Werden viele Arbeitnehmer jetzt ins Bürgergeld flüchten?
Was schon lange gemunkelt wird, das belegen nun auch diverse Studien und daraus geht hervor, dass sich Bezieher von Bürgergeld besser stellen, als diejenigen, die sich tagtäglich zum Mindestlohn abmühen. Das kann und darf natürlich kein Dauerzustand bleiben, denn sonst werden wahrscheinlich viele Arbeitnehmer ihren Job quittieren und sich lieber mit dem Bürgergeld arrangieren. Seht ihr diese Gefahr auch und wie könnte denn eurer Meinung nach die Politik diesem Trend entgegensteuern?
Die Gefahr besteht und bestand ja schon immer, dass Arbeitnehmer die lediglich den Mindestlohn bekommen am Ende des Tages schlechter gestellt sein könnten als Bezieher von Sozialleistungen. Daran ändert das Bürgergeld ja auch nichts.
Es ist aber eben auch schwierig hier eine vernünftige Abstufung hin zu bekommen, dass sich auf der einen Seite Arbeit eben immer lohnt, zumal es ja problematisch werden kann, wenn jemand nicht Vollzeit angestellt wird. Und auf der anderen Seite ist es eben auch nicht hilfreich, wenn man dafür eine überbordende Bürokratie aufbaut und alles Mögliche nachfragt und zu kompliziert gestaltet.
Ich kann mir da durchaus vorstellen, dass es Menschen geben wird, die sich das gut durchrechnen werden und sich überlegen, ob es sich lohnt arbeiten zu gehen oder ob sie einfach das Bürgergeld mitnehmen. Es wird dann sicher auch darauf ankommen, welche Perspektiven man diesen Leuten in ihrem Job bieten kann. Auch das Bürgergeld ist ja kein endloses Schlaraffenland und nach Übergangszeiten muss man dann ja auch an sein eigenes Erspartes oder bekommt nicht mehr so viele Leistungen überwiesen. Wenn man da eine Aussicht hat, dass der Teilzeitjob nach ein paar Monaten vielleicht zu Vollzeit wird oder das Gehalt nach ein paar Monaten steigt, kann das ja auch schon anders aussehen.
Aber nichts desto trotz, denke ich dass wir manchmal einfach solche Diskussionen nicht zu sehr aufbauschen sollten. Ja dann kündigen halt einige ihre Jobs und nehmen lieber das Geld vom Staat. Aber das gab und gibt es schon immer und ist manchmal ja durchaus verständlich. Wenn wir dafür im Gegenzug Bürokratie abbauen können und da wieder Geld einsparen, dann haben ja am Ende auch alle etwas davon.
Wie möchte man denn als Arbeitnehmer schlechter gestellt sein als Arbeitnehmer? Wer trotz Arbeitseinkommen weniger verdient, der darf schließlich aufstocken. Und mit Anerkennung der Fahrtkosten und des Selbstbehalts hat er immer mehr Geld als bei reinen Sozialleistungen.
Dass ein Arbeitseinkommen für eine Familie in vielen Fällen schlichtweg nicht reicht und dass Alleinerziehende häufig verdammt arm dran sind, weil Vollzeitbeschäftigung und Kinderbetreuung nicht funktioniert, liegt nun wirklich nicht an der Höhe der Sozialleistungen. Wer meint, dass es sich damit super lebt, kann ja gern seinen Job aufgeben.
Es darf natürlich nicht sein, dass es sich lohnt, nicht mehr zu arbeiten. Auf diese Idee könnte man ja durchaus kommen, wenn man eine Arbeit hat, die einen sehr belastet und einem keine Zeit mehr fürs Privatleben lässt, zum Beispiel für die Kinder.
Wenn ich solche Meldungen lese, dann lese ich immer auch andere Meinungen oder Studien dazu. Es scheinen in dieser Studie Fehler zu sein, was hier zum Beispiel nachvollziehbar dargestellt wird. Grundsätzlich habe ich bei solchen Diskussionen ein schlechtes Gefühl, weil die ärmeren Teile der Gesellschaft gegeneinander ausgespielt werden. Man sollte sich stattdessen für höhere Löhne einsetzen, für eine höhere Erbschaftssteuer und andere Dinge in den höheren Einkommensstufen. Da wird dann immer gleich von Neiddebatte geredet, während die Neiddebatte im unteren Einkommensbereich viel stärker um sich greift, angeheizt von den eher rechten Parteien.
cooper75 hat geschrieben:Wer trotz Arbeitseinkommen weniger verdient, der darf schließlich aufstocken. Und mit Anerkennung der Fahrtkosten und des Selbstbehalts hat er immer mehr Geld als bei reinen Sozialleistungen.
Es sei mal völlig dahin gestellt, ob man tatsächlich immer mehr Geld durch Arbeit und Aufstocken verdient als man durch Sozialleistungen bekommen könnte. Bei der Rechnung spielen ja noch andere Faktoren hinein.
So musst du ja ebenso berücksichtigen, was passiert, wenn Heizkosten steigen. Kriegst du reine Sozialleistungen, dann werden diese Anstiege ja in der Regel durch den Staat und seine Leistungserbringer ausgeglichen, wenn du ein normales Heizverhalten an den Tag legst. Bist du kein Leistungsempfänger musst du zusehen, wo du das Geld her holst.
Auch hast du als Arbeitnehmer ja oft ganz andere Ausgaben. Du musst ja auch irgendwie zur Arbeit hinkommen. Klar kannst du Glück haben, dass es fußläufig geht oder mit dem Fahrrad. Aber musst du mit dem Auto fahren, kann es schon sein, dass diese Kosten ebenfalls nicht völlig aufgefangen werden.
Und selbst wenn du das alles berücksichtigst und am Ende des Monats durch deine Arbeit vielleicht tatsächlich 100 oder 200 Euro mehr hast als der reine Leistungsempfänger, stellt sich da ja die Frage bei einem Vollzeitjob, ob es das tatsächlich wert ist am Ende des Tages für effektiv 200 Euro mehr 160 oder 170 Stunden im Monat zu arbeiten. Das ist ein Stundenlohn der sich um einen Euro herum dreht, den du pro Stunde Arbeit wirklich dazu verdienst.
Das entspricht natürlich nicht dem tatsächlichen Stundenlohn, aber eben dem Mehrwert, den du durch deine Arbeit bekommst und das ist dann eben die Frage ob es das dann wirklich wert ist. Der Sprung ist eben mit unter teilweise wahnsinnig hoch. Ist dein Lohn schlecht, musst du eben verhältnismäßig zu viel arbeiten um mehr Geld zu bekommen als würdest du einfach gar nicht arbeiten gehen.
Klehmchen, fehlt es für die Heizkosten, ergibt sich ein Anspruch für den Monat mit der Nachzahlung. Für die Fahrtkosten bekommst du Steuern zurück. Es gibt Wohngeld, Kindergeld oder Kinderfreibetrag. Und es ist nun kein Argument für zu niedrige Sozialleistungen, dass Arbeit sich nicht lohnt. Wenn Arbeit nicht mehr als das Existenzminimum sichert, sind nicht die Sozialleistungen zu hoch, sondern die Löhne sind zu niedrig.
@cooper75: Es gibt Steuern zurück, Wohngeld, Kindergeld etc. Klingt erstmal toll. Aber gehen wir mal davon aus, dass ein Alleinerziehender in Vollzeit für den Mindestlohn arbeitet. Das Kindergeld können wir vernachlässigen, da man das ja für das Kind nutzen soll.
Dieser Arbeitnehmer zahlt also monatlich 51 Euro steuern. Hat aber bei 10 Kilometer Arbeitsweg und 2 Euro pro Liter Kraftstoff 56 Euro Fahrtkosten. Allein für die Arbeit. Mehr als diese 51 Euro Steuern kann er aber auch nicht über die Einkommenssteuer geltend machen. Allein da zahlt dieser Arbeitnehmer schon monatlich 4 Euro drauf.
Andere Werbungskosten oder Sonderausgaben, die man noch absetzen könnte, fallen dabei also schon weg, weil die Steuererstattung schon komplett durch die Fahrtkosten gedeckt ist.
Es wird ja nicht grundlos von vielen Seiten gewarnt, dass das so geplante Bürgergeld mehr Bezieher mit sich bringen wird. Die Gefahr, dass manche Arbeitnehmer sich kündigen lassen, um dann nach einiger Zeit im Bürgergeld zu landen, ist definitiv vorhanden. Schon ALG II ist für viele Bezieher völlig ausreichend und man kümmert sich nicht um einen Job.
Ich will zwar eigentlich nicht die unteren Einkommengruppen gegen Menschen ohne Arbeit ausspielen, aber mir fallen da viele finanzielle Vorteile ein, die man hat, einfach dadurch, dass man mehr Zeit hat. Vielleicht zur Klarstellung: Ich bin dafür, dass Alleinerziehende ohne Arbeit sowie Kranke und alte Arme mehr bekommen, gesunde Alleinstehende eher weniger, damit sie sich mehr um Arbeit kümmern. Aber das ist alles schwierig und kann wahrscheinlich gar nicht gerecht gestaltet werden. Denn es gibt auch Alleinstehende, die aus psychischen Gründen nicht arbeiten können. Das sieht man denen ja nicht an. Auf jeden Fall sollte aber im Mindestlohnbereich mehr verbessert werden. Es muss sich stärker lohnen zu arbeiten. Mit dem Bürgergeld scheint mir der Abstand zu gering.
Ich kenne jemanden, der sogar studiert hat und schon sein Leben lang von Unterstützung lebt. Jetzt bekommt er Alterssicherung. Meiner Meinung nach hätte er in seinem Leben durchaus Möglichkeiten gehabt, aber die Stellen, die er hatte, waren ihm nach einiger Zeit nie genehm genug. Er sagt auch ganz klar, dass ihm das Geld reicht. Ich habe mich schon öfters darüber geärgert, vor allen Dingen, wenn er mal wieder über irgendetwas schimpft, was für ihn in seinen Augen zu teuer ist. Ich hätte ihm sogar meine Kinder stundenweise gegen Bezahlung zur Betreuung anvertraut. Aber er hat dann immer irgendetwas Wichtigeres zu tun gehabt.
Also zu den finanziellen Vorteilen, wenn man viel Zeit hat: Man kann viel günstiger einkaufen. Ich habe zum Beispiel die App TooGoodToGo für mich entdeckt. Als ich noch neben der Arbeit die Kinder quasi alleine zu versorgen hatte, hätte ich gar keine Zeit gehabt, mir das Essen darüber zu holen. Gott sei Dank habe ich trotz Teilzeit immer gut verdient, aber das ist ja meistens bei Alleinerziehenden nicht der Fall, besonders wenn sie in sozialen Berufen arbeiten. Wenn man Zeit hat, kann man auch viel eher in verschiedenen Geschäften nach Sonderangeboten schauen oder nach gebrauchten Sachen auf Flohmärkten. Berufstätige Alleinerziehende mit kleinen Kindern haben nicht die Zeit, in Ruhe über Flohmärkte zu spazieren.
Auch bekommt man bei vielen Eintritten oder Mitgliedschaften wahrscheinlich Vergünstigungen, die man nicht bekommt, wenn man etwas mehr verdient. Auch bei der Tafel muss man wahrscheinlich irgendetwas vorlegen, um dort etwas zu bekommen. Das macht in der Summe schon was aus.
Blümchen, du musst aber günstig wohnen, damit beispielsweise die App hilfreich ist. Bei uns gibt es die nächsten Angebote über drei Kilometer entfernt und du kannst meist ab halb zehn am Abend kommen. Da kann eine Alleinerziehende wenig mit anfangen.
Die Tafel hier nimmt schon ewig keine neuen Kunden mehr auf. Da unsere Stadt sehr verschuldet ist, gibt es kaum Vergünstigungen, billiger in den Zoo kommen Leistungsempfänger beispielsweise an einem Tag im Jahr.
Aber ganz viele Vergünstigungen sind eben nicht, wie immer behauptet wird, an den Bezug von Grundsicherung gekoppelt. Wir haben knapp 500.000 Einwohner und von denen steht fast 100.000 Berechtigten ein Pass für billigere Eintritte und Rabatte zur Verfügung. Die wenigsten bekommen Arbeitslosengeld 2.
Es ist lächerlich zu behaupten, mit Grundsicherung wäre man angeblich so viel besser dran. Denn Menschen mit zwar geringem, aber eben deutlich höherem Einkommen stehen weitgehend die gleichen Vergünstigungen und weitere Möglichkeiten wie beispielsweise bei der Steuer zur Verfügung.
cooper75 hat geschrieben:Es ist lächerlich zu behaupten, mit Grundsicherung wäre man angeblich so viel besser dran.
Es sagt ja keiner, dass man sehr viel besser oder überhaupt besser dasteht. Und klar spielt die Wohnlage eine Rolle, die bei mir sehr günstig ist, zwar teuer, aber dafür wird viel geboten, auch für Leute mit wenig Geld. Aber ich finde trotzdem, dass ein Single mit Arbeit nicht nur ein wenig mehr haben sollte als einer ohne Arbeit. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es Leute gibt, die sich das durchrechnen, wenn sie einen miesen Job haben.
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