Welchen Sinn macht Entwicklungsstandsüberprüfung?

vom 01.03.2015, 21:30 Uhr

Mein Sohn ist sechs Jahre alt und wird im September eingeschult. Er ist schon seit mehreren Monaten sehr an diversen klassischen Schulthemen interessiert. So kann er zum Beispiel schon flüssig und fließend lesen. Beim Schreiben schreibt er fehlerfrei lautgetreu und beachtet bereits auch schon einige Rechtschreibregeln. Beim Rechnen rechnet er plus und minus problemlos im Zahlenraum bis 100, zum Teil sogar etwas weiter. Und seit kurzem ist scheinbar auch schon das Multiplizieren dran.

Und nein, ich bin keine Mama, die ihn da zu irgendwas drängt. Ganz im Gegenteil, ich halte nicht viel davon. Gut, wenn man bei Schuleintritt schon einige Buchstaben kann, dann halte ich das nicht für verkehrt, allerdings halte ich zu viele Vorkenntnisse als großes Risiko dafür, dass er sich sehr langweilen wird.

Ich zeige ihm auch keine Multiplikationen oder dergleichen vor. Das "erarbeitet" er sich mehr oder weniger alleine. Also er fragt dann schon oft nach, ob seine Gedanken eben richtig sind. Da kann ich dann ja wohl auch nicht sagen, dass ich ihm die Antwort erst in zwei Jahren geben werde. So waren wir unlängst zum Beispiel einkaufen. Beim Cousin (der gerade in die zweite Klasse geht) hat er in den Ferien zum Beispiel aufgeschnappt, dass 4x5 eben 20 ist und dass dann 5x4 auch 20 ist. So meinte er dann beim Einkaufen, dass dann 4x4 eben 16 sein muss, weil er von den 20 eben 4 abgezogen hat. Das erklärt er auch so, weil ich ihn gefragt habe, woher er das weiß, dass 4x4 eben 16 ist. Das ist ja nur ein Beispiel von sehr vielen.

Da das alles irgendwie kein Ende gefunden hat, und er einfach alles wie ein Schwamm aufsaugt, habe ich vor ein paar Wochen etwas mehr mit Englisch angefangen. Dazu muss ich sagen, dass das für ihn "Neuland" war, weil da ich selber Französisch-Lehrerin bin, habe ich bei ihm eher mit Französisch angefangen, was er auch im Alltagsniveau gut versteht.

Inzwischen hat er sich selber gewünscht, dass er gerne mal ein englisches Kinderbuch lesen möchte. Ich habe es ausprobiert und hier muss ich ihm natürlich einiges helfen, aber das klappt echt prima. Heute hat er dann von sich aus gefragt, ob ich ihm ein paar Sätze auf Englisch sagen kann, weil er möchte sie schreiben.

Wie auch immer. Irgendwie ist er für sein Alter schon extrem weit (bis auf den motorischen Bereich, wo er dafür sogar ein wenig hinter dem Durchschnitt ist). Nun wurde ich bereits von einem Schulpsychologen (der scheinbar mit der Kindergartenpädagogin gesprochen hat) gefragt, ob ich eine Überprüfung des Entwicklungsstandes bin. Ich war da zunächst sehr überrascht und lehnte einmal ab, beziehungsweise habe ich mir Bedenkzeit erbeten.

Leider war ich darauf irgendwie gar nicht vorbereitet, so habe ich auch keine Fragen über die Hintergründe beziehungsweise eben Konsequenzen gestellt. Hat hier jemand schon einmal eine Überprüfung des Entwicklungsstandes gemacht? Was wird da gemacht und vor allem was bringt es? Dass sich mein Sohn im nächsten Schuljahr massiv langweilen wird, befürchte ich bereits jetzt. Ich wohne am Land in einem kleinen Dorf, wo es nur eine Grundschule gibt. Ich habe also gar keine Wahlmöglichkeit. Im näheren Umfeld gibt es keine Alternativen.

Freunde meinten schon, dass er eine Klasse überspringen soll, davon halte ich aber auch nichts. Ich halte die erste Klasse für sehr wichtig, nicht unbedingt wegen dem Lehrinhalt, den hat er zum Großteil wirklich drauf, aber es geht ja noch um vieles mehr. Außerdem wird er selbst in seiner Altersstufe eindeutig der Kleinste sein. In der zweiten Klasse, wäre dieser Unterschied natürlich noch viel stärker. Also bringt so eine Überprüfung ja doch nichts, außer dass sich mein Sohn erst recht womöglich wieder denkt, dass er "aus der klassischen Reihe" fällt, oder?

Benutzeravatar

» tournesol » Beiträge: 7760 » Talkpoints: 69,99 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Wir haben mit unserer Tochter diverse Tests durchlaufen und auf Hochbegabung und ADHS getestet. Es waren sehr viele Tests, die über mehrere Tage gingen und verschiedene Bereiche abdeckten. Für jeden Bereich haben wir eine Auswertung erhalten. Da waren unter anderen ein Intelligenztest, Fragebogen, Sprachentwicklung, das Lese und Schreibniveau wurden bestimmt usw.

Sie konnte ebenfalls fließend lesen und schreiben und war auch beim Rechnen sehr weit. Da sie aber kurz vor dem Stichtag Geburtstag hat und mit noch 5 eingeschult wurde, war für uns klar, dass sie in die 1. Klasse eingeschult wird. Sie war und ist auch sehr klein, leicht und total verspielt. Das heißt sie ist vom Kopf her wesentlich weiter als von der emotionalen Reife.

Das erste halbe Jahr ging es auch ganz gut in der Schule, da sie genug damit zu tun hatte, sich in den Schulalltag rein zu finden und mit der Schule als Ganzes klar zu kommen. Im Unterricht hat sie allerdings immer entsprechendes Material von der Lehrerin erhalten und musste nicht erst die Zahlen schreiben lernen.

Zum zweiten Halbjahr ist sie dann in die zweite Klasse gesprungen und auch wenn ich massive Bedenken bezüglich ihrer allgemeinen Reife hatte, kommt sie gut zurecht. Sie hat mehrere Freundinnen und ist voll in die Klasse integriert. Für sie war es im Nachhinein die absolut richtige Entscheidung, da sie einiges nachholen musste und somit gefordert wurde.

Der Entwicklungstest an sich hat uns nicht so viel gebracht. Wir wussten schon vorher, dass sie ein ziemlich pfiffiges Mädchen ist und die ADHS Diagnose hat uns auch nicht vom Hocker gehauen, da uns vorher schon ihre chaotische Art und Weise, die Ablenkbarkeit und Unkonzentriertheit aufgefallen ist. Auch das sie nicht still sitzen kann, haben wir schon vorher bemerkt.

» drago » Beiträge: 169 » Talkpoints: 1,56 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Um dir genau was raten zu können, kenne ich mich zu wenig mit dem Schulsystem in Österreich aus. Da ich aber davon ausgehe, dass es dem hiesigen nicht allzu unähnlich sein dürfte, gebe ich doch mal meine Gedanken dazu, bilde dir halt die eigene Meinung.

Auf jeden Fall finde ich es auch richtig, Kindern solche Interessen zu beantworten, wenn sie sie gerade jetzt haben. Maria Montessori liegt da meiner Meinung nach mit ihren sensiblen Phasen schon richtig. Ich kenne auch ein Kind, da haben die Eltern solche Fragen immer vertröstet und auf die Schule verlegt. Obwohl das Kind auch schon ein Jahr früher hätte eingeschult werden können (Geburtstag nur wenige Tage nach dem Stichtag) und das Kind damals auch interessiert war, hat die Mutter das Kind noch ein Jahr zum regulären Termin warten lassen und dann war das Interesse nach einem Jahr an der Schule futsch. Zu lange vertröstet. Und das Kind bekam sogar eine Lese-Rechtschreibschwäche. Möglicherweise wäre die auch gekommen, wenn das Kind nicht später eingeschult worden wäre, aber auffällig finde ich das schon.

Von meinen Kindern kenne ich das mit der Langeweile im Unterricht auch. Bei dem ältesten war es schon stark merkbar. Die kleineren Geschwister, die naturgemäß auch schon vor der Einschulung zu multiplizieren begonnen haben und so weiter hatten es noch härter. Sie lernen eben zwangsläufig alles von den großen Geschwistern mit. Ich denke auch nicht, dass man das verhindern sollte.

Ich würde das Kind auch die erste Klasse mit machen lassen und notfalls höhere Klassen überspringen lassen. Aber man sollte immer den Einzelfall sehen. Wie ist das eigentlich in Österreich, bzw. bei euch an der örtlichen Grundschule? Gibt es da es da diese Grundschulklassen, die in Deutschland unter dem Namen Flex-Klasse oder JüL-Klasse laufen? Wo Kinder aus verschiedenen Jahrgängen zusammen unterrichtet werden? Dann können Kinder, die im ersten Lernjahr sind mit denen im zweiten Lernjahr zusammen lernen und bleiben trotzdem in ihrer festen Lerngruppe. Da werden Jahrgangs-Grenzen nicht so eng gesehen. Wenn es so etwas gäb, dann wäre eine Leistungsstandüberprüfung sinnvoll. Denn es gibt so viele Eltern, die ihren Kindern wer weiß was zutrauen. Da ist ein wissenschaftlicher Nachweis hilfreich für die Argumentation.

Ich würde meinem Kind auch nicht unbedingt die Ergebnisse der Untersuchung mitteilen. Das können Kinder auch akzeptieren, wenn man sie mit einer allgemeinen Antwort wie "mit dir ist alles in Ordnung" abspeist. Man muss da schon aufpassen, dass man ein Kind nicht pathologisiert, wenn es der Meinung ist, dass es irgendwie unnormal ist, wenn auch im positiven Sinne.

Für besonders begabte Kinder gibt es auch Fördermöglichkeiten. Für besonders mathematisch begabte Kinder gibt es zum Beispiel in Berlin an der Universität eine Gruppe, wo eine Professorin sich um solche Grundschulkinder kümmert. Da kommt man aber nur ran, wenn man einen Nachweis hat, dass das Kind dafür geeignet ist. Vielleicht gibt es ja ähnliche Angebote bei euch auch?

Viel hängt an einer einzelnen Schule auch von der Direktorin oder dem Direktor ab. Wie weit da an der Schule eben die Rahmenbedingungen gegeben sind, begabte Kinder zu fördern. Eventuell weiß die Direktorin von der Idee des Schulpsychologen auch schon Bescheid, denn oft arbeiten so regionale Grundschulen eng mit solchen Fachkräften zusammen. Ich würde mal an deiner Stelle auch überlegen, ob man sich nicht auch mal anhört, was die Direktorin anzubieten hat?

Ich kenne deinen Sohn ja nicht persönlich. Aber gerade Jungen, die sich in der Schule unterfordert fühlen, werden eher verhaltensauffällig, als Mädchen in ähnlicher Situation. Es gibt Jungen, die aus Unterforderung in der Schule plötzlich total anders werden als zu Hause. Ich will jetzt keine Panik schüren, es muss ja auf deinen Sohn nicht zutreffen, aber dir das zur Überlegung geben. Und wenn ein Junge erst mal negativ auffällig geworden ist, dann den Leistungsstand zu überprüfen, das wirkt schnell wie eine billige Rechtfertigung. Schon wieder ein ungezogenes Kind, das angeblich hoch begabt ist. Das sieht schnell nach Klischee aus. Da kann es praktisch für das Kind sein, wenn die Lehrer eben schon vorher Bescheid wissen.

Jetzt komme ich wieder an den Punkt, wo mir eben das Wissen über Österreich fehlt. Aber auch bei euch werden die ganzen gesetzlichen Rahmenbedingungen online verfügbar sein. Vielleicht findest du ja was zu diesem Thema? Möglicherweise haben hoch begabte Kinder bei euch ja mehr oder andere Rechte als hier? Und wenn du dir Bedenkzeit ausgebeten hast, hast du bestimmt die Visitenkarte von dem Schulpsychologen, oder? Ruf doch einfach mal an und sage, dass du noch ein paar offene Fragen hast, die du vor der Testung beantwortet haben möchtest. Das ist dein gutes Recht. Du wirst dann schon sehen, was man dir antwortet und ob du den Test unter den Bedingungen akzeptieren möchtest. Aber ich würde da eben auch die Chancen im Blick behalten.

Benutzeravatar

» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge



Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^