Wann seid ihr erschreckt von der Ehrlichkeit anderer?
Normalerweise bin ich nicht so leicht zu schockieren und ich mag es auch, wenn andere Menschen sehr ehrlich und direkt sind. Ich würde auch von mir behaupten, dass ich so bin, so dass ich es auch nicht so gerne mag, wenn jemand durch die Blume spricht oder sich nicht so recht traut bestimmte Themen anzusprechen und dann eventuell lange um den heißen Brei redet.
Ich war aber vor einiger Zeit mal aber so richtig schockiert von der Ehrlichkeit eines Kommilitonen. Wir hatten uns kaum zehn Minuten gekannt und miteinander unterhalten, schon lieferte er mir ungefragt alle möglichen Details über sein Sexualleben und erzählte ausschweifend von seinen Vorlieben. Normalerweise verschlägt mir nichts so schnell die Sprache, aber das war auf jeden Fall da so. Wann seid ihr erschreckt von der Ehrlichkeit anderer?
Ich mag auf der einen Seite direkte und offene Menschen, allerdings schadet ein bisschen Takt- und Feingefühl nicht. Wenn jemand so wie in deinem Beispiel bereits mach zehn Minuten einfach so alle möglichen Details über das Sexualleben und Vorlieben preisgibt, erscheint mir das dann noch etwas zu direkt und auch erschreckend.
Denn man fragt sich natürlich, was die Person noch auf Lage hat, wenn man sich länger kennt. Und dann natürlich auch, ob die Person immer mit allen so offen ist oder nicht. Ich wäre da auch leicht vorsichtig mit solchen Leuten.
Eigentlich erschrecken mich ehrliche Menschen fast nicht. Mich erschreckt eher die Tatsache, dass manche Menschen eine offene und direkte Art auch gleich mit beleidigenden Worten kaschieren. So zum Beispiel das Thema Übergewicht. Jemanden darauf ansprechen, wäre ja die eine Seite, aber zu sagen „du bist ganz schön fett geworden“, finde ich herablassend dem Gegenüber gegenüber und einfach unverschämt frech. Zumal sowas auch verletzend ist und das muss nicht sein.
Ich kenne viele Menschen, vielleicht liegt es echt am Pott, wo man uns die freche Fresse nachsagt, die offen und ehrlich sowie ausgesprochen direkt auf einen zu gehen. Doch einige davon sind auch immer mit einer gewissen Asozialität behaftet und das passt mir nicht und erschreckt mich dann doch. Obwohl ich aus der Kindheit bis zum Beruf aus Kreisen komme, wo ganz andere Töne herrschen, das kann ich Euch versichern.
Ich bin wirklich auch sehr offen und direkt. Man kann mich alles fragen und ich antworte auch. Ich sage auch alles, was mir auf dem Herzen brennt oder auf der Zunge liegt. Ich bemühe mich jedoch stets, dabei eine gewisse Art von Respekt beizubehalten, um niemanden bewusst zu verletzten. Ich bin jetzt nicht der Typ Frau, der durch die Blume redet, aber alles hat bekanntlich seine Grenzen, auch bei mir.
Da musste ich aber eben schon häufiger feststellen, dass ich damit oftmals alleine stehe. Mir passt Ehrlichkeit sehr gut, auch wenn sie vielleicht mal weh tut. Aber bewusst jemanden verletzten, das wiederum muss nicht sein. Das erschreckt mich dann viel mehr an vielen Menschen, die Ehrlichkeit mit direkter Verletzlichkeit und Beleidigung verwechseln, als die Ehrlichkeit an sich.
Ich denke auch, dass Direktheit oder Ehrlichkeit oft mit harten Worten oder eben verletzenden Aussagen gleichgesetzt wird. Für mich ist das auch ein Unterschied. Aber ich finde auch, dass es Kategorien gibt, die man nicht so direkt herausplatzt oder sagt. Eben wie in dem Fall, in dem direkt über Sexualität gesprochen wurde. Das würde mir auch zu weit gehen und ich hätte das auch direkt gesagt, wenn mein Gegenüber schon solche Dinge raushaut. Dann wird er sicherlich auch damit umgehen können, wenn man dann klar sagt, dass man so etwas nicht hören möchte.
Ich war mal so sprachlos, als eine Bekannte auf die Nachricht, dass jemand gerade das erste Kind bekommen hat, meinte " Ach hat die geschmissen?". Ich fand das total unmöglich und taktlos und war auch sehr sprachlos und perplex in dem Moment.
Der Typ aus dem ersten Beispiel war nicht ehrlich, sondern hat dich in meinen Augen verbal sexuell belästigt. Solchen Leuten gehört sofort der Riegel vorgeschoben. Entweder ist der Kerl sozial so gestört, dass er keine Grenzen kennt und nicht weiß, was angemessen ist oder aber er hat einfach mal austarieren wollen, wie du so reagieren wirst. Das war einfach nur ein Testballon, wie weit er gehen darf.
Wenn man bei sowas dann nur vage lächelt und wortkarg bleibt, dann wird so jemand das als stillschweigende Zustimmung zu seinem Verhalten deuten und immer weiter so machen. Oder vielleicht sogar denken, er könne bei einer Frau landen, denn sie hat sich ja schließlich nicht negativ geäußert. So oder so ging es hier nicht um Ehrlichkeit, sondern um Grenzen, die verletzt wurden.
Ansonsten verbrämen manche Leute zu oft Beleidigungen und rüdes Verhalten mit dem verschnupften Satz "ich bin doch nur ehrlich". Mag ja sein, dass das von ihnen selbst so empfunden wird, aber die Grenzen zwischen Ehrlichkeit und fiesen, degradierenden und sonstig unangemessenen Sprüchen ist sehr dünn. Man muss nicht jedem alles ins Gesicht sagen, oft ist es nicht mal gefragt.
Verbena hat geschrieben:Entweder ist der Kerl sozial so gestört, dass er keine Grenzen kennt und nicht weiß, was angemessen ist oder aber er hat einfach mal austarieren wollen, wie du so reagieren wirst. Das war einfach nur ein Testballon, wie weit er gehen darf.
Das sehe ich auch so. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie wenig Menschen den Unterschied zwischen "Tests" und "Ehrlichkeit" kennen. Manche Menschen äußern sich bewusst provokativ, um die Reaktionen anderer Menschen zu testen. Das kann man in diesem Beispiel als sexuelle Belästigung deuten, das muss aber nicht unbedingt der Fall gewesen sein. Ich finde es ganz schön naiv, alles als Ehrlichkeit abzustempeln, was andere Menschen sagen, schließlich kann man das nicht überprüfen.
Ich würde das Beispiel auch nicht wirklich als Ehrlichkeit des Kommilitonen bezeichnen. Entweder wollte er bewusst provozieren und eine Reaktion deinerseits beobachten oder er war einfach zu offen. Ich vermute allerdings, dass ersteres der Fall war. Wenn jemand einfach ehrlich seine Meinung sagt, dann würde mich das so schnell allerdings nicht erschrecken.
Ich bevorzuge ehrliche Leute auch vor anderen, die einem immer schön ins Gesicht tun und hinten rum anders reden. Allerdings finde ich, fehlt es manchen Menschen aber einfach an Feingefühl.
Sie rühmen sich damit, dass sie ehrlich sind und verletzen in Wirklichkeit nur andere Menschen und fühlen sich dann selber groß, wenn sie andere klein machen können. Wenn das der Fall ist, finde ich Ehrlichkeit dann schon nicht mehr nur ehrlich sondern eben verletzend.
Das Beispiel mit den Sex Geschichten ist für mich eher offen als ehrlich zu betrachten. Dieser Kommilitone war eben zu offen und das gefällt mir auch nicht. Zur Ehrlichkeit zählt für mich nicht zwangsläufig, dass ich in den ersten zehn Minuten schon mein ganzes Privatleben ausgeplaudert habe.
Vielleicht hat er sich in der Vergangenheit somit einmal ein paar Freunde geschaffen. Es muss jedenfalls ein Schlüsselerlebnis gegeben haben, dass diese Person das nach wie vor macht, sonst würde er es nicht machen. Irgendwann in seinem Leben scheint er einmal einen Nutzen davon gehabt zu haben.
Ich finde auch, dass Ehrlichkeit, Taktlosigkeit und Probleme mit normalem Sozialverhalten wenig bis gar nichts miteinander zu tun haben. Wenn mir jemand quasi Wildfremdes seine Eheprobleme oder Masturbationsgewohnheiten um die Ohren haut oder mir mitteilt, dass ich als potenzielle Geschlechtspartnerin für ihn in Frage komme, ist das nicht ehrlich, sondern bestenfalls gestört.
Ich bin auch nicht der Meinung, dass es im Alltag immer empfehlenswert ist, sich seiner eigenen Meinung nach total ehrlich und authentisch zu geben, weil das meistens ziemlich schnell in "nervtötend" ausartet, weil mich die Meinungen und Ansichten meiner Mitmenschen meistens nicht interessieren, wenn ich gerade im Bus oder im Büro sitze, seien sie auch noch so ehrlich.
Erschreckt bin ich in diesem Zusammenhang nur sehr selten, wenn mich jemand beispielsweise schon lange kennt oder eine sehr gute Menschenkenntnis hat und mir auf den Kopf zusagt, wenn ich mich selber mal wieder unmöglich benommen habe. Das fährt mir schon hin und wieder ins Gebein, gerade wenn mir Freunde oder Familie mehr oder weniger diskret zu verstehen gibt, dass ich mal wieder über das Ziel hinaus geschossen bin. Aber nach dem ersten Schrecken bin ich meistens sogar ganz dankbar für das Feedback, da es in diesem Fall wirklich von Leuten kommt, die mich nicht vorführen wollen, aber sich eben auch nicht alles anschauen und gefallen lassen.
Grundsätzlich mag ich ehrliche Menschen sehr gerne. Auch ich bin gerne ehrlich und spreche Dinge meistens sehr offen an. Meiner Erfahrung nach kommt man so nämlich deutlich schneller weiter als wenn man immer um den heißen Brei herum redet. Außerdem lebt man so glücklicher. Schließlich hat man, wenn man immer ehrlich ist, nur Menschen um sich herum die einen wirklich mögen wie man ist. Wenn man sich nicht verstellen muss sondern einfach so sein kann wie man wirklich ist, ist das wirklich befreiend.
Aber natürlich benutze ich, wie die meisten Menschen, auch hin und wieder eine Notlüge. Das kann die verschiedensten Gründe haben, meistens lüge ich aber aus Höflichkeit oder um den anderen nicht zu verletzen. Wenn beispielsweise ein Kollege eine wirklich furchtbare Präsentation gehalten hat bei der es mir schwer fiel überhaupt zu folgen, sage ich natürlich nicht „Ich fand es furchtbar.“ sondern eher etwas wie „Die Präsentation fand ich ganz okay, aber du könntest Sie das nächste mal ein wenig spannender gestalten.“ oder so ähnlich. Bis zu einem gewissen Grad finde ich es also völlig normal ein klein wenig zu lügen.
Da ich also selbst meistens ehrlich bin, können mich ehrliche Menschen selten schocken. Auch dein Beispiel finde ich nicht sonderlich schockierend. Die Zeiten in denen man nicht über sein Sexualleben reden darf sind doch schon längst vorbei. Und die einen sind eben offener als andere. Manche vertrauen sich nicht einmal dem Partner an, andere erzählen einem fremden auf der Straße ihre sexuellen Vorlieben. Das kann einem natürlich unangenehm sein, schockiert wäre ich davon aber nicht.
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