Von einer Überflussgesellschaft in eine Mangelwirtschaft?
Vor noch gar nicht langer Zeit hieße es ja oftmals, dass wir in einer Überflussgesellschaft leben würden. Heutzutage sind vermehrt nur noch Mangel und Krisen im Gespräch. Empfindet ihr es auch so, dass wir uns immer mehr von einer Überflussgesellschaft in eine Mangelwirtschaft entwickeln? Worin seht ihr denn die hauptsächlichen Ursachen und wird es sich in absehbarer Zeit wieder zum besseren entwickeln?
Ist es nicht eher so, dass du so an den Überfluss gewöhnt bist und, dass alles immer und überall in mindestens fünf verschiedenen Ausführung zu haben ist, dass du es jetzt als "Mangel" empfindest wenn es nur zwei Optionen gibt oder wenn du mal ein paar Tage auf irgendwas warten musst?
Es wäre ja wünschenswert wenn wir wirklich weniger produzieren und nachhaltiger konsumieren würden, aber diesen Trend sehe ich überhaupt nicht. Die meisten Leute glauben doch immer noch fest daran, dass die heilige Wirtschaft ewig weiter wachsen kann und niemand dafür jemals die wirklich Rechnung präsentiert bekommt.
Ich finde auch, dass die meisten von uns durchaus immer noch in einer "Überflussgesellschaft" leben, zumindest im globalen Vergleich. Man schaue sich als aktuelles Beispiel nur den aktuellen Urlaubsverkehr an den Flughäfen an - die SommerfrischlerInnen dort haben bestimmt nicht allesamt den letzten Cent zusammengekratzt, um die sterbende Tante Hildegard in Grönland zu besuchen.
Und auch was Waren und Dienstleistungen angeht, sehe ich es auch nicht gleich als "Mangelwirtschaft" an, nicht immer alles sofort zu bekommen. Bei Alltagsartikeln ist mir als 08/15-Konsumentin von einer vorübergehenden minimalen Delle im Speiseölangebot noch nirgends ein wirklicher "Mangel" aufgefallen, weil ich gar nicht merke, ob gerade 19 oder 20 Sorten Marmelade im Regal stehen.
Ich weiß aber auch, dass ich in dieser Hinsicht privilegiert bin, weil ich immer noch genügend Kohle für den täglichen Bedarf aufbringen kann, ohne allzu sehr zu knapsen und rechnen zu müssen. Viele andere Menschen sind nicht in dieser angenehmen Lebenslage. Aber Mangelwirtschaft bezieht sich ja auf mangelndes Angebot, mangelnde Nachfrage aufgrund von geringer Finanzkraft steht auf einem ganz anderen Blatt.
Gerbera hat geschrieben:Und auch was Waren und Dienstleistungen angeht, sehe ich es auch nicht gleich als "Mangelwirtschaft" an, nicht immer alles sofort zu bekommen. Bei Alltagsartikeln ist mir als 08/15-Konsumentin von einer vorübergehenden minimalen Delle im Speiseölangebot noch nirgends ein wirklicher "Mangel" aufgefallen, weil ich gar nicht merke, ob gerade 19 oder 20 Sorten Marmelade im Regal stehen.
So hab ich bis vor kurzem auch gedacht. Aber ganz ehrlich, ich weiß zwar nicht warum, aber wir sind in meinen Augen schon lange in einer Mangelwirtschaft angekommen. Also ja klar ich selber privat merke das noch nicht. Aber auf Arbeit merken wir das an so vielen Ecken. Ich arbeite im Gesundheitswesen und wir haben zum Teil bei elementaren Dingen der Patientenversorgung absolute Lieferengpässe. Das geht schon bei einfach Sachen wie Fließlaken los, die man unter einen Patienten legen will los. Die Digitalisierung geht nicht vorwärts, weil Monitore und Tablets nicht lieferbar sind und deswegen alles per Hand geschrieben wird. Aber selbst da sind im Bürobedarf immer wieder selbst Kugelschreiber oder andere Stifte nicht bestellbar. Im OP musst du bei Implantaten auf Hersteller zweiter oder dritter Wahl ausweichen, weil die anderen nicht liefern können.
Und ich weiß echt nicht woran das liegt. Gefühlt bekomme ich mehr und mehr den Eindruck Globalisierung hin oder her, die Ukraine war offenbar auf jedem Wirtschaftsgebiet Weltmarkführer und da wo sie es nicht waren, liegt der Container im geschlossenen Hafen von Shanghai. Man kann nur hoffen, dass es grundsätzlich tatsächlich einfach nur ein Problem der weltweiten Vernetzung ist, dass ein kleiner Ausfall eines Landes oder einer Region so einen Mangel verursacht, weil dann Lieferketten zusammenbrechen und die Teile "nur" festhängen. Aber wenn es stattdessen vieles von den Sachen wirklich nicht gibt, dann haben wir hier bald echt auch in der Privatwirtschaft eine Mangelwirtschaft.
Mangel würde für mich bedeuten, dass es etwas gar nicht gibt. Dass beispielsweise das günstigste Sonnenblumenöl oder das günstigste Klopapier gerade ausverkauft ist, ist kein Mangel, da kann man doch einfach was anderes nehmen. Was auch immer manche unbedingt mit Sonnenblumenöl geplant haben, das hätten sie doch bestimmt auch mit Nussöl, Olivenöl oder Butter beziehungsweise Margarine machen können oder?
Die Vliesunterlagen, die hier für Patienten angesprochen wurden, nutze ich auch. Die hat mein Hund als Unterlage in seinem Korb und die nutze ich als Unterlage für die Futterstelle. Ich habe da keine Nachschubprobleme. Manchmal gibt es die von einem spezifischen Hersteller nicht, aber da kann man doch einfach einen anderen nehmen. Mangel wäre für mich, wenn es etwas gar nicht mehr gibt, also überhaupt nicht mehr, auch nicht als andere Sorte oder von einem anderen Hersteller.
Überflussgesellschaft und Mangelwirtschaft sind keine gegensätzlichen Begriffe. Wenn man sich mal die Definition von Mangelwirtschaft in Wikipedia anschaut, die sie als chronischen Mangel an Waren oder Dienstleistungen beschreibt, während genug Geld zum Kauf dieser Waren vorhanden ist, dann sind wir nicht auf einem Weg dorthin.
Es gibt in manchen Bereichen einen Mangel, etwa in der Bauwirtschaft. Es ist nicht nur ein Mangel an Material, sondern auch an Arbeitskräften. Ich halte diesen Zustand aber nicht für sehr lange, also Jahre oder Jahrzehnte, andauernd und im System begründet, sondern einer bestimmten Lage geschuldet, die sich wieder ändern wird.
Was hier teilweise als Mangelwirtschaft angesehen ist, sollte man eher als Abhängigkeit bezeichnen. Denn viele Produkte, wie die genannte Fließlaken, werden im Ausland bezogen. Komisch nur, dass wir auch genug Hersteller dafür im eigenen Land haben, welche nur unwesentlich teurer sind, aber dafür zuverlässiger liefern würden.
Nehmen wir doch einfach den asiatischen Markt. Dort wird auch mal ein ganzer Hafen, wegen einem Coronafall dicht gemacht. Am Ende fehlen die entsprechenden Produkte auch in Deutschland, weil eben keine Schiffe beladen werden. Aber man hat eben auch in über zwei Jahren Corona nicht gelernt, dass man aus der Globalisierung zurück zur Regionalität gehen sollte. Denn nur so kann der Großteil an Waren wirklich so angefordert werden, wie sie benötigt werden.
Klehmchen hat geschrieben:(...) ]Aber selbst da sind im Bürobedarf immer wieder selbst Kugelschreiber oder andere Stifte nicht bestellbar.
Liegt das daran, dass ein realer Mangel an Kugelschreibern herrscht oder daran, dass man als Einkäufer für einen Betrieb gar nicht auf das ganze vorhandene Angebot zugreifen kann bzw. darf?
Ich arbeite für eine eher kleine Firma und bestelle mir mein Büromaterial selber wenn ich was brauche, aber das geht dann eben nur über eine bestimmte Webseite, bei der wir ein Konto haben und einen Rabatt bekommen. Wenn etwas ausverkauft wäre, wäre eine Ausnahme sicher kein Problem, aber bei richtigen Großkunden ist das wahrscheinlich noch strenger geregelt weil es um ganz andere Mengen geht und daher auch noch deutlich mehr Vergünstigungen gibt.
Cloudy24 hat geschrieben:Klehmchen hat geschrieben:(...) ]Aber selbst da sind im Bürobedarf immer wieder selbst Kugelschreiber oder andere Stifte nicht bestellbar.
Liegt das daran, dass ein realer Mangel an Kugelschreibern herrscht oder daran, dass man als Einkäufer für einen Betrieb gar nicht auf das ganze vorhandene Angebot zugreifen kann bzw. darf?
Sowohl als auch. Natürlich gibt es bestimmte Hersteller, wo man bestellen soll oder muss, weil es dort einfach günstiger ist und es Rabattverträge gibt, die man einhalten sollte. Im Gegensatz zur Privatperson, der im Jahr 2 Packungen Fließlaken kauft oder 20 Kugelschreiber, macht sich das in großen Unternehmen ja schon stark bemerkbar, wenn man auf einen teureren Hersteller ausweicht.
Aber nichts desto trotz geht auch dieses Ausweichen eben nicht immer. Bei Kugelschreibern oder Fließlaken mag das kein Problem sein. Wenn es um IT geht, kann das aber schon schwieriger werden. Nicht jede Software geht mit jeder Hardware zusammen. Wenn du dich da auf einen Anbieter mit seiner Software eingestellt hast und willst einen bestimmten Bereich dann digitalisieren und dort einbauen und alles was an Hardware am Markt verfügbar ist, ist mit deinem Datensystem nicht kompatibel dann hast du ein Problem.
Und ob man jetzt von Abhängigkeit spricht oder von Mangelwirtschaft ist ja schlussendlich egal und nichts anderes als Wortklauberei. Was nutzt es mir, wenn man etwas in Deutschland etwas teurer produzieren könnte, es aber bloß keiner macht? Dann ist das Produkt trotzdem nicht da. Und es hat ja seinen Grund, dass wir es für ein paar Cent weniger im Ausland produzieren lassen. Weil es eben günstiger ist. Sieht man doch jetzt beim Gas auch. Natürlich muss man nicht das billige Gas aus Russland nehmen. Gibt auch genug Alternativen aus Norwegen, den USA; Kanada und dem Nahen Osten. Aber es kostet dann eben nachher doppelt oder dreimal so viel und das Geld fehlt dann woanders.
Klehmchen hat geschrieben:Was nutzt es mir, wenn man etwas in Deutschland teurer produzieren könnte, es aber bloß keiner macht?
Warum das so ist, hat doch Deutschland während Corona sehr gut gezeigt. Als aus Asien nichts kam, war man froh, dass einige deutsche Hersteller Masken und andere Produkte für den medizinischen Bereich hergestellt haben. Dann konnte Asien wieder liefern und man hat die deutschen Hersteller fallen lassen. Diese Firmen werden mit Sicherheit nicht mehr bei Engpässen ihre Produktion umstellen, um dann am Ende wieder auf den Waren sitzen zu bleiben.
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