Wann habt ihr euch selbst schon enttäuscht und wieso?
Ich habe oft recht hohe Erwartungen an mich. Ich würde sagen, dass ich ein sehr ehrgeiziger Mensch bin und oft sehr hohe Ziele habe. Natürlich kann ich diese auch nicht immer erreichen, was ja völlig normal ist. Manchmal sind diese Ziele auch so hoch, dass sie quasi unerreichbar sind. Trotzdem bin ich dann oft enttäuscht von mir selbst, wenn ich diese Ziele nicht erreiche.
Seid ihr auch öfter mal enttäuscht von euch selbst? Könnt ihr da konkrete Situationen ausmachen? Setzt ihr euch auch oft zu hohe langfristige Ziele oder passiert es euch eher mal im Alltag, dass ihr enttäuscht seid, dass ihr nicht so reagiert habt, wie ihr es im Nachhinein gerne getan hättet?
Ich erwarte auch immer recht viel von mir und bin dann selbst von mir enttäuscht, wenn ich meine eigenen Erwartungen nicht erfüllen konnte, warum auch immer das nicht möglich war. Ob nun etwas dazwischen gekommen ist oder ich die Ziele einfach zu hoch gesteckt habe, ändert an dem Gefühl erst einmal nichts, die Enttäuschung ist dann erst einmal da.
Ich war früher sehr oft von mir enttäuscht, weil ich mir dauerhaft einfach im Weg gestanden habe. Ich war super schüchtern und konnte nicht wirklich da raus. Das hat lange gedauert und bis ich dann wirklich aus mir raus konnte, habe ich mich sehr enttäuscht. Ich habe dann gewisse Dinge einfach nicht gemacht, die ich sicherlich gerne gemacht hätte oder mich nicht getraut mit Leuten zu reden, die ich gerne kennengelernt hätte. Ich habe mich selber als nicht gut genug gesehen und daher auch meine eigenen Leistungen schlecht geredet. Aus heutiger Sicht ist das absolut schlimm, aber mittlerweile ist alles anders und ich enttäusche mich nicht mehr und mache das was ich will.
Hin und wieder, würde ich sagen. Ist es nicht eine ganz normale Alltagserfahrung, dass irgend etwas schiefgeht und man hinterher dasteht und sich sagen muss: Super Leistung, Gerbera, damit hast du genau niemandem geholfen und es ist schade um die Kartoffeln?
Beispiele gäbe es da sicher genügend, von kleineren Misserfolgen an der Koch- und Backfront über vergeigte Prüfungen aller Art (nach denen heute absolut kein Hahn mehr kräht) oder irgendwelche Konflikte und Streitereien, die dir hinterher leid tun, weil du sinnlos über die Gefühle anderer getrampelt bist.
Aber andererseits nützt es ja auch nichts, sich hinterher im Selbstmitleid zu suhlen und sich noch zusätzlich Vorwürfe zu machen, weil man ja so hohe Ansprüche an sich hat und so ehrgeizig ist, dass man ihnen nicht immer gerecht werden kann. Für mich klingt dies schon reichlich eitel und egozentrisch. Anstelle sich darüber Gedanken zu machen, was man vielleicht bei anderen angerichtet haben könnte, weil man sich mal wieder blöd angestellt hat, wird so vor allem das eigene Ego gepflegt und ängstlich auf Schäden überprüft.
Ich denke, dass es normal ist und zum Leben dazu gehört, dass man von sich selbst enttäuscht ist. Keiner macht im Leben alles richtig und jeder Mensch muss Fehler machen, um sich am Ende besser verhalten zu können. Wichtig ist nur, dass wir in der Lage sind unser Handeln entsprechend zu reflektieren, damit wir uns in der Zukunft besser verhalten können und in bestimmten Situationen anders handeln beziehungsweise richtig handeln können, wo wir vorher falsch gehandelt haben. Einsicht ist der erste Weg zur Besserung.
Ansonsten kann ich dir wahrscheinlich mehrere Beispiele nennen, wo ich mich schon selbst enttäuscht habe. Am meisten ärgert es mich aber nach wie vor, wenn ich in der Erziehung und im Training mit meinen Tieren Fehler gemacht habe. Grade dann, wenn man noch am Anfang steht und nicht immer jemanden hat, der in der Lage ist einem das richtige Handeln zu vermitteln, macht man oft Fehler und neigt auch dazu in schwierigen Situationen unfair zu sein, auch dann, wenn es das erste Tier ist.
Dementsprechend überlege ich mir heute dann öfter, ob ich in bestimmten Situationen denn wirklich richtig gehandelt habe, auch, wenn es mir zum damaligen Zeitpunkt so erschien. Jetzt weiß ich aber auch, dass ich mich heute in vielen Situationen anders verhalten würde und entsprechend anders handeln würde. Ein solches Erkenntnis kommt jedoch, wie gesagt, nur, indem man Fehler macht und über diese nachdenken kann.
Was bei mir auch ein großes Thema ist, ist mein Gewicht. Ich habe schon mein ganzes Leben lang damit zu kämpfen und war immer übergewichtig. Ich war oft enttäuscht von mir, wieso ich es nicht schaffe abzunehmen, wenn so viele andere Leute es doch auch schaffen. Für mich war damals eine entsprechende Magenverkleinerung der Weg, der mir den Erfolg brachte, aber auch heute noch bin ich enttäuscht von mir, wieso ich damals nicht „einfach“ die nötige Disziplin hatte, um es endlich mal durchzuziehen.
War mein ganzes Leben lang immer wieder eine Enttäuschung. Erst für meine Eltern, weil ich ihre Erwartungen nicht erfüllte, dann für meinen Arbeitgeber, für meinen Therapeuten, weil ich eine noch schlimmere Kur nicht gegen eine schlimme Krankheit tauschen wollte... Dann saß ich mal beim Arzt und las in einem Magazin von einem Mann, der vor Gericht stand, weil er Leuten Selbstmordcocktails versandt hatte, für 1300 Euro im Paket. Ich glaube, im Spiegel. Lebte damals in einer ganz schlimmen Wohnung und hatte alle möglichen Ängste, konnte nicht schlafen, weil ich gerade eine Riesenenttäuschung für meinen damaligen Partner war, der rief mich am WE immer an, damit ich bloß nicht zu ihm komme, weil der sich gerade mit meinem Nachfolger erprobte.
Na ja... die Ärzten verschrieb mir eine Schachtel Beruhigungsmittel und eine Schachtel Schlafmittel. Sie meinte, "ich schätze sie nicht so ein, dass Sie alles auf einmal nehmen." Da hätte ich nur noch an der Tanke eine halbe Flasche Vodka kaufen brauchen... wäre sanft hinüber geschlummert... wie, fast mit den gleichen Mitteln sieben Jahre vorher ein Freund von mir. Hatte also das Paket bekommen, zum Spartarif. Heute denke ich manchmal dass ich da enttäuschender Weise nicht geschaltet habe und mich ausgeknipst. Mein toter Kumpel damals war Krankenpfleger auf Intensiv, der meinte immer so seltsame Sachen wie "Tod ist Tod" oder "wenn Du anderen immer zu Last fällst, dann musst Du das machen." Klar, wer sich selbst und andere immer wieder enttäuscht...
Na ja, ich hab´s nicht gemacht aber man hielt mir das später das eine oder andere Mal schon mal indirekt vor, z.B. nur wenige Tage nach seiner Beerdigung. Das war übrigens auch eine Enttäuschung, es gab nichts zu essen und keine Feier, ich saß auf dem billigen Platz neben seiner Oma vorne am Sarg. In der Loge saßen seine Exfreundinnen und heulten um die Wette- die er alle enttäuscht hatte. Manchmal muss ich aber auch lachen, weil Gottes Werke so gigantisch sind. Ein Sonnenaufgang, ein Tier, ein Meer, ein Wald...
Da wird nix diskutiert, von wegen wie und wo enttäuscht, das Leben bricht sich einfach Bahn. Begreifbar, ohne Kirche, plötzlich, einfach so. Dann kommt mir das ziemlich banal vor, meine Existenz und meine Ansprüche. Inzwischen hake ich die Enttäuschungen einfach so ab. Hier ne Enttäuschung, da ne Enttäuschung... wie aufs Klo gehen oder ein Koitus.
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