Was haltet ihr von geplantem Sozialkreditsystem in China?
Noch dieses Jahr will China seine 1,4 Milliarden Bevölkerung des Landes mit einem riesigen Bewertungssystem erfassen. Wer sich vorbildlich verhält wird davon profitieren, Regelverstöße dagegen werden bestraft. Für westliche Beobachter ist dies eine Massenüberwachung für die Regierung in China ist es ein Versuch seine Bürger zu folgsamen, vorbildlichen Menschen zu machen und Korruption zu bekämpfen. In diversen Städten läuft dazu schon seit Längerem eine Testphase - unter anderem zum Beispiel in Rongcheng.
Jeder Bürger soll zum Start erstmal 1000 Punkte auf sein Punktekonto erhalten. Je nach finanziellem, politischem und sozialem Verhalten können Punkte hinzuverdient aber auch abgezogen werden. Wer zum Beispiel wohltätige Arbeit leistet, Geld spendet, sich um ältere oder arme Menschen kümmert und seine Finanzen im Griff hat bekommt Zusatzpunkte.
Wer dagegen negativ auffällt wie z.B. Schulden nicht bezahlt, über rote Ampeln läuft, an illegalen Demonstrationen teilnimmt etc. hat es schwer und wird mit Punkteabzug bestraft. Wer besonders wenige Punkte hat kommt auf eine schwarze Liste. Ein niedriger Punktestand kann einem die Karriere versauen z.B. im öffentlichen Dienst/Militär oder an einer Uni. Außerdem werden Vergünstigungen/ Zuschüsse gestrichen und der Kauf von Flug-/Zugtickets blockiert werden.
Diese schwarze Liste als auch die rote Liste (für besonders vorbildliche Bürger) ist öffentlich einsehbar (also ein moderner Pranger) und soll die Menschen von vornherein von Regelverstößen abhalten. Vom Sozialkreditsystem erfasst werden aber nicht nur Bürger, sondern auch Unternehmen, darunter auch ausländische Firmen, die in China tätig sind. Viele Unternehmen geraten so unter stärkeren Druck, sich an Umwelt- oder Gesundheitsstandards zu halten.
Interessanter Weise gibt es in China von der Bevölkerung viel Zustimmung. Mehr als zwei Drittel bewerten ein Sozialkreditsysteme in ihrem Land positiv. Besonders groß ist die Zustimmung bei den älteren gebildeten Bürgern und bei denen mit hohem Einkommen. Die Chinesen erhoffen sich, dass sich die Lebensqualität durch ein Punktesystem verbessert.
Was denkt ihr über so ein Sozialkreditsystem? Seht ihr darin Vorteile / Positives oder kritisiert ihr das Überwachungs- / Kontrollsystem? Warum glaubt ihr befürwortet die Bevölkerung so eine Bewertung? Würde so etwas eurer Meinung auch in Deutschland / Europa funktionieren?
Ich finde das erschreckend, erinnert mich an gewisse Dystophien. Klar, wenn man einen Bericht sieht, in dem gezeigt wird wie in einem chinesischen Wohnblock durch dieses System in wenigen Wochen ein Mülltrennungssystem eingeführt wird, das jeder befolgt, sieht man erst mal den Vorteil. Wir haben die Mülltrennung in Deutschland schließlich seit vielen Jahren und es gibt immer noch genug Leute, die zu dumm oder zu faul sind um ihren Müll ordentlich zu entsorgen und entsprechend Ghetto sieht es dann teilweise aus.
Wenn man sieht wie schlecht die Arbeitsbedingungen in China teilweise immer noch sind, gerade auch in den Firmen, die für ausländische Auftraggeber produzieren, dann ist eigentlich jedes System, das dafür sorgt, dass Kinder nicht mehr ausgebeutet und Arbeiter nicht mehr verletzt oder vergiftet werden bei der Arbeit ein Fortschritt.
Aber das große Problem an diesem System ist doch, dass der Staat alleine bestimmt, was erwünschtes Verhalten ist und was nicht. Und wenn "der Staat" keine demokratisch gewählte Regierung ist, dann ist das erwünschte Verhalten halt auch nicht zwangsläufig demokratisch, bzw. spiegelt den Willen der Mehrheit der Bevölkerung nicht zwangsläufig wieder.
Wie viele Minuspunkte wird man wohl bekommen wenn man sich pro-demokratisch äußert, Meinungsfreiheit fordert oder sogar für mehr Demokratie protestiert? Und wie viele Pluspunkte haben wohl die Leute bekommen, die sich positive über das System geäußert haben?
Für mich ist das absolute Überwachung und hat wenig mit einer demokratischen Gesellschaft zu tun. Man erzieht sich die Menschen so, da diese sonst Nachteile haben und wenn man im Leben gescheitert ist, wird man nach unten durchgereicht. Das finde ich schlimm, weil man es nicht mehr von unten nach oben schaffen kann. Außerdem kann der Umgang zu negativen Punkten führen, obwohl man sich selber gar nicht schlecht verhalten hat, das ist schlimm.
Ich hoffe so etwas kommt nicht nach Deutschland, da ich Angst hätte, dass sich das negativ auf die Gesellschaft auswirken würde. Ich denke man sollte das auch ohne so ein System mit entsprechenden Förderungen schaffen eine gute Gesellschaft hinzubekommen.
Da lief doch vor Kurzem noch ein Film im Fernsehen. Die nette Dame hat das System sehr befürwortet. Nur, was nicht gesehen wird, dann schaut man nur auf die Scores, und vergisst dabei, dass Bewertungen nicht alles sind. Die Jagd nach guten Punkten wird regelrecht zum Zwang. Es geht garnicht mehr um die Sache selbst, sondern nur darum, möglichst viel Pluspunkte zu sammeln.
Und ja, hier in Deutschland ist diese Überwachung unterschwellig ja auch schon da, nur die Leute bemerken es kaum. Spätestens, wenn man einen Kredit haben möchte, merkt man, dass irgendwer da schon an Bewertungen herumgeschraubt hat. Die Kriterien, wonach Kredite vergeben werden, erschließen sich dem Laien oft überhaupt nicht. Da wohnt jemand vielleicht in einer nicht so guten Wohngegend und bekommt Punktabzug.
Was ist denn Schule und Benotungssystem anderes, als solch ein ähnliches Disziplinierungsmittel? Und ja, manchmal wünsche ich mir ein strengeres Durchgreifen der Behörden.
Nur ein Beispiel: Man schaue sich die durch Grafitti verschandolierten Häuser etc. einmal an. Das hat in letzter Zeit derart zugenommen, dass ich mir sowas in China nicht vorstellen könnte. Oder die Auswüchse an Vandalismus hierzulande. Und Radfahrer, bei Rot überquerend, sollten gleich kräftig Minuspunkte bekommen. Aber das kümmert hier ja niemanden. Viele befürworten das Chaos in Deutschland ja geradezu. Ein bisschen mehr Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwesen, getreu dem Motto einer damals als moralinsauer empfundenen Schulfunksendung: "Auch Du bist mitverantwortlich" wäre durchaus angebracht.
Eine Frage bleibt offen, wie anders als durch ein Bewertungssystem will man einen so großen Staat, wie China es einer ist, überhaupt einigermaßen vernünftig regieren können?
Gorgen, warum sollte man ein System wie in China benötigen, um ein so großes Land zu regieren? Das System unterstützt die Diktatur. Schließlich ist es ziemlich übel, wenn einem die Sozial-Credits flöten gehen, nur weil man die Regierung kritisiert oder eine Maßnahme schlecht findet. Deshalb keine ordentlichen Job zu bekommen, nicht reisen zu können und keinen Kredit zu erhalten? Was hat das bitte mit der Regierung eines Landes zu tun? Das ist eine Diktatur in Reinform, die einfach nur moderne Mittel nutzt.
Ich finde das System ziemlich furchtbar, weil man stark von seinem Wohlwollen abhängig ist. Die Punkte werden wohl auch zum Teil eher willkürlich bzw. nach einem undurchschaubaren Muster vergeben oder entzogen. Nicht immer geht es einfach nur darum, sich ordentlich und vernünftig zu verhalten, sondern eben oft auch darum, möglichst linientreu zu sein und die Regierung nicht zu kritisieren oder zu hinterfragen. Und wenn man zu viele Punkte verloren hat, wird man wohl fast handlungsunfähig, weil man beispielsweise keine Züge mehr benutzen darf, und auch sonst einige Zugangssperren auferlegt bekommt.
Ist hier jemand chinesischer Nationalität, dass er so etwas aus eigener Erfahrung hier mitteilen kann? Fest steht, dass es China geradezu sprunghaft vom Entwicklungsland zum Industriestaat mit technologischem Spitzenstandard geschafft hat. Ohne eine straffe Führung wäre das kaum möglich gewesen. China ist auch bestrebt, diesen hohen Standard zu halten.
Dass ein Kontrollsystem durchaus noch verbesserungswürdig sein kann, steht außer Frage. Die Chinesen sind aber keineswegs so dumm, wie es die Europäer oft darzustellen versuchen. Und ja, Geschäfte machen will ja jeder, aber andererseits China-Bashing betreiben. Irgendwie geht das nicht so recht zusammen.
Die westlichen Staaten täten gut daran, einmal von ihrem hohen moralischen Ross herunter zu kommen, und auf diplomatischem Wege zu sondieren, wie diesbezügliche Verbesserungsvorschläge aussehen könnten, ohne dass wieder irgendjemand "sein Gesicht verliert".
Gorgen_ hat geschrieben:Die westlichen Staaten täten gut daran, einmal von ihrem hohen moralischen Ross herunter zu kommen,
Jetzt wäre die Frage zu klären, was es mit einem moralischen Ross zu tun hat, das chinesische System zu kritisieren. Steht es nicht jedem frei, seine Meinung zu äußern und es auch zu kritisieren? Das ist doch eigentlich bislang eine Selbstverständlichkeit gewesen dass man nicht alles gut finden muss, was es in anderen Staaten gibt. Im übrigen ist auch China doch auch eifrig dabei, den "Westen" zu kritisieren. Könnte man also auch China ebenso ein "moralisches Ross" attestieren?
lascar hat geschrieben: Steht es nicht jedem frei, seine Meinung zu äußern...
"Quod liced iovi non licet bovi" Zu gut Deutsch: Nicht jeder darf sagen, was er denkt. Auch in Deutschland nicht. Vor allem, wenn er in der Politik tätig ist. Der Umgang im Privatbereich, in der Publizistik und im diplomatischen Umfeld sind durchaus verschiedene Paar Schuhe. Eine allgemeine Antihaltung gegen irgendwen ständig zu schüren, schadet mehr, als sie nützt.
Als jüngstes Beispiel im umgekehrten Sinne wäre die Affäre A* zu nennen. Die im jugendlichen Leichtsinn, ohne über irgendwelche Konsequenzen nachgedacht zu haben, getätigten Äußerungen werden von den professionellen Schmutzkampagnenspezialisten immer einmal wieder gerne Jahrzehnte später einem im Wahlkampf Stehenden auf's Butterbrot geschmiert.
Es wird von der krampfhaften Verteidigungsstrategie versucht, sich durchaus auf eine Unterscheidung zu berufen, ob jemand damals "bovis" war oder jetzt den Status "jovis" erlangt hat. Also: Man darf nicht alles sagen in Deutschland.
Man sollte sich vorher schon überlegen, ob man daran beteiligt sein möchte, derartige disgusting Judenwitze noch mit der Schreibmaschine zu schreiben und unter die Leute zu bringen, nur weil man sich am Schulsystem rächen möchte. Oder in einem Buch zu behaupten, die Firma Siemens hätte Atombombentechnologie entwickelt. F.-C.Delius
Gorgen_ hat geschrieben:Es wird von der krampfhaften Verteidigungsstrategie versucht, sich durchaus auf eine Unterscheidung zu berufen, ob jemand damals "bovis" war oder jetzt den Status "jovis" erlangt hat. Also: Man darf nicht alles sagen in Deutschland.
Ich muss zugeben, dass ich diese Statements im Zusammenhang mit Chinas Sozialkreditsystem und unserer Kritik daran nicht ganz verstanden habe. Wer ist also in diesem Kontext ein bovis und wer ist ein jovis? Wer darf (nicht?) alles sagen in Deutschland und anderswo? Immerhin würde ich meinen, dass man in Deutschland wesentlich freier seine Meinung äußern darf als in China.
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