Ist das Zeitempfinden im Alter wirklich so viel anders?

Ich bin, wie man so schön sagt, in der "Blüte meines Lebens". Aber ich höre oft von meinen Großeltern und nun auch schon von meinen Eltern, dass die Zeit im Alter einfach schneller um geht als in jungen Jahren. Selbst Rentner, die sich den ganzen Tag langweilen meinen, dass die Zeit schnell um geht. Ich kann mich noch an meine Kindheit erinnern, dass von einem Geburtstag zum nächsten unheimlich viel Zeit vergangen schien. Mittlerweile geht die Zeit ehrlich gesagt auch schneller um und ich kann schon nicht verstehen, dass wir schon wieder April haben.

Wie kommt das aber, dass man, wenn man älter wird ein so unterschiedliches Zeitempfinden hat im Gegensatz zu einem Kind oder einem Heranwachsenden? Als Jugendlicher ist beispielsweise ein Schuljahr sehr lange gewesen und wenn ich jetzt an meine Arbeit denke, kommt mir die Zeit, die ich in dem Betrieb bin vor, als wenn ich gestern erst dort angefangen habe.

Ich denke, dass in der Kindheit einem die Zeit langsamer davon läuft, dass es einem auf jeden Fall so vorkommt, weil man als Kind nicht so viele Verpflichtungen hat und keinen vollen Terminplan und somit einfach zu viel Zeit besitzt und die Kinder nicht genau wissen, was sie damit anfangen sollen.

Zu dem haben Kinder eh kein richtiges Zeitempfinden. Wenn du einem Kind erzählst, dass man schon April hat, dann verstehen sie gar nicht, wie viele Tage oder wie viel Zeit schon vergangen ist.

Es ist ja auch so, dass beschäftigte Kinder, die beispielsweise ganz intensiv spielen, dass die Zeit auch einem so davon rennt, weil sie gar nicht mit bekommen, wie lange sie beispielsweise schon draußen auf dem Spielplatz sind und spielen. Wenn man dann zu den Kindern sagt, dass man schon drei Stunden auf den Spielplatz ist und jetzt nach Hause will, dann kommt es den Kindern so vor, als wären sie gerade mal zehn Minuten auf den Spielplatz.

Und so denke ich auch, ist es im Erwachsenenalter. Man hat als Erwachsener jede Menge zu tun und eigentlich immer einen vollen Terminplan, sodass man am Ende des Tages gar nicht mitbekommt, wie der Tag schon wieder vorbei ist. Man ist ständig beschäftigt und deshalb kommt es einen so vor, als, wenn die Zeit rennen würde.

"Die ersten 18 Jahre des Lebens kommen einem genau so lange vor, wie der anschließende Rest des Lebens." So könnte man das vielleicht beschreiben. Wobei das "im Alter" hier sicher nicht auf das Alter zutrifft, welches man unter "im Alter" unterstellt. Nebenbei ist es ja kaum so, dass sich Rentner im Alter zwangsläufig langweilen würden oder müssen.

Das Zeitempfinden ist tatsächlich insofern anders, als das weniger freie Zeit zur Verfügung steht und man regelmäßig überrascht ist, wie schnell im Jahr wieder der Zeitpunkt erreicht ist, an dem man sich um Weihnachtsgeschenke kümmern muss. Eben jetzt ist es - auch auf Grund des langen Winters - schon so, dass das erste Viertel im Jahr schon vorüber ist. Und mir kommt das letzte Silvester noch nich so fern vor. Jetzt kommt dann der Sommer und schon gleich nach dem Urlaub wird es schon herbstlich. Und wieder wäre ein Jahr vorüber.

Meiner Meinung nach liegt das daran, dass man als Kind jeden Tag neue Dinge erlebt und diese dann natürlich auch extra abspeichert. Als älterer Mensch hat man schon so viel in seinem Kopf abgespeichert, dass man Dinge, die man schon kennt, nicht mehr hineintun muss, und sie im Gehirn nicht geschehen sind, oder zumindest fast so wie nicht geschehen.

Die Zeit ist ja nur in der Rückerinnerung kürzer. Fünf Minuten sind auch für mich genauso lang wie fünf Minuten für meine Kinder. Aber ein ganzes Jahr erscheint im Rückblick kürzer, weil einfach weniger Neues passiert ist.

Ich bin da hin- und hergerissen weil ich mir nicht vorstellen kann wie das wirklich ist wenn man den ganzen Tag zu Hause sitzt und weil ich auch nicht weiß was in meinem Kopf dann so vorgeht.

Bloß Mal so als Beispiel. Mein Vater und meine Mutter sind Rentner und auf Grund von Invalidität und Arbeitslosigkeit schon seit Ewigkeiten zu Hause. Keiner kann sich mehr so richtig zu etwas aufraffen. Vor einiger Zeit kam ein Schreiben welches mit ein paar Zeilen beantwortet werden konnte, sogar handschriftlich. Es war wichtig da es um Geld ging. Der Brief ist bis heute nicht beantwortet, mein Vater meint dass er das am Wochenende erledigen muss wo er die Ruhe dazu hat. Dazu fällt mir nichts ein. Mein Vater läuft mit dem Rollator durch die Wohnung, geht nirgendwo hin und hat keinerlei Verpflichtungen oder Hobbys. Dann hat keine Zeit dafür?

Andererseits muss man im Alter höchstwahrscheinlich in anderen Zeitabschnitten denken. Als junger Erwachsener oder als Kind sind zehn Jahre beispielsweise ein kaum einzuschätzender Zeitabschnitt und absolut nicht vorstellbar, als Rentner kann es dagegen passieren dass man diese Jahre nicht mehr hat. Die Zeit dürfte also im Alter schneller vergehen, natürlich nicht physikalisch betrachtet. Manche haben noch sehr viel vor, möchten noch ausgiebig Reisen oder die Enkel heranwachsen sehen. Daneben gibt es vielleicht noch einen Garten oder ein Haus was bewirtschaftet werden muss. Weil man sich dann eventuell zu viel vorgenommen hat und auch nicht mehr alles so flüssig von der Hand geht wie früher wird die Zeit tatsächlich knapp. Auch habe ich schon festgestellt dass oft in den Tag hineingelebt wird und man gar nicht mehr weiß was für einen Wochentag man gerade hat. Da fehlt dann auch wiederum ein gewisses Zeitempfinden.