Warum nimmt die häusliche Gewalt immer mehr zu?
Die Hilfsorganisation Weißer Ring kritisiert und warnt zugleich, dass die häusliche Gewalt in den letzten Jahren immer mehr zunimmt und aktuell erreichen die gemeldeten Fälle einen neuen Höchststand. Ich frage mich aber nur, woran es wohl liegen mag, dass die häusliche Gewalt immer mehr zunimmt. Habt ihr eine Erklärung dafür? An einem Corona-Koller allein wird es ja wohl nicht liegen, aber was könnten denn noch ausschlaggebende Gründe dafür sein?
Statistische Beweise kann ich zwar auch keine liefern, aber ich denke mir eher, dass die Dunkelziffer sinkt, als dass die häusliche Gewalt zunimmt. Sprich, dass das Bewusstsein wächst und das Gespür dafür zunimmt, dass es moralisch falsch ist, Weib (selten Mann) und Kind mit Prügeln bei der Stange zu halten. Und beispielsweise auch, dass es unterschiedliche Formen der Gewalt gibt, die oft nichts mit einem blauen Auge oder Striemen vom Gürtel zu tun haben.
Bis vor relativ kurzer Zeit waren Prügel ja ein beliebtes, völlig anerkanntes Erziehungsmittel und hatten mit "häuslicher Gewalt" in der Vorstellung der Menschen gar nichts zu tun. Mein alter Vater erzählt heute noch mit Schaudern von den "Tatzen", die der Lehrer mit dem Rohrstock ausgeteilt hat. Diese Erfahrung haben viele Leute in ihrer Kindheit gemacht, und auch an ihre Kinder weitergegeben, weil sie es eben nicht anders kannten.
Aber glücklicherweise ändern sich die Zeiten allmählich, und es gibt auch mehr Möglichkeiten für Betroffene, sich zu wehren und Hilfe in Anspruch zu nehmen, sodass mehr Fälle überhaupt erst an die Öffentlichkeit dringen Noch vor ein paar Jahrzehnten hieß es lapidar: "Die wird schon was getan haben, um es zu verdienen!", wenn sich herumgesprochen hat, dass der Herr X säuft und seine Frau mit dem Besenstiel verdrischt. Und Frau X durfte selber schauen, wie sie damit klarkommt. Hilfe hatte sie oft keine zu erwarten.
Ich glaube schon, dass Corona die ganzen Zahlen schon steigen lässt, ob gemeldet oder nicht. Der Frust des Aggressors steigt ja, wenn er sich nicht ablenken kann und man einfach mehr Zeit zusammen verbringt. Da ist man als normaler Mensch ja auch schon sehr gefrustet und hat so seine Probleme mit der Situation. Bei jemanden mit psychischen Problemen ist das aber ganz schlimm und solche Sachen werden dann verstärkt. Normalerweise kann man sich ja bestimmt auch recht einfach Hilfe holen, wenn man so drauf ist und nun geht das mit Sicherheit schlechter.
Du sagst es ja selber - die GEMELDETEN Fälle nehmen zu. Und das liegt wahrscheinlich daran, dass das Thema präsenter ist und, dass es für die Opfer mehr Hilfsangebote gibt. Wahrscheinlich werden die zuständigen Behörden mit dem Thema inzwischen auch deutlich sensibler umgehen und nicht mehr denken, dass ein "Klapps" zur Erziehung dazu gehört oder, dass die misshandelte Frau den Mann sicher irgendwie provoziert hat.
Natürlich ist es der Job einer Opferhilfsorganisation auf steigende Zahlen aufmerksam zu machen, aber ich sehe es erst mal als etwas Gutes, dass sich überhaupt mehr Opfer trauen die Täter anzuzeigen. Das ist ja alles andere als selbstverständlich. Ich habe einen Mann im Bekanntenkreis, der drei Jahre gebraucht hat bis er seine Frau angezeigt und sich von ihr getrennt hat.
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