Was man selbst nicht hat, weckt immer weniger Verständnis?

vom 01.04.2018, 00:11 Uhr

Ich behaupte, dass die Menschen am meisten Verständnis für die Krankheiten, Leiden und Probleme haben, welche sie selbst auch am eigenen Leib erfahren haben. Hierzu ein paar Beispiele:

Ein befreundeter DJ hatte nach einer langen Clubnacht mit einer schlechten Anlage für ein paar Wochen Tinnitus und Geräuschempfindlichkeit. Wenn er dann zu Besuch war, hat ihn alles gestört: Der Lüfter des PCs, das neue Album von John Doe, das Schreien der Kinder oder der Rasenmäher in der Ferne. Bis ich mich an seine Situation angepasst habe und entsprechend Rücksicht genommen habe (weil ich vorher immer vergessen habe) hat es fast so lange gedauert, bis es wieder weg war bei ihm.

Eine Freundin hat sich beim Klettern verletzt und hatte dann eine Zeit lang Schwindel. Aus diesem Grund war sie öfter nicht mehr bei unseren Aktivitäten im Freundeskreis dabei. Einer der unsensibleren Kommentare war: "Die soll sich nicht so anstellen, Beruhigungsmittel nehmen und vorbeikommen. Die schwindelt uns nur was vor."

Ein Bekannter ist seit seiner Kündigung in eine leichte depressive Phase verfallen. Gemeinsame Abende nimmt er oft nicht war, sitzt lieber zu Hause am PC oder schaut Filme bis in die Nacht. Dadurch dass er nicht da ist, fehlt einfach jemand in unserer Clique und das Verständnis nimmt ab. Wir sind dann irgendwann der Meinung, dass er besser unter Leute (also zu uns) gehen soll, statt zu Hause zu vegetieren und akzeptieren seinen Wunsch nach Alleinsein immer weniger.

» ANDi27 » Beiträge: 293 » Talkpoints: 0,10 » Auszeichnung für 100 Beiträge



ANDi27 hat geschrieben:Ich behaupte, dass die Menschen am meisten Verständnis für die Krankheiten, Leiden und Probleme haben, welche sie selbst auch am eigenen Leib erfahren haben.

Das ist doch normal oder nicht? Ich bin grundsätzlich der Ansicht, dass ein Mensch so viel "Verständnis" haben kann wie er will (oder vorgeben kann zu haben), echtes Verständnis kommt meiner Ansicht nach nur, wenn man etwas selbst erlebt und durchgemacht hat und daher aus eigener Erfahrung sprechen kann.

Klassisches Beispiel: die Periode und die Schwangerschaft. Eine Periode kann jede Frau nachempfinden, weil sie die Beschwerden entsprechend kennt. Ein Mann wird das nie nachvollziehen, da kann er Gynäkologe werden und in dem Beruf arbeiten wie er will. Er wird nie verstehen, wie sich das anfühlt, auch wenn er es versucht. Genauso wird nur die Person eine Schwangerschaft wirklich nachvollziehen können, die das selbst erlebt und durchgemacht hat, für alle anderen bleibt das viel zu abstrakt.

Eine Freundin von mir ist Lehrerin, allerdings Einheimische oder Migrationshintergrund. Sie musste im Rahmen ihres Referendariats auch lernen, wie man mit Migrantenkindern umgeht und wenn man sie so anhört, dann merkt man, dass sie in dieser Hinsicht nur das abspult, was sie irgendwo mal gehört hat und in Wirklichkeit nicht die geringste Ahnung hat, wie man sich als Migrant bei der Integration fühlt, wo es Probleme gibt und wo man ansetzen muss. Dementsprechend kann ich sie auch nicht wirklich Ernst nehmen bei dieser Thematik.

Eine andere Freundin, ebenfalls einheimisch ohne Migrationshintergrund, hat den Master im Ausland gemacht und ist dann für einen Job in ein anderes Land ausgewandert. Der nehme ich das viel eher ab, wenn sie über die Integration von Migranten spricht, weil sie da aus zwei Ländern verschiedene Erfahrungen mitgebracht hat und das ganze Prozedere mit dem Lernen der Sprache, der Orientierung, Integration etc. durchgemacht hat. Da nehme ich das dann auch nicht als Floskel wahr, wenn sie darüber spricht.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge


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