Wer arm ist, bleibt auch arm?
Wer arm ist, der bleibt auch arm. Diesen Satz habe ich neulich in einer Nachrichtensendung gehört, die sich mit der Bildung in Deutschland beschäftigt hat. So sollen Studien hierzulande belegt haben, dass sich das Einkommen von Kindern selten von dem der Eltern unterscheidet. Wer aus einer armen Familie kommt, ergreift später auch meist einen Job, bei dem er wenig verdient und letztendlich auch wieder arm ist. Junge Menschen deren Eltern arbeitslos sind, werden häufig auch selbst arbeitslos.
Kritisiert wird, dass dies letztendlich nur die Schulen und öffentliche Institutionen ändern können, da arme Eltern nicht dazu in der Lage sind. den Kindern die Bildung und Förderung zukommen zu lassen, die sie benötigen würden. Und daran scheitert es momentan, denn viele Kommunen beginnen bei Sparmaßnahmen nicht selten mit der Schließung öffentlicher Einrichtungen, wie etwa Büchereien. Denkt ihr, dass dieser Satz pauschal für Deutschland gilt oder kann man aus diesem Kreislauf auch ausbrechen? Kennt ihr Beispiele aus eurem eigenen sozialen Umfeld?
Ich denke, dass an der Theorie etwas dran ist. Junge Menschen brauchen Wissen und eine gewisse Motivation, um etwas zu erreichen. Dazu sind gute Vorbilder wichtig. Wenn es das im familiären Umfeld nicht gibt, dann wird es schwierig für die Menschen, selbst erfolgreich zu werden. Allerdings ist es auch nicht ganz unmöglich. Anstatt der Familie können natürlich auch Freunde und deren Familie eine gewisse Vorbildfunktion übernehmen.
Die Schulen könnten sicherlich ihren Teil dazu beitragen. Die Schulen sind aber nur bedingt darauf ausgerichtet, junge Menschen auf das Berufsleben vorzubereiten. Und Unternehmertum kommt erst recht viel zu kurz. Die Schüler werden allenfalls zu Arbeitnehmern heran gezogen. Das sollte sich schon ändern und das kann man auch ohne größere Mehrkosten umsetzen.
Allerdings kann auch die Schule kaum alles leisten. Die meiste Zeit verbringen Schüler eben doch noch im familiären Umfeld. Und auch Lehrer sind was das angeht ja nicht unbedingt die besten Vorbilder, weil sie ja in der Regel eine Beamtenlaufbahn hinter sich haben und nicht etwa Unternehmer sind, die als Vorbilder dienen können.
Diese Tendenz ist nicht nur in Deutschland so klar zu erkennen. Es ist sicher kein zwangsläufiger Rückschluss, dass die Kinder auf dem Einkommensniveau der Eltern bleiben. Aber Ausnahmen bestätigen, wie so oft, auch hier die Regel. In meinen Augen sind die Reformen, die in den letzten Jahrzehnten in Deutschland durchgeführt wurden, ins Leere gelaufen.
Man hat zu frühen Leistungsdruck durch Benotung verantwortlich gemacht und die Benotung in den ersten Klassen abgeschafft, um Kinder auch schwacher Familien besser motivieren zu können. Da es innerhalb einer Klasse unter Schülern immer auch Vergleiche gibt, hat diese Maßnahme nach meinem Dafürhalten ihren damals so hoch propagierten Zweck verfehlt.
Dann hat man versucht, jedem so viel Bildung mitzugeben, wie es seiner eigenen Begabung entspricht und die Gesamtschulen als Wunderheilmittel gepriesen. Leider hat man dabei manch gruppendynamischen Prozess übersehen und einen wichtigen Faktor nicht berücksichtigt: die Motivation der Schüler. Die ist in Gesamtschulen durch die unterschiedlichen Leistungsniveaus deutlich schwieriger zu bewerkstelligen, als im klassischen Schulsystem. Abgesehen davon werden da auch schon mal von recht leistungsfähigen Schülern Grundkurse statt E-Kurse besucht, damit man weiter mit dem Freund in der gleichen Klasse ist. Da ist der Schuss dann wohl nach hinten losgegangen.
Seit einigen Jahren soll nun die Ganztagsbetreuung die Bildungschancen nivellieren. In der Praxis, die ich um mich herum erlebe, sieht die Realität wie folgt aus: Die Kinder haben die Möglichkeit ihre Hausaufgaben zu machen. Das war's. Einem Grundschüler, der mit seinem Freund auf dem Schulhof Fußball spielen will, ist diese Möglichkeit aber relativ wurscht. Der will einfach spielen. Und weil das so viele wollen, stehen eine oder zwei Betreuungspersonen mit zwanzig oder mehr Schülern in der Hausaufgabenbetreuung fast machtlos chronischer Unlust gegenüber. Das ist weder leistungsfördernd noch Chancen nivellierend.
Ich will nicht alles schlechtreden, was in der Bildungspolitik in den letzten Jahrzehnten gemacht wurde. Aber viele Maßnahmen gehen für mich an basalen Fakten vorbei.
Die meisten ehrlichen Lehrer werden bestätigen, dass Schul- und Bildungserfolg aus zwei maßgeblichen Faktoren bestehen. Der eine ist die persönliche, genetische Anlage des Kindes. Der andere ist die Arbeitshaltung. An dem ersten Faktor kann unser Schulsystem gar nicht herumlaborieren, an dem zweiten nur bedingt. Arbeitshaltung ist etwas, was zum größten Teil durch das Elternhaus geprägt wird.
Und genau da ist die Stelle, an dem jegliche Bildungspolitik, die auf den Cent guckt, machtlos ist. Es kostet eben viel Zeit, persönliche Betreuung und damit viel Geld, ein durchschnittliches Kind aus einer bildungsfernen Familie ausreichend dicht zu betreuen, damit man diesem Problem entgegenwirken kann. Wenn man das Geld und das Personal nicht hat, dann bleibt eben trotz aller Maßnahmen alles fast beim Alten.
Ich denke mal, zu diesem Thema gibt es ja einige entsprechende Studien (ich glaube, ich habe tatsächlich den gleichen Nachrichtenbeitrag gesehen wie du, Crispin), die die Wahrheit dieser Aussage belegen. Das ist aber natürlich alles nur Statistik und es heißt nicht, dass es nicht in Einzelfällen anders aussehen kann. Zur Lösung des generellen Problems glaube ich, dass man sich diese Einzelfälle genau ansehen muss. Wie ist ihr Leben verlaufen? An welchen Stellen wurden sie gefördert? Wie haben sie den Absprung geschafft? Welche Instanzen waren dafür die wichtigsten? An diesen Punkten kann man dann ansetzen, um ein allgemein funktionierendes System zu entwickeln, um begabte Menschen aus dem Niedriglohnsegment zu holen.
Wie immer muss man also das Problem bei der Wurzel packen und ich glaube in dem Fall ganz stark daran, dass es sich hier um das soziale Umfeld handelt, in dem ein Kind aufwächst. Die Zahlen sprechen für sich, aber ich kann auch aus eigener Erfahrung eine Anekdote dazu anbringen: Eine Klassenkameradin von mir kam von der Realschule ans Gymnasium und hat dort ihr Abitur mit einem guten Schnitt (2,4 oder so) abgelegt, was ja an sich schon einmal ein beachtlicher Schritt ist.
Sie kommt aus einer Bauernfamilie vom Land und hatte keinerlei "akademische" Kontakte in ihrem Umfeld. Trotzdem entschied sie sich zu studieren - oder hatte es zumindest vor. Aus irgendeinem Grund wurde daraus nach dem Abi nichts. Sie begann stattdessen eine Ausbildung, schloss diese auch erfolgreich ab und bekam eine Stelle. So weit, so gut. Jetzt kommt aber die Härte: Anstatt sich dort (im kaufmännischen Bereich) hochzuarbeiten, heiratete sie mit 23 Jahren einen zu dem Zeitpunkt arbeitslosen Handwerker. Die beiden haben jetzt ein uraltes Haus im hinterletzten Kaff und warten auf ihr erstes Kind. Und sie wird zu Hause erziehen.
Was ich mit dieser Anekdote sagen will: Selbst wenn die Möglichkeiten dazu an entsprechender Stelle von außen (sprich, in dem Fall von der Schule) gegeben werden, lässt sich die Erziehung und Prägung einer Person offensichtlich nicht einfach so außer Kraft setzen. Meine Klassenkameradin hätte alle Chancen gehabt, hat sich aber entschlossen, sie nicht zu nutzen. Insofern finde ich es auch schwierig zu sagen "die Gesellschaft muss mehr tun" (auch wenn sie das sicher muss!), denn demgegenüber ist sie machtlos.
Für Eltern, die ihre Kinder ermutigen und fördern, ihnen vermitteln, dass sie ihnen eine Zukunft wünschen und zutrauen, die besser ist als die eigene Lebensrealität, gibt es ja auch ein breites Hilfsangebot. Förderwerke wie die Studienstiftung legen zum Beispiel viel Wert darauf, Stipendiaten aus "bildungsfernen" Schichten aufzunehmen.
Zusammengefasst würde ich sagen, dass es sich hier auch stark um Fragen der Mentalität handelt: Wenn Eltern ihren Kindern Mut für die Zukunft machen und sie ermuntern, über den Tellerrand zu schauen, haben sie wesentlich bessere Chancen, sich hochzuarbeiten, als wenn sie von Anfang an vermittelt bekommen: "Wir sind arm und so wird das auch immer bleiben".
Das heißt aber nicht, dass ich hier die Verantwortung nur dem Umfeld zuschreiben will!!! Ich meine auf jeden Fall, dass die Grenzen durchlässiger werden müssen und mehr und vor allem leichter zugängliche Hilfestellungen für Kinder aus ärmeren Familien geboten werden müssen. Der Staat müsste hier viel mehr die Werbetrommel dafür rühren, welche Angebote und Hilfsprogramme es gibt, und die Verfahren erleichtern, um aufgenommen und gefördert zu werden.
Dass das soziale Umfeld und die Umstände, unter denen man aufgewachsen ist, da einen gewissen Einfluss ausüben, kann ich mir schon vorstellen. Wer in ärmeren Verhältnissen aufgewachsen ist, vermisst bestimmte Dinge vielleicht auch einfach nicht und hat kein Problem damit später unter ähnlichen Verhältnissen zu leben. Man muss aber sicher nicht arm bleiben, nur weil das Elternhaus es war.
Bekannte von mir wohnten in sehr einfachen Verhältnissen, die Mutter war Hausfrau und der Vater Gärtner, beide hatten den Hauptschulabschluss. Ihre einzige Tochter ist Betriebsleiterin einer großen Autofirma und verdient dabei sehr gutes Geld. Sie war mit den Verhältnissen in ihrer Jugend aber auch nicht allzu glücklich und hat gehofft, später einmal einen sehr guten Job mit hohem Einkommen zu bekommen.
Ich bin in NRW aufgewachsen und hier war das Schulsystem einfach undurchlässig. Natürlich gab es die theoretische Möglichkeit mit einem Abschluss der mittleren Reife mit Qualifikation auf ein Gymnasium zu wechseln. Aber das war eben Theorie.
In der Praxis wurden die Schüler wegen mangelnder Plätze abgewiesen, schließlich war die Vollzeitschulpflicht erfüllt. Wer einen der wenigen Plätze ergattern konnte, hat es in der Regel nicht geschafft. Das lag sicher nicht an der Intelligenz, aber der Unterricht ist eben deutlich anders. Schließlich verfolgen die unterschiedlichen Schulformen unterschiedliche Ziele. Und Förderung gab es nicht.
Also blieben Höhere Handelsschulen und andere Fachoberschulen. Wer es nicht direkt auf das Gymnasium geschafft hat, der war fast immer dauerhaft ausgeschlossen. Aber auch die Grundschulen selektierten hart. Wenn die Eltern nicht den Eindruck gemacht haben, eine Laufbahn auf dem Gymnasien nicht unterstützen zu können, gab es keine Empfehlung.
Aus meiner Klasse ging damals die Hälfte zum Gymnasium und die andere Hälfte zur Hauptschule. Und die Trennung war eben auch komplett nach sozialen Gesichtspunkten da. Alle Kinder von Akademikern hatten die Empfehlung, alle anderen nicht.
Welche Eltern, die selbst keine hohe Bildung haben, trauen sich, dann anders zu entscheiden? Zumal man dem eigenen Kind Enttäuschungen ersparen möchte und es eine Frage des Geldes ist. Das Leben ist leichter, wenn das Kind früher Einkommen erzielt.
Wenn man überlegt, was in meinem Umfeld normal war. Man ging auf das bessere Gymnasium der Stadt, weil man von dort bessere Chancen hatte. Wer von da kam, wurde bevorzugt behandelt und gefördert. Kinder von Nicht-Akademikern waren Exoten und wurden bis zur Oberstufe aussortiert. Kinder von Akademikern wurden eher mitgeschleppt.
Ein Bekannter wollte nach der Realschule Abitur machen, er musste eine Lehre antreten. Ja, er hat heute einen Hochschulabschluss. Aber das ging nur mit Fachabitur nach der Lehre, dann Fachhochschule und dann Wechsel dank guter Noten zur Uni. Der war erst mit Anfang 30 fertig. Eine Freundin durfte nur zur Hauptschule, weil sie als Frau sowieso heiraten wird. Die nächste durfte Realschule und Lehre machen, damit sie halbtags arbeiten kann, wenn die Kinder größer sind. So ganz vom Ehemann abhängig sein, das muss ja nicht mehr sein. Akademiker schicken ihre Kinder dagegen geradezu zwangsläufig zum Gymnasium.
cooper75 hat geschrieben:Aus meiner Klasse ging damals die Hälfte zum Gymnasium und die andere Hälfte zur Hauptschule. Und die Trennung war eben auch komplett nach sozialen Gesichtspunkten da. Alle Kinder von Akademikern hatten die Empfehlung, alle anderen nicht.
So war es bei mir ebenfalls. Da wurde nicht nach tatsächlicher Leistung und Wissen unterschieden sondern nur nach dem Stand und entsprechend bekam man nach der Grundschule dann sein Übertrittszeugnis in die Hand gedrückt. Stand dort keine Empfehlung für das Gymnasium mit drauf, dann konnte man sich zwar bei der Schule um einen Platz bewerben und durchlief ein Aufnahmeverfahren, welches dann ebenfalls nach sozialen Gesichtspunkten nochmals ausgesiebt hat. So sind auch dort Intelligente Menschen aus armen Verhältnissen am Ende auf der Hauptschule gelandet und hinterher den Weg mit Lehre gegangen. Zweiter Bildungsweg dauert lange und nur wenige machen das hinterher auch noch.
Für ein Kind aus Akademikerkreisen war es nicht machbar, dass das ein Übertrittszeugnis bekommt auf dem nur die Eignung für Hauptschule oder gar Realschule angegeben war. Dort pochten die Eltern darauf, dass das Kreuz an der richtigen Stelle war und schickten ihre Kinder dann auch darauf. Viele haben es dann im Endeffekt nicht geschafft, viele Ehrenrunden gedreht und am Ende nach der 10. Klasse mit maximal einem Realschulabschluss das Gymnasium verlassen. Schade der Familie oder manche haben alles unternommen, damit der Spross der eindeutig zu dumm war für das Gymnasium am Ende doch sein Abitur in den Händen gehalten hat, zwar gerade so bestanden, aber Hauptsache dieser Wisch.
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