Wie persönlich und ehrlich sollte eine Grabrede sein?

vom 21.05.2013, 10:56 Uhr

Bereits hier Grabinschrift - was ist erlaubt? habe ich schon erwähnt, dass der Bruder einer Bekannten an einer Überdosis Drogen vor wenigen Tagen gestorben ist. Sie bat mich die Grabrede zu übernehmen, weil ich ihren Bruder gut kannte. Dem habe ich stillschweigend und kopfnickend zugestimmt. Da sein Tod in unserem Kreise eine riesige Diskussion über das heikle Thema Drogen ausgelöst hat und die Beerdigung kurz bevorsteht bin ich mir immer noch nicht ganz sicher was ich alles in die Grabrede hineinpacken sollte.

Alle anwesenden Gäste kennen den Verstorbenen gut und wissen genau, dass er weder ein Engel war, noch einen Heiligenschein trug. Erst jetzt fällt mir auf, dass es sich daher als ziemlich schwierig gestaltet eine halbwegs gute Grabrede zu halten. Ich kann nicht viel von seiner Vergangenheit erzählen, weil diese sehr kriminell gewesen ist. Auch sein Elternhaus war kein Zuckerschlecken. Die Rede habe ich bisher ziemlich neutral gehalten und beziehe mich auf ihn wie einen guten Freund, der immer für mich da gewesen ist wenn ich ihn gebraucht habe. Die Aussage stimmt in keinster Weise, aber ich sollte ja nach Möglichkeit einige positive Eigenschaften nennen.

Auf was sollte ich mich hier also am ehesten beziehen? Sollte ich die Grabrede eher unpersönlich gestalten und schön reden, oder ehrlich sein? Wäre es sinnvoll seinen Tod herunter zu spielen oder am besten gar nicht erst zu erwähnen?

» Horkrux » Beiträge: 564 » Talkpoints: 53,84 » Auszeichnung für 500 Beiträge



So eine Grabrede unter diesen Umständen zu halten ist sicherlich nicht einfach und natürlich kann ich auch deine Bedenken verstehen, warum du eher ungern die Wahrheit sagen würdest, aber lügen würde ich auf keinen Fall. Immerhin kennen alle den Verstorbenen und wissen um seine Unzulänglichkeiten. Ich würde so etwas in der Richtung sagen, dass er sein Leben eben genossen hat und trotzdem, dass er doch auch falsche Entscheidungen getroffen hat immer ein klasse Typ war. Ich denke, dass man hier einen Mittelweg finden sollte, aber eben auch auf seine Sucht und fasche Entscheidungen mit einbeziehen sollte. Sie waren nun mal auch ein Teil von ihm und bei Grabreden wird leider viel zu oft gelogen und es werden Dinge schön geredet.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Ich denke, in der Grabrede sollten positive Dinge stehen. Der persönliche Stil gibt deine positiven Erfahrungen mit der verstorbenen Person wieder - das meint man unter "persönliche" Grabrede. Da wird die Person geschätzt, in gute Erinnerungen gegeben und gleichzeitig der Abschied zu ihr.

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» kleineAmsel » Beiträge: 205 » Talkpoints: 0,57 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich würde wahrscheinlich einfließen lassen, dass derjenige kein leichtes Leben hatte, dass er mit einigen Dingen zu kämpfen hatte (ohne konkret auf Begriffe wie Drogen zu kommen) und er dennoch diese und jene positiven Eigenschaften hatte und ich hoffe, dass er jetzt seinen Frieden gefunden hat - so ungefähr jedenfalls.

Ich denke, es ist schon in Ordnung, wenn man eben anspricht, dass derjenige kein friedvolles Bilderbuchleben geführt hat, ohne aber, dass man ihn dafür im Nachhinein verurteilt. Vielleicht kann man das so darstellen, dass er eben trotz seiner großen Probleme in bestimmten Dingen positiv auffiel.

» Gingerhead » Beiträge: 500 » Talkpoints: 65,23 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Ich kenne mich jetzt mit persönlichen Grabreden weniger aus, sondern eher mit professionellen Grabrednern. Von Beerdigungen von Drogentoten kenne ich da auch so, dass der Pfarrer oder Grabredner weniger auf Lügen zurückgreift, als sich aus den Informationen die er bekommt, einen schönen Text zu überlegen.

Es geht ja am Grab nicht um kriminelle Taten- auch dahinter können ehrwürdige Motive stecken. Scheinbar hatte er auch in schweren Zeiten den Kontakt zur Familie gehalten. War ein (vermutlich) junger Mann, auf der Suche nach dem Sinn in seinem Leben. Hatte Wünsche, Träume und Sehnsüchte- vielleicht auch welche von denen er nicht jedem erzählte. Aber hinter jeder Sucht stecken ja auch Sehnsüchte und Hoffnungen.

Und wenn alle von der Drogensucht wussten, kannst du ja durchaus auch erwähnen, dass er nach langem Kampf diesen gegen die Sucht/Krankheit verloren hat. Und Familie und Freunde hinterlässt, die ihn vermissen werden. Dass man ihm wünscht nun seinen Frieden zu finden.

Auch denke ich, dass du vermutlich sehr wohl einige Eigenschaften von ihm kennst, wenn du ihn gut kanntest. War er sein ruhiger Mensch, ein guter Zuhörer, konnte man mit ihm Spaß haben, Dinge unternehmen, hat er andere zum Lachen gebracht oder konnte ihr gute Gespräche führen? Mochte er Kinder oder Tiere, hatte bestimmte Interessen oder hat sich für etwas eingesetzt?

Ich selbst habe einige Drogensüchtige kennengelernt und muss sagen, dass da sehr wohl auch gute Eigenschaften vorhanden waren. Natürlich ist es erstmal nicht schön, wenn man erfährt, dass die Weihnachtsgeschenke für Kinder aus kriminellen Taten stammten- und zeigt dennoch, dass sich dieser für seine Familie interessierte, seinen Kindern ein gutes Leben ermöglichen wollte, anderen gerne eine Freude bereitet hat und alles in seiner Macht stehende dafür tat.

Ebenso finanzierte sich eine andere Drogensüchtige aus illegalen Mitteln eine Fernreise, bzw. einen längeren Aufenthalt und lernte in der Karibik auch immer wieder Männer kennen. Das spricht für eine große Sehnsucht, eine junge Frau auf der Suche nach der große Liebe, einen Menschen, der viel erleben wollte, neugierig war und sich für seine Ziele eingesetzt hat. Jemanden der nicht aufgeben wollte, das Leben genossen hat und seine Pläne stets in die Tat umsetze.

Ich hoffe du verstehst was ich meine? Überlege dir, wie du ihn kennengelernt hat. Womit hat er sich zuletzt beschäftigte? Wollte er eine Ausbildung, einen Entzug machen, eine Familie gründen oder gab es vielleicht sogar eine eigene? Vielleicht gab es auch ein besonders schönes gemeinsames Erlebnis, dass du schildern kannst?

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» Trisa » Beiträge: 3297 » Talkpoints: 31,17 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


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