Wie konnte sich die Zahl der Juden in Israel verachtfachen?
1948 gab es noch "nur" 650.000 Juden in Israel. Inzwischen sind es 5.500.000. Hätte Deutschland ein derartiges Bevölkerungswachstum gehabt, müssten wir nun 600 Millionen Menschen hier haben. Gerade angesichts des aktuellen Flüchtlingsstroms muss man sich doch fragen, wie Israel diesen Zustrom bewältigen konnte, wo wir uns doch bei einer Bevölkerung von 80 Millionen schon mit einer Million Flüchtlinge so überfordert fühlen. Können wir von Israel lernen, wie wir eine derartige Masse an Menschen integrieren? Was hat Israel richtig gemacht? Was machen wir falsch?
Israel versteht sich als Zufluchtsort der Juden - es definiert sich als jüdischer Staat. Wobei hier der Begründer des (modernen) Zionismus Theodor Herzl eher an einen liberalen Nationalstaat und keinen religiösen Staat im Sinn hatte. Und als solcher Staat sieht sich Israel auch in der Pflicht, allen Juden als Zuflucht zu dienen. Es ist ja letztlich auch nicht so, dass nach dem Ende des Weltkriegs die Verfolgung der Juden aufgehört hätte.
Über Jahrzehnte sind Juden aus der ganzen Welt nach der Staatsgründung nach Israel emigriert. Man denke nur an die Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, als mit dem Ende der UdSSR auch deren relative Sicherheit massiv gefährdet wurde. Oder an Repressionen gegen Juden im afrikanischen Raum. Aber auch aus Westeuropa fliehen Juden (auch heute noch - ganz Besonders ist hier schon auch der Wunsch von Ignatz Bubis gewesen, nicht in Deutschland beerdigt werden zu wollen) nach Israel.
Israel ist eine direkte Reaktion auf die Shoa. Mit eben dem Ziel, so eine Katastrophe in Zukunft nicht mehr zuzulassen. Daher ist es eigentlich verständlich, wenn die Bevölkerungszahlen in der Richtung "explodieren". Das geschieht durch Einwanderung - nicht durch starke Geburtenraten. Die sind auch in Israel eher mit den Werten Europas zu vergleichen und die Bevölkerung würde eher stagnieren.
Übrigens ist es in den Nachbarstaaten Israels schon so, dass die Bevölkerungszahlen dort ebenso rasch "explodieren". Dies aber durch Geburt. Was mit der Grund ist, warum es kein "Rückkehrrecht" der Araber nach Israel geben kann. Hier lässt sich nämlich leicht nachweisen, dass in dem Fall der Bevölkerungsanteil der Juden in Israel in 20 Jahren bei unter 50% liegen würde und damit Israel nicht mehr seinem Staatsziel nachkommen können würde. Und das wäre praktisch die Aufgabe des Staates Israel.
Der Vergleich zu den aktuellen Flüchtlingen liegt aus meiner Sicht nahe. Aber er unterschlägt ein wenig, dass das "wir uns überfordert fühlen" so nicht stimmt. Dazu ist das "wir" schlicht nicht definiert. Würde man wollen, wäre die Aufnahme der Flüchtlinge wohl kein Problem. Auch bzgl. der Verteilung würden diese in der Masse untergehen.
derpunkt hat geschrieben:Der Vergleich zu den aktuellen Flüchtlingen liegt aus meiner Sicht nahe. Aber er unterschlägt ein wenig, dass das "wir uns überfordert fühlen" so nicht stimmt. Dazu ist das "wir" schlicht nicht definiert. Würde man wollen, wäre die Aufnahme der Flüchtlinge wohl kein Problem. Auch bzgl. der Verteilung würden diese in der Masse untergehen.
Zu diesem "wir" gehört erstaunlicherweise auch der Zentralrat der Juden, der erst kürzlich eine Obergrenze gefordert hatte. Damit schlägt sich der Zentralrat der Juden genau auf die Seite derer, die er immer wieder bekämpft hat. Ich hätte nicht gedacht, dass Rechte und Juden irgendwann einmal vereint in einem Boot sitzen. Solch eine Konstellation hätte ich nie für möglich gehalten.
Rechtsradikale fordern auch "den Schutz der Kinder". Wirst du dich der Forderung zum Schutz der Kinder widersetzen oder siehst du dich plötzlich auch auf der Seite von Rechtsextremen? Das ist schon eine sehr vereinfachte Sicht der Dinge und ich bin zwar auch immer für Vereinfachungen aber wenn die Vereinfachung zur Verfälschung führt (wie in dem Fall), dann ist es schlicht keine echte Vereinfachung. Du wirst ja auch kaum den Papst zu einem Islamisten zählen, nur weil der ebenso die Homosexualität ablehnt. Oder keinen evangelischen Geistlichen zum Taliban erklären, nur weil beide der Antisemitismus eint?
Der Kontext der Forderung des Zentralrats der Juden ist aus dessen Sicht sehr wohl berechtigt. So ist fraglos die Frage nach der Toleranz zu Juden entscheidend. Und hier besteht die massive Gefahr, Antisemitismus mit zu importieren. Denn dies ist ja eine der gemeinsamen Klammern von z.B. Sunniten und Schiiten. In all ihrem gegenseitigen Hass vereint sich doch der vermeintlich gemeinsame Feind.
Es lassen sich vermutlich zahlreiche Beispiele finden, bei denen der Zentralrat der Juden die gleiche Position einnimmt, wie Vertreter der NPD, der CDU, der FDP und auch der Linken. Aber statt vorgeblich die Positionen zu vergleichen, sollte die jeweilige Intention betrachtet werden.
Der Zentralrat der Juden würde jede Obergrenze für jüdische Flüchtlinge als Antisemitismus verurteilen. Mit der Forderung nach einer Obergrenze für muslimische Flüchtlinge widerspricht sich der Zentralrat der Juden faktisch selber und zeigt sein wahres Gesicht. Damit werden dessen Mahnungen sich in Zukunft nicht mehr so glaubwürdig wie früher anhören.
Menschen neigen nun einmal dazu, zuerst einmal ihre Sicht der Dinge zu sehen. Warum sollte das bei Juden anders sein? Sind das keine normalen Menschen? Außerdem ist die Situation der Juden in Europa nicht einfach. Wobei es da dann doch große Unterschiede gibt.
Denn du kannst vollkommen unbehelligt und ohne Angst vor Gewalt durch jüdische Viertel in Europa gehen. In Brüssel, Antwerpen, Paris oder Budapest hat man keinerlei Probleme bei einem Besuch. Dagegen kann man in vielen Vierteln auch in unserem Land nicht ohne Probleme mit einer Kippa herumlaufen.
Viele Viertel werden immer wieder von Anschlägen und gewalttätigen Demonstrationen erschüttert. Die Präsenz von Polizei und Militär ist beeindruckend und bedrückend zugleich. Ist es nicht verständlich, dass die Menschen zuerst ihre eigenen Ängste sehen?
Das ist doch bei den Flüchtlingen nicht anders. Die suchen ein sicheres Leben mit möglichst guten Perspektiven. Die interessiert logischerweise auch nicht, was das für uns bedeutet. Menschen sind nun einmal menschlich.
Juri1877 hat geschrieben: Mit der Forderung nach einer Obergrenze für muslimische Flüchtlinge widerspricht sich der Zentralrat der Juden faktisch selber und zeigt sein wahres Gesicht.
Das hört sich schon sehr nach Stammtisch-Rhetorik an. Warum widerspricht er sich selbst? Etwa weil er davor warnt, dass sich da möglicherweise ein Antisemitismus aufbaut? Ist das so eine absurde Befürchtung? Ich meine nein.
Zum einen werden derzeit so viele fremdenfeindliche Stimmen wie schon lange nicht mehr laut. Und in so einem Klima der Angst kann sich unter Umständen auch schnell wieder mehr Antisemitismus entwickeln. Denn auch, wenn viele das nicht offen äußern ist das Gedankengut leider nicht ausgestorben.
Und zum anderen ist Antisemitismus ja keine geistige Haltung, auf die allein die Deutschen ein Patent haben. Wenn also Einwanderer kommen, die auch antisemitisch eingestellt sind, könnte das gefährlich werden. Ich finde das nicht abwegig, wenn man davor warnt.
Diese Vervielfachung der Einwohnerzahl ist ja nicht von heute auf morgen eingetreten, sonder über einen Zeitraum von immerhin 67 Jahren. Dazu kommt meines Erachtens ein grundlegender Unterschied zwischen dem Flüchtlingsstrom nach Deutschland und dem Zuzug nach Israel, denn ich nehme mal an, dass die Mehrheit der neu Hinzugezogenen Juden sind, weil Israel eben "der" jüdische Staat ist und viele Juden ihn als ihre wahre Heimat ansehen.
Wenn ich dies mal voraussetze, dann gibt es schon ein großes Hindernis nicht, was die Integration etwa der Flüchtlinge bei uns erschwert, nämlich die Sprache und die Religion. Dazu kommt, dass die gemeinsame Religion wohl eher verbindet, denn man lebt nach den gleichen Gepflogenheiten. Ich denke, das sollte die anfangs gestellte Frage ganz gut beantworten.
trüffelsucher hat geschrieben:Das hört sich schon sehr nach Stammtisch-Rhetorik an. Warum widerspricht er sich selbst? Etwa weil er davor warnt, dass sich da möglicherweise ein Antisemitismus aufbaut? Ist das so eine absurde Befürchtung? Ich meine nein.
Der Zentralrat darf gerne vor einem angeblichen Antisemitismus warnen. Wenn er deshalb allerdings für Obergrenzen für muslimische Flüchtlinge ist, dann argumentiert er kaum besser wie die rechte Szene. Vor allem wird hier eine bestimmte Gruppe aufgrund ihrer Herkunft unter Generalverdacht gestellt. Mit Obergrenzen ist man gegen Muslime und nicht gegen Antisemitismus.
Womit man wieder beim Kinderschutzargument wäre, welches von derpunkt schon genannt wurde. Nur weil einzelne Argumente bei mehreren politischen Gruppen geteilt werden, kann man deshalb nicht die gesamte Gesinnung gleich setzen. Eine einzelne Position macht nicht automatisch das politische oder weltanschauliche Gesamtpaket aus.
Oder ein anderes, völlig unpolitisches Beispiel zu dieser Argumentationskette: In einem Supermarkt kann an sowohl saure Gurken als auch eingeweckte Süßkirschen kaufen, die in Schraubgläsern angeboten werden. Nur weil sich beide Nahrungsmittel in Schraubgläsern befinden heißt das noch lange nicht, dass ich den Kirschkuchen genauso auch mit sauren Gurken backen kann, weil dank der identischen Verpackung der Inhalt eh gleich ist.
Wenn du diese Argumentation fest halten würdest, dann wäre deiner Meinung nach die CSU auch ein Element der rechten Szene. Diese Partei hat sich auf ihrem letzten Parteitag im November nämlich auch vehement für eine Obergrenze eingesetzt. Ich würde dir nicht empfehlen, diese These öffentlich zu vertreten, wenn du gerade in Bayern bist.
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