Welche Erfahrungen lassen einen Menschen persönlich reifen?

Eine Bekannte von mir ist der Ansicht, dass Trauer einen Menschen sehr stark persönlich reifen lassen würde. Ich stimme ihr zu, würde das aber ehrlich gesagt nicht nur auf Trauer beziehen. Ich kenne auch (junge) Menschen, die noch keinen Trauerfall in ihrem Leben hatten, aber durch andere Schicksalsschläge schnell gereift sind.

Das kann Alkoholismus oder Drogensucht in der Familie sein oder aber irgendwelche Konflikte oder Krankheiten im Umfeld. Wie seht ihr das? Welche Erfahrungen lassen einen Menschen persönlich reifen und warum? Würdet ihr diese Reifung nur auf Trauer beziehen oder ist das eurer Ansicht nach zu kurz gedacht?

Ich stimme Dir zu, dass persönliches Reifen eindeutig nicht nur durch trauern geschieht, aber ich würde auch deine Ausführung noch stark erweitert wollen, weil ich auch nicht der Meinung bin, dass man nur durch negative Erfahrungen reift. Ich denke man reift auch sehr durch positive Erlebnisse. Ich denke dabei an z.B. Auslandaufenthalte, Reisen, Beruf (z.B. auch Nebenjob als Schüler), Umgang mit Menschen, usw.

Natürlich verstärkt eine extreme Situation den Effekt des Reifens sicherlich. Extreme Situationen erfordern oftmals Verantwortung zu übernehmen. Und das verbinden wir mit negativen Ereignissen, wie z.B. den Verlust eines Menschen der diese Verantwortung oder Entscheidungen bisher getragen oder gefällt hat.

Aber Verantwortung/Eigenverantwortung kann man natürlich auch haben und erlangen durch positive Ereignisse. Zum Beispiel wenn man aus dem Elternhaus auszieht reift man oder natürlich wenn man ein Kind bekommt oder auch als ältestes Geschwisterkind. Um nur einige wenige Beispiele beim Namen zu nennen. Siehst du das anders? Oder warum verbindest du es mit negativen Geschehnissen?

Ich sehe es so ähnlich wie meine Vorschreiberin und halte es für zu kurz gedacht, dass a) nur negative Erfahrungen einen Menschen reifen lassen und b) die allermeisten Menschen tatsächlich "reifen", wie auch immer man das definieren mag. Nicht jedem gelingt es, aus einem Schicksalsschlag oder miesen Erfahrungen gestärkt hervorzugehen, wie es so schön heißt, und da kann ich den Leuten auch keinen Vorwurf machen.

Ich selber habe durchaus auch aus Schicksalsschlägen und negativen Erfahrungen meine Lehren gezogen, aber auch an sich positive Ereignisse wie Jobwechsel, Studium oder die Entwicklung meiner Beziehung haben mich durchaus reifen lassen. Die Lebenserfahrung an sich macht natürlich auch einen Unterschied - irgendwann kann man nicht mehr naiv und gutgelaunt wie mit 22 durch die Gegend hüpfen, weil man sich nämlich der 40 nähert. Eine gewisse Entwicklung der Persönlichkeit ist wohl kaum zu verhindern, wenn man lange genug lebt.

Nicht jeder führt zudem ein an sich behütetes, bürgerliches Leben mit allen Chancen und aller Hilfe, die man so bekommen kann. Und wenn man sowieso schon schlechte Voraussetzungen hat, ist es schwer, aus miesen Startbedingungen wie Drogen in der Familie oder was auch immer, wie im Fernsehen tapfer das Beste zu machen. Es mag schon sein, dass manche Charaktere daran "reifen", aber viele zerbrechen bestimmt auch daran und versauen sich das Leben genauso, wie sie es bei anderen erlebt haben. Das finde ich immer sehr schade, aber ich kann aus meiner kuscheligen bürgerlichen Existenz ja wohl schlecht mit dem Finger auf andere zeigen und ihnen vorwerfen, ihr Leben nicht auf die Reihe gekriegt zu haben, wenn ich in der Situation wahrscheinlich auch gescheitert wäre.

Und manche Menschen erwecken auf mich unabhängig von ihrer Lebenssituation auch den Eindruck, als wären sie auf dem Niveau von Teenagern schlicht stehengeblieben und gar nicht in der Lage, aus Schicksalsschlägen oder Niederlagen etwas zu lernen und persönlich zu reifen.