Welche Sachen heute akzeptiert, die früher verpönt waren?
Schon als Teenager fiel mir von meinen Großeltern beim Stöbern der alte Knigge in die Hände, den ich dann auch von vorne bis hinten gelesen habe. Wahrscheinlich kam mir schon damals einiges sehr antiquiert vor, aber heute wäre das noch mal ganz anders. Im Zuge dessen habe ich mich gefragt, welche Werte und Normen heute gesellschaftlich akzeptiert sind, die früher sehr verpönt waren.
Wahrscheinlich fallen darunter ganz viele Dinge, die mit der Emanzipation zu tun haben. Auch der Knigge selbst hat sich ja angepasst und diverse Regeln der modernen Zeit angepasst. So könnte ich mir vorstellen, dass heute gerade im Bereich der Etikette vieles lockerer gesehen wird und alte Regeln nicht mehr gelten. Von der Mode gar nicht zu reden, unsere Großmütter oder vielleicht sogar noch Mütter wären über Frauen in Arbeiterhosen und weißen Unterhemden sicher hochgradig irritiert gewesen.
Was außer Mode und Benimmregeln fällt noch unter dieses Thema, wo Dinge sich in der Beurteilung sehr gewandelt haben? Was ist heute akzeptiert, was früher nicht gerne gesehen war?
Das kann man so gar nicht beantworten, wenn "früher" und die Gesellschaft bei "gesellschaftlich verpönt" nicht näher definiert ist. Meine Kinder würden als früher wahrscheinlich die Zeit von vor zwanzig Jahren ansehen und Riesenunterschiede sehen. Andere meinen damit die Nachkriegszeit. Ich denke bei früher vielleicht am ehesten an meine Kindheit, als es heiße Diskussionen um die langen Haare bei den Jungen und das Tragen von Hosen bei den Frauen gab. Ja, bei uns gab es ernsthafte Diskussionen darüber, dass bei Jungen doch die Haare nicht über die Ohren wachsen sollten und dass bei Frauen Hosen grundsätzlich nicht gut aussehen. Mein Vater war der Meinung, dass man nie mehr einen Mann abbekommt, wenn man schon einmal mit einem Jungen zusammen war.
Als ich ein Kind war, brauchte die Frau zum Arbeiten noch die Erlaubnis des Mannes und im Fernsehen schauten wir uns die Sendung "Ehen vor Gericht" an, in der immer entweder der Mann oder die Frau am Scheitern der Ehe Schuld und dementsprechend finanzielle Nachteile bei der Scheidung hatte. Homosexualität war noch strafbar. Ich bin froh, dass mein schwuler Sohn in der heutigen Zeit lebt und seine sexuelle Präferenz nicht verstecken muss.
Unter früher könnte ich aber auch meine Studienzeit in München verstehen. Damals lagen wir splitterfasernackt im Englischen Garten. Heute wäre das verpönt. Wir trugen auch keine BHs, wahrscheinlich heute auch verpönt, wenn es zu offensichtlich ist. Es hat sich vieles wieder zum Prüden hingewandelt, auch was die Ansprüche an Beziehungen betrifft. Andererseits gab es natürlich unterschiedliche Gruppen. Was bei den einen verpönt war, war bei den anderen normal und umgekehrt.
Außerdem könnte man "früher" auch zusätzlich mit dem Ort verknüpfen. Leute, die in der DDR aufgewachsen sind, konnten als Frau Baggerführer sein, während das im Westen nicht so leicht möglich war. Meine Schwester ist Architektin und es war für sie als Mädchen extrem schwierig, einen Praktikumsplatz auf dem Bau zu finden. Es war zwar nicht "verpönt", aber anscheinend zumindest in unserer ländlichen Gegend auch nicht akzeptiert. In der DDR hatten die Kinder früh einen Kindergartenplatz, während das hier fast verpönt war, wenn man seine Kinder zu früh "weggab". Das waren dann die Rabenmütter.
Man könnte je nach dem, was man als früher bezeichnet, tausende Dinge aufzählen, die früher verpönt waren und heute nicht, aber auch umgekehrt. Das fängt bei der Sprache an und endet bei den Beerdigungsriten, wo heutzutage in katholischen Gegenden auch Evangelische und Heiden auf dem Dorffriedhof liegen dürfen, was nicht immer der Fall war.
blümchen hat geschrieben:Unter früher könnte ich aber auch meine Studienzeit in München verstehen. Damals lagen wir splitterfasernackt im Englischen Garten. Heute wäre das verpönt. Wir trugen auch keine BHs, wahrscheinlich heute auch verpönt, wenn es zu offensichtlich ist. Es hat sich vieles wieder zum Prüden hingewandelt, auch was die Ansprüche an Beziehungen betrifft. Andererseits gab es natürlich unterschiedliche Gruppen. Was bei den einen verpönt war, war bei den anderen normal und umgekehrt.
Ach, die nackten Gestalten im Englischen Garten liegen da heute noch! Der Optik nach zu urteilen, sind es auch die gleichen, die im Studium damit angefangen haben, und es juckt auch immer noch keinen Menschen, auch wenn sich von der "heutigen Jugend" nicht mehr so viele dazulegen würden.
Davon abgesehen kann ich mich nur anschließen. "Früher" und "verpönt" sind dehnbare Begriffe, und ich habe auch in vielen Fällen den Eindruck, dass die Gesellschaft eher Rückschritte macht, gerade was z. B. die Geschlechterrollen angeht. Es kommt eben darauf an, ob man eine "höhere Tochter" aus dem Kaiserreich, die keine knöchellangen Kleider tragen durfte, als Vergleich heranzieht oder eine Hippykommune aus den 1970ern, in der Substanzen und Verhaltensweisen "akzeptiert" waren, die heute wahrscheinlich eine Gefängnisstrafe nach sich ziehen würden.
In meiner Kindheit in den Achtzigern sind beispielsweise gefühlt alle mit den gleichen Latzhosen rumgelaufen, heute habe ich eher den Eindruck, dass sich Mädchen wieder nicht mehr "schmutzig machen" dürfen und die rosa Prinzessin-Lilifee-Kleidchen, die anno 1987 "verpönt" waren, wieder stramm auf dem Vormarsch sind. Genauso wie die langen Haare bei als männlich definierten Kindern. Da habe ich nicht den Eindruck, dass diese heute bei der Eltern- und Großelterngeneration tatsächlich "akzeptierter" sind als damals um die Beatles herum.
Ich würde also auch nicht behaupten, dass in unserer Gesellschaft tatsächlich eine umfassende Bewegung zu mehr Toleranz und Lockerheit zu sehen ist, sondern eher eine Pendelbewegung zwischen HJ-Frisur und Hippiematte, Latzhose und Spitzenkleid, Free Love und "Sex ist eklig", Protest und Resignation.
Es ist interessant, sich mit der Veränderung der gesellschaftlichen Normen auseinanderzusetzen und zu reflektieren, welche Werte heute akzeptiert sind, die früher als unangemessen galten. Ein Beispiel dafür ist sicherlich die Akzeptanz von LGBTQ+-Menschen und ihrer Lebensweise. Früher waren gleichgeschlechtliche Beziehungen und Homosexualität allgemein gesellschaftlich verpönt und wurden oft als Sünde oder Krankheit angesehen. Heute hingegen haben sich viele Länder weltweit für die Gleichstellung von LGBTQ+ Personen eingesetzt und Homosexualität wird als natürliche Ausprägung der Sexualität akzeptiert.
Auch die Rolle der Frau in der Gesellschaft hat sich stark verändert. Während Frauen früher oft nur als Hausfrauen und Mütter angesehen wurden und keine oder nur begrenzte Karrieremöglichkeiten hatten, haben sie heute mehr Chancen und Rechte. Frauen können heute in fast allen Berufsfeldern tätig sein und haben in vielen Ländern das Recht auf gleichen Lohn wie Männer. Auch die traditionelle Rollenverteilung in Familien hat sich gewandelt und viele Frauen entscheiden sich heute bewusst dafür, sowohl Karriere als auch Familie zu haben.
Ein weiterer Bereich, in dem sich gesellschaftliche Normen verändert haben, ist die Technologie und das Internet. Früher waren Computer und das Internet nur wenigen Menschen zugänglich, heute sind sie aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Auch die Art und Weise, wie wir kommunizieren, hat sich mit der Digitalisierung verändert. SMS, E-Mails und Social Media haben traditionelle Formen der Kommunikation wie Briefe oder Telefongespräche abgelöst.
Allerdings sollte man nicht vergessen, dass viele dieser Veränderungen auch kontrovers diskutiert werden. So gibt es zum Beispiel immer noch Menschen, die die traditionelle Rollenverteilung in Familien befürworten oder Homosexualität als unmoralisch ansehen. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass gesellschaftliche Veränderungen ein stetiger Prozess sind und dass es auch in Zukunft immer wieder Diskussionen und Debatten darüber geben wird, was akzeptiert ist und was nicht.
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