Warum müssen Ärzte die Notfälle im Krankenhaus einschätzen?

Ich denke, in Deutschland werden die meisten Menschen mitbekommen haben, dass die Notaufnahmen komplett überfüllt und überlastet sind und dass man sich deswegen Strategien überlegt hat, wie man diesem Problem entgegen kommen kann. Jedenfalls hat die Politik durchgesetzt, dass die Ärzte in der Notaufnahme innerhalb weniger Minuten entscheiden sollen, ob ein Notfall vorliegt oder nicht. Wenn ein Notfall vorliegt, wird dieser natürlich im Krankenhaus behandelt, wenn nicht, dann wird der Patient eben zum nächsten niedergelassenen Arzt geschickt.

Ich verstehe aber nicht, warum man überhaupt die Ärzte für die Einschätzung von Notfällen einsetzen möchte. Ich meine, bis zu einem gewissen Grad kann eine Krankenschwester das doch auch tun oder nicht? Ich meine, wenn jemand wegen einer Blase am Fuß in die Notaufnahme geht, weil diese Blase aufgeplatzt ist und weh tut, dann kann eine Krankenschwester doch sicherlich abschätzen, dass das kein Notfall ist und entsprechend reagieren. Im Zweifelsfall sollte natürlich trotzdem ein Arzt draufschauen, keine Frage.

Aber bei solchen Bagatellen erkennt man doch den Nicht-Notfall. Das würde jedenfalls die Ärzte in der Notaufnahme entlasten. Wie seht ihr das? Sollten nur die Ärzte in der Notaufnahme über Notfälle entscheiden dürfen? Oder sollten die (speziell ausgebildeten) Krankenschwestern für Entlastung sorgen dürfen? Wie sieht das eigentlich rechtlich aus?

Ich finde es schon wichtig, dass die medizinische Ersteinschätzung von einem ausgebildeten Arzt vorgenommen wird. Natürlich gibt es zweifellos auch Fälle, die jeder Laie diagnostizieren und als Notfall oder Nicht-Notfall einstufen kann, aber genauso gibt es auch die Chamäleons unter den Erkrankungen, die hochgradig gefährlich sind, sich aber sehr symptomarm äußern.

Gerade Schlaganfälle sind da ein gutes Beispiel. Nicht jeder Stroke-Patient kommt halbseitig gelähmt in die Notaufnahme; oftmals liegen lediglich eine minimale Beeinträchtigung der Sprache, ein Dämmerzustand oder eine Sehstörung vor. Wird hier nicht frühzeitig an die Möglichkeit gedacht, dass ein Schlaganfall hinter den Symptomen steckt, ist das enge Zeitfenster für eine spezifische Therapie schnell überschritten, und der Patient behält bleibende Defizite zurück.

In unserer Klinik gibt es ein mehrstufiges Triage-System, um die Ärzte und Wartezeiten ein wenig zu entlasten. Den ersten Blick auf den Patienten wirft dabei ein Arzthelfer, der eine kurze Anamnese macht und die Dringlichkeit nach Ampelsystem einstuft. Je nachdem, wie schwerwiegend die Symptomatik gesehen wird, bekommt der Patient dann eben schneller oder später eine medizinische Fachkraft zu Gesicht.

Die Ärzte können in ihren Rechnern die Warteliste und die Dringlichkeit einsehen und entsprechend zuerst zu den Notfällen gehen, während sich Auszubildende und Praktikanten um die sogenannten "Fußgänger" kümmern, zu denen der Arzt dann entsprechend erst nach Abfertigung der anderen Fälle kommt.

Auch diese Vorgehensweise hat ihre Nachteile und ist manchmal moralisch nicht einwandfrei, aber anders lässt es sich mit der derzeitigen Personal- und Arbeitssituation und dem massiven Patientenaufkommen einfach nicht regeln.