Wie lernt man beruflich nicht immer zu nett zu sein?

vom 23.05.2021, 11:48 Uhr

Ich habe einen Kumpel, der ein großes Problem hat. Er ist eher ein sehr sensibler Mensch, hilft jedem gerne und macht gefühlt alles, damit andere Menschen glücklich sind. Es ist dann wirklich so, dass er mit seiner Arbeitskraft ausgenutzt wird, mehr arbeitet, sich immer noch mehr Mühe gibt und alles perfekt läuft, aber er keine Anerkennung dafür bekommt. Diese fehlende Anerkennung hat er sowohl im Privaten, als auch im Beruflichen schon erlebt. Sicherlich ist er so ein Typ, auf dessen Rücken man dann auch beruflich besser dastehen kann, weil er sich ja nicht wehrt, wenn man schlecht über ihn spricht.

Er ist um es kurz zu sagen einfach zu nett und mittlerweile stört ihn das gerade im Beruflichen schon sehr. Er wird da einfach auch zu sehr ausgenutzt und hat teilweise Phasen, in denen er kaum noch Freizeit hat. Wie kann er nun aber lernen einfach auch mal nicht so nett zu sein, gestärkter zu sein und auch mal Nein sagen zu können? Ich weiß nun nicht wirklich, was ich raten soll, aber wie kann er das denn lernen?

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Auf die harte Tour, würde ich sagen. Menschen ändern sich nun mal erst dann, wenn der Leidensdruck groß genug ist, weswegen Ratschläge aller Art sowieso nicht viel bringen.

Und "nett" zu sein hat eben auch handfeste Vorteile. Gut, gerade im Job leiden die Freizeit und das Privatleben, aber manche Menschen beziehen unwahrscheinlich viel Selbstbestätigung und Stolz daraus, dass man sich beispielsweise "immer auf sie verlassen kann", und dass sie "fleißig" sind und wenn der Chef zufrieden nickt und lächelt, ist das für sie ein "High", das mit dem Gefühl eines freien Wochenendes oder einem pünktlichen Feierabend überhaupt nicht zu vergleichen ist. Und auch wenn die Lösung auf der Hand liegt: Im Job klarzustellen, dass man eine Aufgabe nicht schafft oder nicht fürs Getränke herumreichen eingestellt wurde, ist unangenehm, und manche Leute sind einfach Memmen, wenn es um Konflikte und Abgrenzungen geht.

Vermutlich liegt es an der Erziehung oder an frühkindlichen Erfahrungen, dass man nur geliebt wird, wenn man etwas leistet, weswegen diese Leute sich für andere zum Affen machen und sich bereitwillig vor jeden Karren spannen lassen. Da mische ich mich prinzipiell nicht ein. Offensichtlich scheint der Typ Kollege oder Kollegin sich auf diese Art ja immer noch wohler zu fühlen, als wenn der Chef genervt die Stirn runzelt, weil ich schon wieder pünktlich Feierabend mache. Meine "zu nette" Kollegin (die Chargen sind ja überall zu finden) saust immer stolzgeschwellt durch die Gegend, wenn sie mal wieder bis acht Uhr abends irgendeinen Schwachsinn gemacht hat, der gar nicht nötig war.

» Gerbera » Beiträge: 11332 » Talkpoints: 52,90 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


Ehrlich gesagt, ich glaube auch, dass man es auf die harte Tour lernen muss. Ich war vor einigen Jahren auch immer lieb und nett und extrem freundlich und habe gerne Sonderschichten oder Sonderdinge gemacht, nur damit mein Chef mir ein Fleißsternchen aufkleben durfte. Und dann wurde ich krank. Ich wurde nicht nur psychisch krank, sondern auch körperlich krank. Am Anfang dachte ich, dass ich so weitermachen sollte wie zuvor, damit man mir bloß nichts anmerkt. Irgendwann war der Leidensdruck zu groß und ich habe mich selbst dadurch ins Aus geschossen.

Nett sein ist gut, Freundlichkeit auch, aber wenn es nicht mehr geht, dann geht es nicht. Es funktioniert auch nur bis zu einem gewissen Punkt. Irgendwann merken die Leute jedoch auch, dass man ja immer artig und fleißig ist und nutzen dies auch gerne aus. Spätestens wenn man solche Dinge bemerkt, sollte man dieses ständige Nettsein zurückschrauben. Denn es geht sehr viel Energie und Zeit dafür drauf. Man darf Nein sagen, man muss nicht immer nett und lieb in einer Ecke stehen und warten bis man einen Auftrag bekommt und wenn die Freizeit leidet, dann ist Nettsein auch kein guter Partner mehr.

Dein Bekannter sollte vielleicht seinen Frust mal so richtig rauslassen und dann klarstellen, dass er zwar gerne nett und hilfsbereit ist, aber dass dieses Ausnutzen aufhört. Er sollte durchaus sagen, dass er einen Termin zu später Stunde leider nicht wahrnehmen kann, meinetwegen mit einer vorgeschobenen nicht existenten Ausrede, aber er kann sagen, dass er nicht mehr für alles zur Verfügung steht. Dann hat er nach der Arbeit halt mal fixe Termine und wenn es nur das Eisessen mit den Kindergartenkindern eines nicht vorhandenen Kindes ist. Es geht schlichtweg um Abgrenzung.

» Wibbeldribbel » Beiträge: 12585 » Talkpoints: 9,82 » Auszeichnung für 12000 Beiträge



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