Selbstkontrolle im Alkoholrausch

Von den Wirkungen des Alkohol kann wohl fast jeder ein Liedchen singen: meist ist man plötzlich richtig gut drauf, wird gesprächig, sehnt sich nach sozialer Interaktion, man beginnt herzumzualbern und einfach das eigene Dasein zu genießen. Die Kritik gegenüber sich selbst nimmt ab und ab einem gewissen Pegel dauert es nicht lange bis auch die Selbstkontrolle kapituliert hat.

Am nächsten Tag erinnert man sich mit Scham an Momente des vergangenen Abends, an dem bestimmte Handlungen ein derartiges Peinlichkeits-Level erreicht hatten, dass sie rückblickend mit einem noch so hohem Pegel nicht mehr zu rechtfertigen sind. Da fängt man plötzlich an mit Blumentöpfen zu reden oder gesteht seiner Ex die ewige Liebe. Hinzu kommen Facebook-Kommentare bei den man sich fragt ob man sie überhaupt selbst verfasst haben kann. Ob nun in Real Life oder Online: Oft steht man am Tag danach mit hochrotem Kopf vor dem Spiegel oder Monitor. Und da drängt sich doch die Frage auf: geht es nicht auch anders?

Gewiss: das Gehirn macht es einem nicht leicht sich selbst überlisten zu lassen. Wenn man betrunken ist, realisiert man dies nicht viel mehr als wenn man im Traum erkennt, dass es sich um einen Traum handelt. Die herabgesetzte Selbstkritik setzt gewohnte Denkweisen außer Kraft und man kann eigentlich gar nicht anders als Dinge zu betrachten, so wie man sie just in diesem Moment sieht. Die Wahrnehmungen unwillkürlich mit anderen Emotionen belegt als im nüchternen Zustand und derlei Attributionen entziehen sich jeder Kontrolle. Es ist nicht möglich sowohl mit dem Hinterkopf als auch mit den Augen gleichzeitig zu sehen.

Was jedoch durchaus möglich ist: erkennt man eine gewisse Unvereinbarkeit einer Handlung mit dem eigenen Selbstkonzept - was im Rausch unter objektiver Betrachtung der eigenen Persönlichkeit sehr wohl praktikabel ist -, so kann man sie auf einen Zeitpunkt der Nüchternheit aufschieben. Wenn ich also unter Alkoholeinfluss zu einem Facebook-Post meinen Senf abgeben will, verschiebe ich das Vorhaben einfach auf morgen und überlege dann, ob das überhaupt nötig ist. In den meisten Fällen erkannte ich dann am nächsten Tag, dass ich mich durch einen entsprechenden Kommentar nur lächerlich gemacht hätte und somit ist eine solche Aufschiebe-Strategie als simpel und effektiv gleichermaßen anzusehen. Bei mir funktioniert sie vorzüglich.

Anders dürfte es sich mit der sozialen Interaktion im "echten" Leben verhalten. Neben der eigenen - ohnehin verzerrten - Selbstwahrnehmung spielt hier auch die äußere Wahrnehmung seiner Selbst eine entscheidende Rolle. Die Wahrnehmungen der Personen aus der Umwelt wirken dann auf einen selbst zurück und veranlassen einen auf diesem Wege so zu handeln, wie man von der Umwelt wahrgenommen wird. Diesem Prozess kann man sich auch im nüchternen Zustand nur mit großer Mühe und starker Selbstreflexion entziehen. Im Zustand der Trunkenheit ist sowas also erst recht zum Scheitern verurteilt. Versucht man sich dann konträr zu den Erwartungen der Umwelt zu verhalten, wird dies höchstens Irritationen und - nicht zuletzt alkoholbedingte - Lacher nach sich ziehen. Zudem ist die Kommunikations-Geschwindigkeit mitzuberücksichtigen: Bei Facebook kann man sich die eine oder andere Minute nehmen um die Notbremse zu ziehen. Im echten Leben jedoch laufen Dialoge in Sekunden-Bündeln ab. Da lässt es sich nicht vermeiden, dass ab und an etwas herausrutscht, was einem im Nachhinein peinlich ist.

Glaubt Ihr, dass es möglich ist unter Alkoholeinfluss ein gewisses Maß an Selbstkontrolle zu wahren und seine Äußerungen kritisch zu überdenken?

Deine Frage ist etwas zu allgemein formuliert. Natürlich ist es unter Alkoholeinfluss möglich, klipp und klar zu denken. Wieso auch nicht? Es kommt auf die Menge an! Es ist ein Unterschied, ob jemand zwei Bierchen oder eine halbe Flasche Wodka getrunken hat. Ich finde, es kommt eher auf das Gewaltpotenzial einer Person an. Manche Menschen sind leicht reizbar und benutzen den Alkohol nur als Grund, wieso sie sich plötzlich aggressiv verhalten können. Einige Personen können sich überhaupt nicht beherrschen und werden bei dem kleinsten Konflikt sofort gewalttätig. Hier gilt es aufzupassen.

Nimm als Beispiel den Straßenverkehr. In Deutschland ist es erlaubt, einen gewissen Promillewert im Blut zu haben. Nicht für Fahranfänger, aber für erfahrene Fahrer. Wenn zwei Bierchen einen so großen Einfluss auf die Selbstkontrolle hätten, wären sie wohl kaum erlaubt. Bei einer halben Flasche Wodka sieht die Welt schon anders aus. Manche Menschen verfügen sogar mit dieser Alkoholmenge noch über ein gewisses Maß an Selbstkontrolle.

Was passiert, wenn es jemand stark übertreibt? Nehmen wir den typischen Partymenschen. Er geht feiern und möchte einen tollen Abend verbringen. Dazu trinkt er einige Cocktails. Ich gehe sogar soweit und behaupte: Manche Menschen trinken Alkohol, um ihre Selbstzweifel zu überwinden. Sie wollen mutiger werden und vielleicht eine Frau kennenlernen. Allerdings fällt keiner dieser Menschen wie ein Raubtier über das andere Geschlecht her. Es werden vielleicht einige deftige Worte gesprochen, aber Vergewaltigungen sind sehr selten. Doch auch hier gilt: Ausnahmen bestätigen leider die Regel.