Wie kann man akademische Standesdünkel geistig abschalten?

vom 09.07.2016, 22:37 Uhr

Mir ist aufgefallen, dass ich es total schwer finde, mich in etwas einfacher strukturierte Menschen hineinzuversetzen. Da komme ich mir immer vor wie ein Sozialforscher, der sich in eine fremde Welt hinein begibt, um eine andere Art zu beobachten. Ja, das klingt jetzt irgendwie komisch, das merke ich auch, aber es fühlt sich halt so an.

Ich meine, man selbst lebt in flachen Hierarchien, bekommt zwar gewisse Vorgaben, organisiert sich aber auch wesentlich selbst, nimmt an wichtigen Konferenzen teil, forscht, hält Seminare, tritt bei Unternehmerstammtischen auf und andere gehen jeden Tag ans Fließband und könnten im Prinzip früh ihr Gehirn abgeben.

Wenn ich dann mit Leuten zu tun habe, die solche eher einfachen Jobs haben, da muss ich immer aufpassen, was ich sage. Ich möchte ja nicht unfreundlich zu jemandem sein, ich will auch nicht herablassend wirken, aber ich finde, dass es manchmal ganz schwer ist, sich das zu verkneifen. Es wirkt ja schon komisch, wenn einem jemand erzählt, was er beruflich macht und man sagt dann erst einmal für ein paar Sekunden nichts. Das kann ja schon als Kritik aufgefasst werden.

Neulich hat mir jemand erzählt, dass er in einem Werk arbeitet, wo Klimageräte hergestellt werden und da habe ich mir richtig vorgestellt, wie man da monoton am Fließband steht und irgendwelche Teilchen in eine Kiste reinschraubt. Musste mich wirklich beherrschen, dass ich nicht komisch darauf reagiere.

Man darf ja auch nicht zu sehr heraushängen lassen, was man macht, also beruflich macht, das schreckt dann manche schon wieder ab. Und ich habe festgestellt, dass mir manchmal Fremdworte und Fachworte entfleuchen. Ich rede halt im Berufsalltag so und dann kommen Begriffe wie „ad hoc“ oder „kompensatorisch“ auch bei normalen Gesprächen aus mir heraus, auch wenn da ein einfacher Mensch ist, der das vielleicht gar nicht versteht oder zumindest so nie verwenden würde.

Kennt ihr das auch? Ich will ja nicht so sein, aber es passiert einfach und ich denke mir dann auch, dass das gerade wieder negativ ankommt. Deswegen versuche ich mich schon zusammenzureißen, niemanden zu belehren, wenn er was nicht weiß, ist aber echt schwer. Manchmal schweife ich in Gedanken auch ab, wenn mir jemand was erzählt, was ich für Pippifax halte, da muss ich mir innerlich richtig sagen, dass ich bei der Sache bleiben soll, damit das nicht auffällt.

Kann man das trainieren? Sich mehr auf andere einzulassen? Oder bleibt das dann immer so, dass man sich zusammenreißen muss, nichts Falsches zu sagen?

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Es kommt natürlich darauf an in welchem Kontext man jemanden kennen lernt. Aber ich finde es generell eigentlich eher weniger interessant was jemand anderes beruflich macht. Die Leute, die sich über ihren Job definieren, finde ich generell eher langweilig, weil sie meistens kaum Hobbys und Interessen haben und wenig von der Welt gesehen haben.

Ich wüsste gar nicht, über was ich mich mit so jemandem unterhalten soll. Wenn er aus meinem Bereich kommt müsste ich meine Freizeit damit verschwenden mir über meine Arbeit Gedanken zu machen, was nicht unbedingt sein muss. Und wenn er aus einem ganz anderen Bereich kommt kenne ich mich nicht aus und kann nur nicken oder höfliche Fragen zu einem Thema stellen, dass mich eigentlich nicht interessiert.

Außerdem habe ich wie die meisten Studenten während des Studiums auch die andere Seite der Arbeitswelt kennen gelernt. Meine Eltern haben mir zwar alles nötige bezahlt, was ja auch längst nicht selbstverständlich ist, aber Freizeit, Urlaube, neue Klamotten und so weiter musste ich selber bezahlen und das hieß arbeiten und als Studentin ohne Ausbildung steigt man nicht in der Chefetage ein.

Ich hatte in diversen Jobs mit genug Leuten zu tun, die nicht studierten und auch nie studiert hatten oder studieren werden und mit denen ich trotzdem gut arbeiten und mich nett unterhalten konnte. Mit manchen Leuten passt es einfach menschlich, mit anderen nicht, und die formale Bildung spielt da eher eine untergeordnete Rolle für mich. Ich habe zum Beispiel mal in einer Brauerei Bestellungen bearbeitet und der interessanteste Mensch mit der meisten Lebenserfahrung, der immer etwas Kluges zu sagen hatte, war der LKW-Fahrer, der die Bierfässer ausgefahren hat.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


Ich glaube Cloudy hat da irgendwie recht. Es kommt eben sehr darauf an, wie man gewöhnt ist zu kommunizieren. Wenn man sehr gewöhnt ist, aus der Familie oder dem Freundeskreis zum Beispiel die "einfache" Sprache zu benutzen und kein hochgestochenes "Akademisch", dann wird die Anpassung natürlich leichter fallen. Hinzu kommt auch noch, wenn man zum Beispiel aus einer Akademiker-Familie stammt und nie arbeiten musste und so nie Kontakt zu den "einfachen Menschen" hatte. Da fällt die Umgewöhnung auch schwer.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Ich weiß gar nicht, wie man darauf kommt, danach zu sortieren, ob jemand Akademiker ist oder nicht. Ich empfinde den größten Teil der Menschen als geistig wenig rege, festgefahren und langweilig. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, ob die studiert haben oder nicht.

Folglich interessieren mich Menschen, die um die Ecke denken, empathisch sind, einen sarkastischen Humor pflegen, ihre Lebenserfahrung nutzen können und die vielseitig interessiert sind. Auch Experten auf Gebieten, die mich interessieren, finde ich interessant und unterhaltsam.

Daraus ergeben sich dann trotz gemeinsamer Interessen solche Konstellationen wie diese: Der Professor für Arbeitspsychologie, der mir seit fast 30 Jahren beim Hobby an der Backe hängt, ist ein sehr intelligenter, gebildeter und unglaublich langweiliger, einseitiger Mann. Der Hauer, der seit er 15 Jahre alt ist, unter Tage arbeitet, ist ein angenehmer Gesellschafter, dessen Lebenserfahrung, Humor und Wissen um den Hundesport würden mir fehlen.

» cooper75 » Beiträge: 13423 » Talkpoints: 517,99 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



Es stimmt schon, dass man nicht andauernd über seinen Beruf reden muss; ich würde auch nicht sagen, dass ich das mache. Eigentlich erzähle ich das wenn nur grob und nicht so genau, damit andere eben nicht irgendwie komisch denken oder sich dann eingeschüchtert verhalten. Vielleicht nehme ich auch nur an, dass andere eingeschüchtert wären und das stimmt gar nicht, aber ich gehe da halt von mir aus.

Ich habe ansonsten kaum Kontakt zu einfacheren Leuten, höchstens mal in dem Sinne, dass ich Small Talk betreibe oder jemandem etwas erkläre, aber privat habe ich eher Akademiker um mich herum. Und dann jemanden neben sich zu haben, der sehr einfach strukturiert ist, ist schwer. Da denke ich mir schnell "ach die sind so naiv". Das will ich gar nicht denken, aber der Gedanke ist halt da. Aber wenn man es aus der Perspektive spannender vs. langweiliger Mensch betrachtet, da bin ich wohl selbst eher langweilig, da nicht sonderlich unternehmungslustig.

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Ich könnte jetzt nicht behaupten, dass ich Akademiker weniger naiv als normale Leute finde. Ich mache da auch gar keinen Unterschied. Entweder mir gefällt ein Mensch oder er tut es nicht. Wobei ich mich allerdings auch frage, warum irgendjemand eingeschüchtert sein sollte?

Nur weil jemand das Glück hatte, halbwegs intelligent zu sein und in einem akademischen Umfeld aufzuwachsen, leistet er schließlich nicht mehr als beispielsweise der Müllmann. Wenn man die Menschen normal behandelt und sich nicht für etwas Besseres hält, dann ist denen herzlich egal, was man beruflich macht.

Auch ob man unternehmungslustig ist oder nicht, hat wenig damit zu tun. Der Herr Gerichtspräsident in unserem Freundeskreis versteht sich bestens mit den Handwerkern, schließlich schraubt er bis heute gern an Autos. Der Anwalt mit eigener Kanzlei hängt sich an den Grafiker, weil beide Radrennen gefahren sind. Der Tierarzt mit dem Faible für Antiquitäten fachsimpelt gerne mit dem Schreiner und dem Dachdecker. Letzterer ist "nur" Handwerker, aber der leistet sich ein eigenes Gestüt.

Wenn man immer in Schubladen denkt, dann entgeht einem so einiges. Die meisten Menschen haben viel mehr Facetten als Beruf, Bildung und Elternhaus. Es kommt doch auch immer darauf an, wo und wie man jemanden kennen lernt. Der dickliche Versicherungsmathematiker ist ein toller Surfer und der abgerissene Keyboarder einer semi-erfolgreichen Band gefragter Unternehmensberater. Dafür steht der Geschäftsführer eines trashigen Clubs auf den Typ Hausfrau, liebt Kinder und sein Reihenhaus und arbeitet in der Woche im Bauamt. :lol:

» cooper75 » Beiträge: 13423 » Talkpoints: 517,99 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Na ich wäre auch eingeschüchtert, wenn ich beispielsweise mit einem Professor zu tun hätte oder einem Konzernleiter. Weil der ja in der gesellschaftlichen Hierarchie weiter oben steht. Ich finde auch, dass die Beispiele, die du nennst, nicht der Regelfall sind. Ich kenne solche schichtübergreifenden Freundschaften nicht.

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Warum sollte man eingeschüchtert sein, wenn ein Professor vor einem steht? Das sind auch nur Menschen. Einer meiner ehemaligen Profs ist im Vorstand von ThyssenKrupp. Trotzdem ist es ein normaler Mensch und sollte vernünftig lehren. Der Typ für Arbeitspsychlogie ist ebenfalls ein ganz normaler Mensch, dessen für viel Geld erkaufte Reitkünste ich toppe, seit ich Teenager war.

Soll ich jetzt in Ehrfurcht erstarren, weil ich mit Herrn Professor nebst Frau in einer Reitstunde gelandet bin und ein Schnapsglas mit denen teile? In unserem Hobby sind wir gleich. Muss ich mich klein fühlen, wenn ich mit den Kindern des Chefs meiner Mutter spiele, weil er Professor ist?

Unser Herr Gerichtspräsident stammt aus einem Lehrerhaushalt, ist normal in unserer Siedlung aufgewachsen, hat studiert und gefeiert wie jeder andere und immer gejobbt, um irgendwie sein uraltes Auto zu reparieren. Wann soll er von einem normalen Menschen zu einem bewundernswerten Wesen geworden sein?

Wer meint, sich für etwas besseres zu halten, der hat nicht alle an der Waffel und echt Probleme, weil er meint irgendetwas kompensieren zu müssen. Solche Leute werden ganz schnell so klein mit Hut. Die anderen, und das ist die Mehrzahl, sind wie jeder andere auch und manchmal sehr nett, eben wie andere auch. Spätestens bei Hobbys vermischt sich das.

» cooper75 » Beiträge: 13423 » Talkpoints: 517,99 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Es geht doch gar nicht darum, dass irgendwer meint, sich für etwas besseres halten zu müssen. Und ich finde auch nicht, dass da irgendwer einen an der Waffel hätte. Meine Güte, immer diese Abwertungen gleich. Aber es tauchen halt automatisch gewisse gedankliche Vergleiche auf, die man auch nicht beeinflussen oder abstellen kann. Deswegen ist man doch nicht gleich wieder ein schlechter Mensch.

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Was sollen denn da für Gedanken auftauchen? Das sind schließlich alles nur Menschen. Ich wüsste definitiv nicht, warum ich mich aufgrund von Bildung oder Beruf schlechter oder besser fühlen sollte als ein anderer. Du wertest doch automatisch und fühlst dich entweder unter- oder überlegen.

Wenn dich ein Professor oder Vorstand nicht beeindrucken würde, kämst du auch gar nicht auf die Idee, andere abzuwerten. Das Problem ist dein Selbstbewusstsein. Wärest du zufrieden, kämen solche Gedanken gar nicht auf.

» cooper75 » Beiträge: 13423 » Talkpoints: 517,99 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


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