Wird in den Medien zu viel über Suizide berichtet?

vom 08.03.2017, 16:42 Uhr

Ich finde nicht, dass man in den Medien irgendetwas verschweigen oder beschönigen sollte. Ich habe es am liebsten, wenn Sachverhalte so dargestellt werden, wie sie sind, also ganz nüchtern und mit allen Fakten. Mir ist aber aufgefallen, dass die Medien kaum über Suizide berichten, selbst wenn welche stattgefunden haben. Wenn sich wieder einer auf die Gleise legt, taucht das am nächsten Tag gar nicht in der Zeitung auf und man tut so als wäre nichts gewesen. Nicht mal im Radio wird das erwähnt.

Es gab auch schon Beschwerden bei Facebook, warum Suizide systematisch verschwiegen werden. Jemand begründete das dann mit dem so genannten "Werther-Effekt". Das bedeutet eben, dass man annimmt, dass die Suizidrate in der Bevölkerung steigt, sobald in den Medien von Suiziden berichtet wird. Meint ihr, dass in den Medien zu viel über Suizide berichtet wird? Ich habe den Eindruck, dass nur Prominente wie Robert Enke davon betroffen sind, sonst wird das Thema totgeschwiegen. Sollte man offener mit dem Thema umgehen oder es komplett verbannen?

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Ich finde nicht, dass man zu viel über Selbstmorde hört. In den Medien ist so etwas ja auch nur wirklich interessant, wenn es eben ordentlich Aufsehen gegeben hat. Oder wenn es sich um einen Prominenten handelt. Wenn sich jemand in der eigenen Wohnung umbringt, interessiert das die Öffentlichkeit ja eher weniger, gerade wenn es sich dabei um einen normalen Bürger handelt und nicht etwa um einen öffentlichen Menschen.

Ich finde, dass man so ein Thema nicht totschweigen muss. Es gehört eben auch zum Leben dazu, dass sich manche für den Freitod entscheiden. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass durch solche Berichte dann die Selbstmordrate steigt.

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge


Ich war ja während meines Referendariates bei der Polizei sowie bei der Staatsanwaltschaft und da gab es die strenge Regel, dass Suizide nicht nach außen kommuniziert werden. Je nach Sachlage auch nicht unbedingt, wenn es ein "öffentlicher" Fall war. Dadurch gab es dann durchaus den ein oder anderen "Unfall" in der Zeitung, der in Wirklichkeit ein Suizid war.

Man haute mir auf meine Frage des Warum damals gleich mehrere Argumente um die Ohren. Schutz des Verstorbenen, Schutz seiner Angehörigen, Schutz vor Nachahmung und natürlich eine gewisse Irrelevanz bei bestimmten Verhältnissen.

Ich finde es völlig okay so wie es ist. Ob jemand von einer Brücke gefallen oder gesprungen ist, hat für die Öffentlichkeit einfach keine Bedeutung und da muss man dann auch nicht hinausposaunen, dass derjenige gesprungen ist. Auch bei Prominenten finde ich, dass die Entscheidung zum Freitod eine private Angelegenheit ist, über die man nicht berichten sollte, wenn es nicht die Angehörigen oder der Verstorbene explizit so wollen. Das hat in meinen Augen einfach was mit Respekt zu tun. Diese Leichenfledderei bringt doch niemandem was.

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» CCB86 » Beiträge: 2025 » Talkpoints: 2,88 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Wenn man dann doch mal ehrlich schreibt was passiert ist, müssen die Angehörigen gerade über soziale Netzwerke auch immer einiges ertragen. In meiner alten Heimat hat sich beispielsweise mal jemand vor einen Zug geworfen. Es handelte sich um eine junge Frau, die scheinbar starke psychische Probleme hatte und auch schon ein paar Jahre in Behandlung war.

Kommentiert wurde das mit Sätzen wie "Der Zug hatte schon wieder Verspätung, das kann doch nicht sein!" oder "Warum kann die Schlampe nicht einfach Tabletten nehmen und sich umbringen ohne jemanden zur Last zu fallen?" Ich finde, dass es dann für Angehörige schon deutlich leichter ist, wenn man von einem Unfall schreibt, denn dann bekommen diese Beileidsbekundungen zu lesen und keine beleidigenden Kommentare.

Natürlich ist die Zahl derer, die sich selbst töten sehr hoch, zu hoch und man könnte so vielleicht auf mehr Aufklärung betreiben, aber ich denke, dass man da eher an der Wurzel anfangen sollte, mehr in Psychologen investieren sollte.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Diesen schon erwähnten Kodex, Suizide zu verschweigen, kenne ich aus der Presse und selbst die Deutsche Bahn bedient sich dessen. Dort heißt es dann in Durchsagen eben, es hätte einen Personenschaden gegeben, wenn überhaupt, aber niemals wird das Wort Selbstmord oder Suizid in den Mund genommen. Die durchschnittliche Zugbegleitung erlebt das so ca. einmal die Woche, derart häufig wird diese Art des Freitods gewählt.

Dass es Nachahmer-Effekte gibt, ist für mich völlig unbestritten. Jeder Mensch, der schon mal in oder für eine psychiatrische Klinik gearbeitet hat weiß, dass in den Tagen und Wochen nach einem erfolgten Suizid die Gefahr für die anderen Patienten am höchsten ist. Selbst in meiner direkten Nachbarschaft habe ich es als Jugendliche erlebt. Vom benachbarten Haus sprang ein junges Mädchen zwei Stockwerke runter in den Tod. Eine Woche später sprang ein Mann als Nachahmer drei Etagen. Diese Effekte gibt es wirklich immer wieder.

Menschen, die emotional auf der Klippe stehen, erleben durch einen erfolgreichen Suizid in ihrer Umgebung leider tatsächlich einen Motivationsschub, nun auch für sich die Entscheidung endlich zu treffen. Von daher finde ich es gut und richtig, dass die bloße Erwähnung eines erfolgten Selbstmordes unterlassen wird. Anders sieht es mit einer mitfühlenden, empathischen und anteilnehmenden sowie beratenden Berichterstattung über Suizidalität und Depression aus.

In dem Fall glaube ich, dass so etwas sogar Suizide verhindern könnte und das Thema aus der Enttabuisierung heraus holt, auch wenn es sich auf den ersten Blick widersprüchlich anhört. Es ist aber etwas ganz anders zu hören, dass wieder jemand erfolgreich von der Brücke sprang oder ob man einen ausführlichen Bericht über diese dunkle Gefühlslage hört und dort aber auch erfährt, dass es eben Hilfe geben kann.

» Verbena » Beiträge: 4982 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 4000 Beiträge


Ich finde, dass man offener mit dem Thema "psychische Krankheiten" im allgemeinen umgehen sollte und dieses Stigma endlich überwinden, welches Leute nach wie vor davon abhält, sich Hilfe zu suchen, wenn ihnen ihr Hirn einredet, die Welt sei ohne sie besser dran. Schließlich haben meinen (oberflächlichen) Recherchen nach ca. 90 Prozent aller Suizide psychische Ursachen. Die Tatsache, dass sich dreimal mehr Männer als Frauen umbringen, spricht in dieser Hinsicht wohl auch Bände. Hier ist gesellschaftlich einiges im Argen.

Wenn man über erfolgte Suizide in den Medien berichtet, hat das in meinen Augen jedoch nicht viel damit zu tun, dass man für ein Thema Öffentlichkeit schafft, da der Selbstmord selber oft nur den Endpunkt einer tragischen Entwicklung darstellt und die Öffentlichkeit die Betroffenen so immer noch als Spinner abtun kann, die schon ihre Gründe gehabt haben werden, vor den Zug zu springen.

Ich kann auch nicht behaupten, dass in den Medien "zu viel" über Suizide berichtet wird, da die Gründe ja schon erläutert wurden, weswegen derlei tragische Geschehnisse nicht an die große Glocke gehängt wurden. Mir leuchten gerade die von CCB86 genannten Begründungen auch durchaus ein. Zudem weiß ich nicht, wo hier die "Betroffenheit" aufhört und die Sensationsgeilheit anfängt, wenn man Einzelschicksale in den Medien breit tritt, nur weil die Person ein tragisches, selbst induziertes Ende gefunden hat, während die Ursachen und Hintergründe nach wie vor als peinlich und beschämend dargestellt und empfunden werden.

» Gerbera » Beiträge: 11335 » Talkpoints: 53,75 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


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