Werden Ingenieure, die in der DDR studierten, nicht benötigt

vom 05.04.2015, 09:33 Uhr

Mein Onkel ist Ingenieur, aber er hat das Ingenieursstudium damals in der DDR absolviert und bis nach der Wende in seinem Heimatort in einer kleinen Firma gearbeitet, die bestimmte Geräte herstellte und nach der Wende blieb er dann noch ein paar Jahre, die Firma hat sukzessive Leute entlassen und sich immer weiter verkleinert und irgendwann, Mitte der 90er Jahre, hat es ihn auch erwischt und da war er arbeitslos.

Am Anfang war er noch motiviert, hat sich beworben usw., wobei er vermutlich gar nicht richtig wusste, wie man sich bewirbt, denn das musste er ja vorher nie machen. Und er hat dann aber keine Stelle gefunden und war daheim und hat vom Arbeitslosengeld gelebt. Ich glaube, er hatte sich irgendwann mit der Situation abgefunden und gemerkt, dass er eben nichts mehr bekommt.

Ich weiß nicht mehr, wie viele Jahre man damals Arbeitslosengeld bekommen hat, früher war es ja mal länger, aber als der Zeitraum vorbei war, hat ihn das Arbeitsamt in solche ABM-Maßnahmen gesteckt. Da musste er etwas mit anderen zusammen Steinplatten und Pflastersteine verlegen oder irgendwelche Waldwege befestigen. Da hat er mir richtig leid getan, denn das ist doch entwürdigend für einen Ingenieur solche Drecksarbeit machen zu müssen.

Ich glaube aber, dass er sich nach einer Weile damit angefreundet hatte. Ich würde jetzt nicht sagen, dass es ihm Spaß gemacht hat, aber er hatte dort ein paar andere Leute kennengelernt, mit denen er quatschen konnte und das war vielleicht auch nicht schlecht. Er hat dann oft erzählt, was die anderen da so aus ihrem Leben berichtet haben. Nach der ABM-Maßnahme hatte er dann wieder Anspruch auf Arbeitslosengeld und war dann wieder daheim.

Dann kam mal eine neue Maßnahme, da sollte er eine Umschulung machen und die ging in Richtung Informatik. Hat er auch mitgemacht und dann später tatsächlich eine Stelle in einer Behörde gefunden, gar nicht weit weg. Das waren immer befristete Stellen, die immer wieder verlängert wurden. Ich glaube, er war da insgesamt 5 Jahre und hat immer gehofft, dass mal eine feste Stelle daraus wird, was aber nicht passiert ist.

Danach hatte er wieder zwei Jahre lang Arbeitslosengeld und dann kamen wieder irgendwelche Maßnahmen. Diesmal war es, weil er fast 60 war, so eine Motivationsmaßnahme, wo er zusammen mit anderen über das Schreiben von Bewerbungen aufgeklärt wurde und irgendwelche Vorträge anhören musste. Das fand er sehr langweilig und wenn er da an den PC gesetzt wurde, sollte er eigentlich solche Übungsaufgaben machen, wie einen Texte schreiben. Das konnte er ja in kürzester Zeit, weil er daheim den ganzen Tag am Rechner herumspielt. Und da hat er das dann genutzt, um online irgendwelche Dinge herunterzuladen und mit nach Hause zu nehmen, denn die hatten dort einen schnelleren Internetanschluss als er daheim hatte.

Nun ist mein Onkel über 60 und wartet auf die Rente. Er bekam nach der Maßnahme, bei der er heimlich alles mögliche gedownloaded hat, noch ein Jahr Arbeitslosengeld und danach nichts mehr, weil er aus seinem früheren Berufsleben so viel angespart hatte, dass er davon leben konnte. Er ist also Nichtleistungsempfänger, muss sich aber ab und an beim Arbeitsamt melden, damit die Arbeitslosigkeit auf die Rente angerechnet wird und er seine Rentenversicherung nicht selbst bezahlen muss.

Er hätte vielleicht auch nochmal irgendwo eine Stelle bekommen können, aber nur weiter weg, sodass er lange Strecken pendeln müsste oder die Woche über woanders hätte leben müssen und das wollte er nicht. Ich glaube, so ähnlich erging es vielen, die in der DDR studiert haben und dann später irgendwie arge Probleme hatten, wenn die bisher gewohnte Stelle weggefallen ist und sie nichts mehr gefunden haben. Mein Onkel hatte ja noch Glück, dass er im Laufe seines Arbeitslebens immer gespart hat und dann im Alter halbwegs davon leben konnte. Wobei ich das wirklich gemein finde, Ingenieure dazu zu zwingen, irgendwelche total sinnlosen Motivationskurse zu machen oder Pflastersteine zu verlegen.

Warum macht man eigentlich solche Kurse, obwohl die nichts bringen? Ist das nicht demütigend? Kann man die Leute nicht einfach in Ruhe lassen? Was denkt ihr, warum gerade die DDR-Ingenieure solche Probleme bei der Stellensuche haben, es heißt doch, dass Ingenieure angeblich heute gefragt wären?

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Bist du dir sicher, dass dein Onkel studiert hat? In der DDR gab es auch noch viele Ingenieure, die allerdings nur eine schulische und keine akademische Ausbildung hatten. Diese Ingenieure durften aber im Zuge der Angleichung sogar später den Titel Dipl.-Ing.(FH) führen, obwohl sie noch nie eine Hochschule von innen gesehen haben geschweige denn ein Diplom haben.

Solche Ingenieure sind nicht vergleichbar mit den heutigen Ingenieuren, sondern eher mit dem staatlich geprüften Techniker vergleichbar. Das heißt natürlich nicht, dass es dafür keine Jobs gibt, aber es kann durchaus Firmen abschrecken, wenn sie beispielsweise nach Tarifvertrag einem Ingenieur mehr bezahlen müssen, aber quasi nur einen Techniker bekommen.

Ich vermute mal, dass dein Onkel auch immer noch im Osten lebt? Es gibt nur wenige Regionen dort, die überhaupt einen höheren Bedarf an technischen Fachkräften haben. In Süddeutschland sieht das ganz anders aus. Wenn dein Onkel damals Mitte der 90er umgezogen wäre, hätte er vielleicht eine höhere Chance gehabt, in seinem Beruf zu bleiben.

Wenn man nach vielen Jahren aus dem Beruf draußen ist, ist die Ausbildung natürlich auch nicht mehr viel wert. Das heißt, dass seine höchste Qualifikation die Umschulung im Informatikbereich ist. Und dort muss er heute einfach mit einer Menge jüngerer, studierter Kollegen konkurrieren. Auch viele Chefs sind einfach 30 Jahre jünger und die stellen einfach lieber Gleichaltrige ein, auch wenn das offiziell niemand zugeben darf.

Die Teilnahme an Kursen ist eine Pflicht für jemanden, der eine Leistung vom Staat erhält. Von daher ist das nicht demütigend, sondern einfach eine Vertragsbedingung. "Einfach in Ruhe lassen" ist keine Alternative für jemanden, der staatliche Leistungen empfängt. Wer darauf nicht angewiesen ist, muss dort auch nicht mit machen.

Bisher hast du allerdings nur einen Einzelfall beschrieben. Wie kommst du darauf, dass das ein allgemeines Problem ist? Schließlich gibt es nicht mehr so viele DDR-Ingenieure, die tatsächlich aktiv am Berufsleben teilnehmen. Immerhin ist die Wende auch schon 25 Jahre her.

Allgemein werden natürlich Ingenieure gesucht, aber jemand, der seit 20 Jahren nicht mehr in seinem Beruf gearbeitet wird, kann man einfach nicht mehr als Ingenieur einstellen. In dieser Zeit hat sich so viel getan, dass man eigentlich neu studieren müsste, wenn man sich nicht ständig im Job weiterentwickelt hat.

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Bist du dir sicher, dass dein Onkel studiert hat? In der DDR gab es auch noch viele Ingenieure, die allerdings nur eine schulische und keine akademische Ausbildung hatten. Diese Ingenieure durften aber im Zuge der Angleichung sogar später den Titel Dipl.-Ing.(FH) führen, obwohl sie noch nie eine Hochschule von innen gesehen haben geschweige denn ein Diplom haben.

Ja, er hat an einer Universität studiert, er hat ein Diplom in Ingenieurwesen mit der Spezifikation Automatisierungstechnik und er hat mir mal erzählt, dass man ihm auch angeboten hatte, ob er nicht dort eine Doktorarbeit schreiben will, aber dazu hatte er damals keine Lust.

Ich vermute mal, dass dein Onkel auch immer noch im Osten lebt? Es gibt nur wenige Regionen dort, die überhaupt einen höheren Bedarf an technischen Fachkräften haben. In Süddeutschland sieht das ganz anders aus. Wenn dein Onkel damals Mitte der 90er umgezogen wäre, hätte er vielleicht eine höhere Chance gehabt, in seinem Beruf zu bleiben.

Ja, aber wer will denn sein ganzes bisherige Leben aufgeben, sein Haus, seine ganze Heimat und komplett woanders hin ziehen? Das hätte ich auch nicht gemacht. Ich wöllte auch nicht so weit weg arbeiten, auch wenn ich dam eventuell mehr verdienen könnte.

Bisher hast du allerdings nur einen Einzelfall beschrieben. Wie kommst du darauf, dass das ein allgemeines Problem ist? Schließlich gibt es nicht mehr so viele DDR-Ingenieure, die tatsächlich aktiv am Berufsleben teilnehmen. Immerhin ist die Wende auch schon 25 Jahre her.

Ich habe auch andere kennengelernt, denen es ähnlich erging. Manche haben einen Ingenieurstitel und machen heute Aufgaben, für die eine einfache Lehre im Handwerksbereich gereicht hätte, etwa einfache Schlossertätigkeiten, oder etwas ganz anderes, was mit Ingenieurwesen gar nichts mehr zu tun hat. Ich kenne etwa einen Ingenieur, der hat später eine Arbeitsvermittlung aufgemacht oder eine Ingenieurin, die im Alter archäologische Zeichnungen auf Minijobbasis erstellt hat.

Ich finde es schon entwürdigend, wenn man Leute mit akademischen Hintergrund zwingt, Pflastersteine zu verlegen. Das Arbeitslosengeld, was er bekommen hat, hat er sich ja selbst erarbeitet, er hatte ja eingezahlt und dass man das dann an Bedingungen knüpft, empfinde ich nicht als fair. Ich habe mir damals, als ich das mitbekommen habe, echt Sorgen gemacht, dass ich auch mal in solchen Maßnahmen landen könnte.

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Ja, aber wer will denn sein ganzes bisherige Leben aufgeben, sein Haus, seine ganze Heimat und komplett woanders hin ziehen? Das hätte ich auch nicht gemacht. Ich wöllte auch nicht so weit weg arbeiten, auch wenn ich dam eventuell mehr verdienen könnte.

Das muss man natürlich nicht, aber dann darf man sich auch nicht wundern, wenn man keinen Job findet, der eben einen starken, regionalen Schwerpunkt hat. Es gibt eben keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Stelle in Pendelreichweite.

Es ist einfach so, dass die meisten Firmen, die Ingenieure brauchen, in Süddeutschland angesiedelt sind. Soll man die jetzt dazu zwingen, in den Osten umzusiedeln oder dort Zweigstellen einzurichten? Tatsächlich hat man das ja durch großzügige Förderungen versucht und auch viele Arbeitsplätze geschaffen. Aber das alles hat seine Grenzen.

Ich kenne sehr viele junge Leute, die aus diesem Grund aus dem Osten nach Süddeutschland gezogen sind. Als junger Mensch hat man es natürlich leichter, aber trotzdem kostet es Überwindung, seinen Lebensmittelpunkt aufzugeben.

Ich finde es schon entwürdigend, wenn man Leute mit akademischen Hintergrund zwingt, Pflastersteine zu verlegen. Das Arbeitslosengeld, was er bekommen hat, hat er sich ja selbst erarbeitet, er hatte ja eingezahlt und dass man das dann an Bedingungen knüpft, empfinde ich nicht als fair.

Er hat für eine Versicherung bezahlt, die ihrerseits wieder Leistungen im Gegenzug anbietet. Das funktioniert nur, weil eine große Masse davon nie auch nur im Ansatz so viel zurück bekommt, wie sie einzahlt. Das kann man auch als unfair betrachten, aber es ist eben das Prinzip einer Versicherung.

Und an Versicherungsleistungen sind immer Bedingungen geknüpft. Schließlich muss der Versicherungsträger auch immer darauf achten, dass Leistungen nicht unberechtigt ausgezahlt werden. Normalerweise erhält er genug Zeit und auch eine gewisse Unterstützung, um eine angemessene Stelle zu finden. Erst wenn alle Stricke reißen, muss er eben damit rechnen, dass er einen Job machen muss, der nicht seiner Qualifikation entspricht.

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