Ist „Zeit brauchen“ egoistisch?

vom 06.07.2012, 08:31 Uhr

Zur Zeit mache ich mir Gedanken über einen ganz bestimmten Sachverhalt, der mir schon häufiger zu denken gegeben hat, aber nicht so wie das zur Zeit der Fall ist. In einer Beziehung kann es ja nun zu so einigen Belastungen kommen, die sich entweder daraus ergeben, dass einer der beiden Beteiligten irgendwelche Probleme mit sich selbst oder in seinem eigenen Leben hat oder dass beide miteinander Probleme haben, weil sie vielleicht in gewisser Hinsicht zu verschieden sind und es deshalb immer wieder zu Reibereien kommt. Möglicherweise wirken sich auch noch andere Faktoren wie Ängste, die sich aus verschiedenen schlimmen Erfahrungen ergeben habe, negativ auf die Beziehung aus. Gründe dafür, sich irgendwann überfordert oder überlastet zu fühlen, gibt es vermutlich in jeder Beziehung irgendwann, und manchmal sind diese Gründe eben schwerwiegender.

Bei mir ist es so, dass ich Situationen dieser Art, die sich für mich also irgendwie zuspitzen und mich vielleicht sogar an der bestehenden Beziehung zweifeln lassen, immer wieder aus der Distanz zu beurteilen versuchen will. Ich weiß, dass emotionale Entscheidungen mich nicht sonderlich weit führen und dass ich diese, wenn ein Gefühl irgendwann vergangen ist, auch nicht mehr nachvollziehen sind, weil ich ab diesem Moment dann eben nur noch denke und meine emotionalen Handlungen nicht mehr nachvollziehen kann. Um diese Distanz zu gewinnen und damit eine Ebene finden zu können, benötige ich eine wenigstens etwas rationale Sicht auf das, womit ich es zu tun habe. Dafür brauche ich aber Abstand und einen Rückzug aus dieser Situation. Ich stelle also immer wieder fest, dass ich mir in solchen Situationen wünschen würde, Zeit zu bekommen, die ich brauche, um alles sacken zu lassen, in alle möglichen Richtungen zu denken, zu analysieren und irgendwann vielleicht das Problem, das ich mit der jeweiligen Situation überhaupt habe, zu erkennen, um es dann lösen zu können.

Schwierig daran ist allerdings, dass es im Rahmen solcher Prozesse des Nachdenkens auch dazu kommen kann, dass man selbst erkennt, dass diese Beziehung keine Chance hat, weil manchmal das entsprechende Gefühl wohl doch nicht ausreicht, um eine Beziehung glücklich zu erhalten. Ist irgendein empfundenes Unglück im Spiel, so wird alles, jedenfalls für mich, irgendwann stumpf und weniger gut sicht- oder fühlbar. Ich muss also zwar meine Gedanken sortieren, um ein Problem zu erkennen und lösen zu können, aber das kann auch darin enden, dass ich erkenne, dass diese Beziehung momentan keinen Bestand haben kann, obwohl ich emotional stark beteiligt bin. Gerade Ängste können sehr starken Einfluss auf den Verlauf einer Beziehung und ihren Fortbestand nehmen, und während man an seinen Ängsten arbeitet, um sie zu besiegen, wird man sich vermutlich in vielen Fällen schwer damit tun, diese Beziehung währenddessen weiterzuführen, auf die sich die Ängste beziehen.

Wenn ich nun die Bitte formuliere, Zeit zu brauchen, dann meine ich damit nicht, dass ich diese Beziehung für immer abgeschrieben habe und mich nur nicht traue, sie zu beenden. Vielmehr bedeutet diese Bitte, dass ich Zeit für mich brauche, um mir klar darüber zu werden, was mein Problem ist und was ich tun kann, um es zu lösen. Diese Erkenntnisse gewinne ich nur über die Distanz, die ein Rückzug mit sich bringt. Aber der Partner, von dem ich mich dann während dieses Prozesses zurückziehe, muss im Endeffekt das Gefühl bekommen, warmgehalten zu werden. Er weiß nicht, worauf er sich einlässt und muss eigentlich vertrauen, wenn er diese Beziehung erhalten und fortführen will. Kann er das nicht, muss er sich trennen.

Ist es egoistisch, sich Zeit zu erbitten, die man für sich selbst braucht, um sich über alles, was einen in einer bestimmten Situation überfordert und unglücklich werden lässt, klar werden zu können? Mir kommt es so vor, da ich denke, dass eben der zurückbleibende Partner während dieser Zeit irgendeinen seelischen Schaden nimmt, wobei es wahrscheinlich wieder abhängig vom Einzelfall ist, wie groß dieser Schaden genau ist. Ist es weniger egoistisch, eine solche Beziehung, innerhalb derer man aufgrund irgendwelcher Vorfälle der oben beschriebenen Art Zeit braucht, zu beenden, ohne irgendeinen Weitergang in Aussicht zu stellen oder gleich zu verneinen? Ich habe den Eindruck, dass die Bitte um Zeit tatsächlich egoistisch ist, auch, wenn ich sie als ehrlich ansehe. Aber spielt man in einem solchen Fall nicht – unabsichtlich – mit den Gefühlen des anderen?

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» moin! » Beiträge: 7218 » Talkpoints: 22,73 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Als Verfechter rationaler Entscheidungen bleibt mir gar nichts anders, als zu sagen: nein, das ist nicht egoistisch. Ob das allerdings so einfach ist, weiß ich nicht.

Sich nicht die Zeit zu nehmen, die Probleme also über sich hinwegrollen zu lassen, ist jedenfalls nicht Basis für eine Beziehung. Wenn man die Möglichkeit hat, Unglück zu vermeiden, sollte man sie zumindest n dem Fall wohl schon nutzen. Eine Liebesbeziehung, sofern sie auf Liebe beruht, scheint eine zu sein, die hohen Ansprüchen genügen muss, weshalb sie auch so kompliziert ist. Keiner möchte vom anderen, dass dieser unglücklich ist. Eher nimmt man inkauf, selbst unglücklich zu sein (wohin auch dein Beitrag zu tendieren scheint).

Dabei sollte aber auch berücksichtigt werden, dass eben der andere echtes Interesse daran hat, dass man selbst in der Beziehung glücklich ist. Und letztlich sollte man auch wollen, dass der andere sich Zeit nimmt, über die Beziehung zu reflektieren, um ihr in besserem Bewusstsein sein Okay zu geben. Genauso sollte man wollen (oder zumindest akzeptieren), dass der andere die Beziehung beendet, wenn er nicht glücklich in ihr ist und definitiv keine Möglichkeit sieht, in ihr glücklich zu sein. Dafür muss der andere aber auch zum Zweck der Problemlösung Rücksprache mit seinem Partner halten.

Vorausgesetzt ist natürlich, dass beide überhaupt vernünftig miteinander reden können.

» DieBewusstheit » Beiträge: 66 » Talkpoints: 44,47 »


Erst einmal würde ich die Frage auch grundsätzlich mit "nein" beantworten, aber wenn ich genauer darüber nachdenke und ähnliche Situationen in meiner Beziehung Revue passieren lassen, dann muss ich die Antwort eventuell auch wieder revidieren.

Ich glaube, dass es stark auf den Partner ankommt. Man muss abschätzen können, ob der Partner es erträgt oder eher nicht und inwieweit man ihn damit eben verletzt. Man muss auch bedenken, dass der Partner das Vertrauen eventuell ein wenig verliert. Wenn man sich plötzlich nicht mehr sicher ist, ob die Beziehung einen in Zukunft glücklich machen wird, dann sind das schon sehr harte Worte, die der Partner auch erst einmal verkraften und verarbeiten muss.

Unter den Umständen, dass man dann doch früher oder später wieder zueinander findet, könnte das als Problem wieder auftauchen. Ich zumindest würde mir dann ständig Gedanken machen, ob mein Partner nun glücklich ist oder nicht, nachdem es bereits Zeit gab, in der er sich nicht sicher war, ob die Beziehung auf Dauer sinnvoll ist. Das geht mir bereits nach kleineren Streitereien so, in denen mein Partner etwas gesagt hat, dass er vielleicht sogar gar nicht wörtlich so gemeint hat. Wehtun tut es im Nachhinein trotzdem noch, weil man so etwas – vor allem als Frau – nicht so schnell vergisst.

Die andere Seite ist natürlich, dass man auch immer an sich selbst denken muss und wenn man es selbst als am besten empfindet, eine kleine Auszeit einzulegen, dann sollte man das auch tun. Um eventuelle Verletzungen zu vermeiden oder zumindest ein wenig zu vermindern, sollte man auf jeden Fall deutlich sagen, dass man die Beziehung noch nicht ganz abgeschrieben hat, da man sonst ja einfach Schluss machen könnte. Man sollte letztendlich auch noch darauf achten, dass man sich nicht zu viel Zeit nimmt. Einfach zum Wohle des Partners.

» *sophie » Beiträge: 3506 » Talkpoints: 1,38 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



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