmen (das bekannteste).
Sind deswegen auch alle anderen künstlerischen Werke, Musikstücke, Geschichten oder Bücher schlecht und böse, weil da jemand auftaucht, der als listig und verschlagen gilt und das könnte ja einen potentiell antisemitischen Hintergrund haben? Das finde ich schon ganz schön übertrieben, man kann doch nicht jeden des Antisemitismus beschuldigen, nur weil der Figuren erdacht hat, die negative Eigenschaften haben und es auf der anderen Seite Vorurteile gibt, die ähnlich klingen. Das ist schon ganz schön weit hergeholt. Mit der Argumentation könnte man fast überall böse Tendenzen und Absicht hinein interpretieren.
Wagner ist für mich nachweislich ein sehr großer Antisemit gewesen. Es gibt zahlreiche Niederschriften, wo er sich über Juden negativ äußert. Erstaunlich ist nur, dass er seine Komponistenkarriere auf die Schultern von Juden gestützt hat. So waren wichtige Wegbereiter des Ring des Nibelungen unter anderem deutsche jüdische Musiker und Komponisten. Teilweise haben diese Menschen sogar in seinem Haus gelebt und mit ihm gearbeitet.
Das Thema Wagner und die Juden ist sehr komplex, aber nicht erst seit der Machtergreifung der Nazis. Ich denke, dass zu Wagners Zeiten zusätzlich die Deutschen nach einer gemeinsamen Identität gesucht haben. Die Juden hatten jedoch durch ihre Tradition und Religion ein verbindendes Element, also den Deutschen etwas voraus. Vielleicht ist das ein Grund, warum sich Wagner, wie übrigens sehr viele andere Zeitgenossen, sich auf diese Thema gestürzt haben. Es ist also falsch zu behaupten, dass Wagner von den Nazis missbraucht wurde. Was nicht zuletzt durch die Wagnerfamilie befördert wurde.
Was aber bleibt ist ein Künstler, der Gesamtkunstwerke geschaffen hat und wirklich Neues in der Musikwelt geschaffen hat. Mit der Ideologie kann ich mich nicht einverstanden erklären, aber die Musik ist gewaltig und überaus schön. (aber sehr sehr lang )
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