Wird der Fall Yücel hochgespielt?

Ich bin mit Sicherheit kein Fan von Erdogan oder seiner Kurdenpolitik. Allerdings sehe ich in Öcalan auch keine Alternative. Der türkischstämmige Journalist Yücel hat nun in der Türkei die auch in Deutschland verbotene Arbeiterpartei PKK besucht und mit dieser Interviews durchgeführt. Wir wären sicher auch nicht begeistert gewesen, wenn ein türkischer Journalist in Deutschland die RAF oder womöglich sogar die NSU befragt hätte.

Außerdem sitzen in der Türkei über 40.000 Anhänger der Gülen-Bewegung in Untersuchungshaft und wegen denen schreibt kein Journalist. Die Türkei ist im Kampf gegen den IS oder bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise unverzichtbar und Erdogan ist nun einmal der gewählte Präsident. Daher frage ich mich schon, ob wir uns hier nicht wegen einer Person mit recht fragwürdiger Handlungsweise zu weit aus dem Fenster lehnen?

Wenn damals ein türkischer Journalist die RAF oder die NSU interviewt hätte und dazu deutschen Boden betreten hätte, wäre er wohl kaum verhaftet worden und wochenlang ohne Prozess in Untersuchungshaft gehalten worden. Da ist schon ein Unterschied zwischen nicht begeistert reagieren und einen Journalisten einzusperren, dessen Haltung der Regierung nicht in den Kram passt.

Vor allem scheint es hier ja nicht allein um das eine Interview zu gehen, für das er laut deinem Beitrag wohl in die Türkei fuhr. Es scheint in dem Fall auch darum zu gehen, dass dieser Journalist in deutschen Zeitungen Artikel veröffentlicht hat, die der türkischen Regierung nicht gefallen. Dafür könnte er aber bestenfalls nach deutschem Recht verurteilt werden, weil er sich zum Zeitpunkt des Schreibens und Veröffentlichens in Deutschland befunden hat. Und da wir hier in Deutschland die Meinungsfreiheit für die Presse haben, wäre es schwer, jemanden in Deutschland zu finden, der ihn wegen seiner Artikel strafrechtlich verfolgt.

Um ihn also aus der Presse zu nehmen war es notwendig, ihn in der Türkei aus dem Verkehr zu ziehen. Und da ist es ja anscheinend kein Einzelfall, dass Journalisten nicht gerade mit Samthandschuhen behandelt werden, wenn ihre Artikel nicht gebilligt werden. Zumindest liest man das ja häufiger.

Ich denke nicht, dass der Fall überbewertet wird. Ich denke eher, dass jeder Journalist mittlerweile gründlich überlegen sollte, ob er in die Türkei reisen möchte, denn theoretisch könnte es auch andere treffen, deren Meinung der türkischen Regierung nicht genehm ist, dass sie dort einfach verhaftet werden. Und das wäre ebenso ein Skandal. Nur da würde kaum einer fragen, ob das rechtens ist, wenn der fiktive Journalist dann nur einen deutschen Pass hätte. Da wäre dann plötzlich allen klar, dass das ein Skandal wäre.

Nur weil man sich unter Staaten gegenseitig hilft, zum Beispiel hier mit der Unterbringung von Flüchtlingen, halte ich das nicht für einen Freibrief, dass man im Gegenzug alles Verhalten hinnehmen muss. Ich denke schon, dass diese Angelegenheit sauber durch Juristen geregelt werden sollte und Rechtsstaatlichkeit oberstes Gebot sein sollte.

Damals war die Türkei noch eine Militärdiktatur und Erdogan war in Haft und wurde gefoltert. Über Rechtsstaatlichkeit hat man sich da nicht aufgeregt. Viele Türken haben dies noch so in Erinnerung.

Außerdem habe ich klar und deutlich gesagt, dass Herr Yücel zwar nicht besser als der Rest seiner türkischen und kurdischen Kollegen ist aber besser behandelt wird, weil er auch noch einen deutschen Pass hat. Dies muss man auch so zugeben.