Wie viel Zeit in eigene Entwicklung und Wohlbefinden stecken
Wenn man durch Instagram scrollt, fällt einem immer eine Nachricht auf, investiere in dich selbst. In die Bildung, in die persönliche Weiterentwicklung, in das eigene Wohlbefinden - man selbst sollte sich nicht vernachlässigen, was im turbulenten Alltag sicherlich nicht immer leicht fällt. Ich habe das viel zu lange vernachlässigt, habe aber mittlerweile gemerkt, dass es gut ist, sich auch mal selbst an erste Stelle zu setzen, weshalb ich darauf achte, dass ich täglich 1-2 Stunden in mich selbst investiere. Dabei bilde ich mich mal weiter oder überlege, welche Eigenarten an mir ich gerne verbessen würde, oftmals nutze ich diese Zeit auch einfach gezielt zum Entspannen, da mir das ansonsten schwer fällt. Die 1-2 Stunden am Tag nur für mich genieße ich mittlerweile richtig und würde sie gerne noch ausbauen.
Wie viel Zeit verbringt ihr damit, euch selbst zu verbessern? Sei es euren Bildungsgrad, eure Persönlichkeit, euer Körper oder auch euer Wohlbefinden. Wofür nutzt ihr diese Zeit am Meisten?
Ich kann mit diesem ganzen Selbstoptimierungskrempel nichts anfangen. Ich bin weder ein Projekt, noch muss ich mir ständig einreden, dass ich nur eine schwache Version meiner Selbst sei und ständig an mir arbeiten müsse. Ich lerne im Job ständig neue Dinge, betreibe keine Hobbys seit Jahrzehnten und kann mich da immer noch entwickeln. Das reicht mir vollkommen und wenn ich etwas spezielles wissen möchte, dann lerne ich das eben.
Das heißt nicht, dass ich mir keine Zeit für mich nehme. Das tue ich seit meiner Jugend. Ich plane täglich mehrere Stunden für meine Hunde und meine Pferde ein. Ich nehme mir Zeit zum Lesen. Aber das hat nichts mit Trends auf Instagram zu tun. Ich habe noch nie eingesehen, nur zu arbeiten und mich zu verbessern. Ich genieße mein Leben und arbeite, um das zu finanzieren.
Mir fällt es schwer, mein Leben als Mensch in der Gesellschaft als "Projekt" oder "Investition" anzusehen. Es ist ja nicht so, dass irgendwann Rendite ausgezahlt wird oder ich mir durch Selbstoptimierung wenigstens die Garantie erarbeiten kann, erst mit 95 bei der Gartenarbeit in meiner Villa tot umzufallen. Ich bin hier mehr als skeptisch.
Ich meine, wer profitiert denn davon, dass ich mich als verbesserungsbedürftiges Gerümpel ansehe, an dem von der Haut bis zur "Produktivität" im Job überall noch Luft nach oben ist? Mein Selbstbewusstsein und "Wohlbefinden" in meiner eigenen Haut, so wie sie ist, schon mal nicht. Der Kapitalismus, weil Selbstoptimierung ja auch mit den entsprechenden Produkten von der App über den Meditationskurs bis hin zur Nahrungsergänzung unterfüttert werden muss? Schon eher. Ich habe eher den Eindruck, dass es oft nicht um die Entwicklung einer Persönlichkeit geht, sondern darum, möglichst angepasst, klaglos, leistungsbereit, schön anzuschauen und einfach im Umgang die Rolle der spätkapitalistischen Arbeitsdrohne auszufüllen, und da bin ich nicht scharf drauf.
Außerdem finde ich es suspekt, dass es bei der Selbstverbesserung, wie schon erwähnt, vor allem um Tätigkeiten und natürlich Konsumkrempel geht, der auf den Sozialen Medien schön anzuschauen ist und mit dem man Werbung machen kann. Wenn ich im Schlafanzug mit einem Glas Cola Light zur Entspannung Puzzle lege, sieht das nicht gerade "instagramable" aus, auch wenn ich daraus "Wohlbefinden" ziehe.
Wenn ich dagegen die grob gestrickte Wolldecke für 250 Euro schön arrangiere, das Bullet Journal mit den acht ausgemalten Wassergläsern pro Tag darauf platziere, dann noch eine Lichterkette drapiere und das ganze dann "Hygge" nenne, bringt das meiner Entwicklung und Weiterbildung exakt Null, aber ich kann damit angeben.
So ganz verstehe ich die Frage nicht. Eigene Entwicklung und Wohlbefinden haben für mich nichts miteinander zu tun. Und "Zeit für sich", was bedeutet das? Wohlbefinden kann sich auf ganz unterschiedliche Art einstellen, etwa durch Lesen, einen Film schauen, mit Freunden essen gehen oder durch einen Spielenachmittag. Das kann sich sowohl in Gesellschaft oder alleine einstellen und könnte ich zeitlich nicht messen. Ich kann für fünf Minuten Wohlbefinden empfinden oder während eines Urlaubs für zwei Wochen.
Als meine Kinder klein waren, war ich immer froh um "Zeit für mich". Da habe ich dann aber einfach geruht, Zeitung gelesen oder einen Film geschaut. Wenn ich mich während dieser Zeit selbst optimiert hätte, etwa durch Meditation oder Yoga, wäre das nur noch mehr Stress gewesen.
Zur Entwicklung: Du sagst, du nutzt ein bis zwei Stunden am Tag, um in dich zu investieren. Lernst du in dieser Zeit zum Beispiel eine Sprache oder machst du Sport? Das ist ja durchaus sinnvoll und wenn man ansonsten stark angespannt ist, dann kann man durchaus so vorgehen, dass man den Partner und die Kinder darum bittet, diese Zeit nicht gestört zu werden. Als Investition würde ich das aber nicht sehen, sondern einfach als Zeit, die man alleine sein möchte, was durchaus ein Bedürfnis in turbulentem Umfeld sein kann.
Ich habe den Luxus, alle Zeit der Welt zur Verfügung zu haben und denke eher in Projekten, die ich noch durchführen möchte. Aber ich kenne auch das Gefühl, dass man von außen gesteuert wird und nie das tun kann, was man möchte. Aber sich durch Instagram steuern lassen, Eigenarten an sich verbessern wollen, die einem das Internet vorschreibt? Das scheint mir ein nicht zum Wohlbefinden führender Ansatz zu sein.
Ja, ich treibe regelmäßig Sport, ich übe regelmäßig meine Fremdsprachen, ich probiere bei den Hobbys gerne neue Sachen aus, ich habe einen Job mit regelmäßigen bezahlten Fortbildungen, die ich mir zum Teil auch noch selber aussuchen kann, wenn mich eine meiner Eigenarten tatsächlich massiv stören sollte würde ich versuchen aktiv etwas zu unternehmen und so weiter und weiter.
Aber was mich extrem stört ist dieser negative, defizitäre Denkansatz, der diesem Glauben an die Selbstoptimierung zu Grunde liegt. Ich gehe nicht Laufen weil ich einfach Lust habe an einem schönen Herbsttag durch die Natur zu rennen. Nein, ich mache das, weil ich nicht gut genug bin in meinem Sport, nicht schnell genug für die Top Ten im nächsten Stadtlauf, nicht schlank genug oder definiert genug oder was auch immer.
Es mag sein, dass es Leute gibt, die genau das brauchen und sich nur so motivieren können, aber für mich wäre es extrem deprimierend wenn ich über meiner spanischen Grammatik sitzen würde und mich dabei nicht auf den nächsten Besuch bei Freunden freuen würde sondern denken würde, dass ich das brauche weil mein Bildungsgrad nicht hoch genug ist, meine Berufschancen sich verbessern könnten oder meine Persönlichkeit noch eine zusätzliche Fremdsprache braucht um interessant zu sein.
Ich bin außerdem nicht in der Situation, dass ich ständig von meinen Mitmenschen belagert werden und mir die praktisch aktiv vom Hals schaffen muss in Form von "me time". Ich muss keine Lesezeiten und solche Sachen in meinen Terminkalender packen, ich mache das einfach. Mein Partner hält es genauso.
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