Selbsteinschätzung- Fremdeinschätzung

Ich nehme gerade an einem Kurs teil und letztens bekamen wir zwei identische Blätter. Hier waren eigenschaften aufgelistet, überwiegend positive und wir mussten uns selber nach Schulnoten bewerten, wie stark diese Eigenschaften auf uns zutreffen.

Anschließend gaben wir die Kopie des Blattes einem Menschen, der uns nahe steht. Ich wählte meinen Partner. Dabei musste ich fest stellen, dass er mich großteils ganz anders eingeschätzt hat, als ich mich selber. Also im positiven Sinne natürlich. Warum schätzen wir uns meistens in gewissen Eigenschaften nicht so gut ein, wie wir tatsächlich sind?

So etwas ähnliches habe ich auch vor wenigen Wochen gemacht. Ich hatte ein Seminar und an einem Tag hatten wir Umgangsformen und Auftreten als Thema. Dort bekamen wir auch ein Blatt ausgeteilt und sollten unseren ausgewählten Partner einschätzen. Hinterher sollten wir uns die Ergebnisse anschauen und nachgucken und markieren welche Dinge richtig sind. Da wir uns erst seit einem Tag kannten ging das ganze natürlich eher auf den ersten Eindruck zurück und war, zumindest bei mir und meiner Partnerin, ziemlich schlecht. Als ich einige Tage später meine Mutter besucht habe, habe ich diesen ''Test'' auch noch mit ihr gemacht. Dabei waren, zu meiner großen Verwunderung, die meisten Sachen indentisch mit meinen Einschätzungen. Das hätte ich nicht gedacht, weil sie mich eigentlich nicht sonderlich gut kennt.

Das erstaunt mich jetzt, dass man das in gewissen Seminaren mit Personen macht, die einen erst einen Tag lang kennen. Also uns wurde bewusst gesagt, wir sollten jemanden nehmen, der uns gut kennt. Es war uns überlassen, ob wir jemanden nehmen, der kritisch mit uns ist, oder jemand der uns eher zu unseren Gunsten beurteilen würde.

Ich nahm trotzdem meinen Partner, weil er einfach am ehrlichsten ist und mir seine Meinung immer ins Gesicht sagt, auch wenn es oft nicht so angenehm ist. Jedoch fiel das Ergebnis seiner Beurteilung trotzdem besser aus als mein eigenes.

Für viele ist es ein unangenehmes Gefühl, wenn sie sich gut einschätzen. Vielleicht denken sie auch ein bisschen, dass es als überheblich gelten könnte, wenn sie sich zu positiv bewerten. Und wer lobt sich schon gern selbst über den grünen Klee? Andersherum haben nahe stehende Personen aber vielleicht auch ein Problem damit, einen wirklich realistisch einzuschätzen und verschönern das ganze etwas.

Stell dir nur mal vor, du kreuzt bei dir an, dass du bei Kritikfähigkeit eine 2 hast und dein Partner findet aber, dass du nicht wirklich Kritikfähig bist, weil du immer bockst, wenn er Kritik übt. Deswegen wäre es bei ihm vielleicht eher eine 3 oder gar eine vier. Aber wenn er das ankreuzen würde, dann wäre ja Streit vorprogrammiert. Also hast vielleicht du dich gar nicht zu schlecht eingeschätzt, sondern ein anderer dich zu gut? Das würde ich vielleicht auch nicht ganz außer Acht lassen.

Ich finde es aber gut, wenn man sich realistisch selbst einschätzen kann. Ich kann das ganz gut. Zumindest wurde mir das auch schon oft gesagt. Es kann einen durchaus weiter bringen, wenn man sich seiner Schwächen und Stärken bewusst ist und daran nichts verschlechtert oder verschönert. Man kann es übrigens auch lernen, sich selber gut einzuschätzen, wenn man es denn bisher nicht konnte.

Ich habe mit meinen Kindern ein ähnliches Spielchen mal gemacht. Dabei kam erstaunlicherweise heraus, dass ich meine Kinder zwar sehr gut kenne, sie mich und sich gegenseitig aber manchmal ganz falsch eingeschätzt haben. Auch Freunde schätzen mich oft völlig falsch ein, wie ich manchmal erstaunt feststelle. Anscheinend bin ich nicht authentisch. Daran muss ich unbedingt noch arbeiten.

Da Menschen sich in der Regel immer strenger und schlechter sehen, als sie es in Wirklichkeit, kommt bei so einem Test für mich nicht wirklich etwas Neues raus, denn man ist in der Regel, es gibt da auch einige Ausnahmen, mit sich selber immer etwas kritischer als mit seiner Umgebung und daher stimmt ein Selbstbild mit einem Außenbild nie 100% überein sondern es entsteht dabei immer eine kleine oder in vielen Fällen sogar eine große Abweichung.

Warum das aber in einem bestimmten Einzelfall so ist, kann man aus der Distanz heraus nicht sagen, dafür müsste ich einen Menschen schon einige Zeit lang beobachten um mir ein persönliches Bild von ihm zu machen.

Ich denke eher dass sich so etwas mit wachsendem Lebensalter und den gesammelten Erfahrungen langsam gibt und dass sich irgendwann die Selbsteinschätzung nur unerheblich von der Fremdeinschätzung unterscheiden wird. Vielleicht liegt es ausschließlich daran dass man seine eigene Schwächen und Fehler am besten kennt wenn man nun nicht gerade über ein riesiges Ego verfügt. Ich weiß aus persönlich gesammelter Erfahrung meines ganzen Lebens ganz genau was ich mir zutrauen darf und wo meine Grenzen liegen. Andere wissen das nicht weil sie immer nur eine Augenblicksituation erkennen können wo ich vielleicht in ihren Augen brillierte, wo ich aber ganz genau weiß dass es sich nur um einen Zufallstreffer handelte. Menschen die mich schon lange kennen wissen genau wie sie mich einschätzen können und umgekehrt gilt das auch für mich.

Wichtig ist eigentlich nur dass beide Einschätzungen nicht zu weit auseinanderdriften. Ich denke da so an einen Besoffenen der sich toll fühlt und aber in den Augen der anderen nur als hilfloser und sabbernder Trottel da steht. Da wird es dann schwierig mit einer gemeinsamen Basis.