Von der Obdachlosigkeit in die Erfolgsspur

vom 30.07.2019, 22:22 Uhr

Obdachlosigkeit ist ja bestimmt schlimm, aber wichtig dabei wird wohl sein, dass man sich nicht in sein Schicksal ergibt. Dass man da nämlich wieder herauskommen kann, das haben mit beispielsweise Daniel Craig, Halle Berry, Jim Carrey, Ed Sheeran oder auch Sylvester Stallone, einige und heute Prominente bewiesen und brauchen sich wohl keine Gedanken mehr, über eine Bleibe zu machen. Kennt ihr auch noch mehr solcher Biografien und wundersamen Karrieren und wie bewertet ihr diese?

» linksaussen » Beiträge: 386 » Talkpoints: 201,33 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich kenne da auch nicht mehr als du genannt hast und dennoch ist es wohl sehr schwer aus so einem Leben herauszukommen, weil es Menschen geben muss, die einem helfen und einem an die Hand nehmen, damit man aus dem eigenen Sumpf wieder herauskommt. Ich denke, dass man es allein nicht schaffen kann. Das ist zu schwer, weil man ja auch gar nicht weiß wie man da raus kommt. Es ist oft eine Spirale, die sich nach unten dreht und deswegen ist die Hilfe ganz wichtig, die einem zu teil wird.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Ich bin immer mehr als skeptisch, was derlei Storys angeht. Die Allgemeinheit scheint aus verständlichen Gründen diese Erfolgsgeschichten zu lieben, weil sich so viele Leute sagen können: Wenn Promi X das geschafft hat, dann schaffe ich es auch oder schlimmer noch: Obdach- oder sonst glücklose Menschen sind selber schuld, weil sie zu faul oder zu dumm sind, es so zu machen wie Hollywoodstars. Das ist ein verbreiteter Fehlschluss, der niemandem etwas bringt, am wenigsten den Obdachlosen oder sonstigen Randgruppen der Gesellschaft.

Außerdem stelle ich nur zu oft fest, dass viele "vom Tellerwäscher zum Millionär"- Anekdoten doch sehr ausgeschmückt, geschönt und im Nachhinein zu einer Legende gestrickt werden. Da gilt es schon als "Obdachlosigkeit", wenn ein 20jähriger Jungschauspieler sich freiwillig dafür entscheidet, 6 Monate in einem Wohnwagen zu leben, während er sich um Jobs bewirbt, obwohl er jederzeit zurück zu Mama und Papa könnte.

Man schaue sich auch nur die Erfinderin von Harry Potter an, die zwar offensichtlich zugegebenermaßen eine Zeitlang von Sozialhilfe leben musste, aber immerhin aus einer bürgerlichen Familie stammte und universitäre Bildung vorweisen konnte, was wahrhaftig nicht auf alle Leute zutrifft, die Sozialhilfe bekommen.

Außerdem wird so gerne vergessen, dass auf jede/n, der/die es geschafft hat, Tausende Menschen in vergleichbaren Situationen kommen, die nie eine Chance hatten. Ich finde es auch verlogen, so zu tun, als könne man sich einen derartigen Aufstieg völlig aus eigener Kraft erarbeiten. Diese Darstellung macht sich zwar gut in Romanen und Biopics, aber wenn man genau hinschaut, sieht man, welche Rolle Glück und Beziehungen spielen, egal ob bei einem kometenhaften Aufstieg oder nur bescheidener materieller Sicherheit.

» Gerbera » Beiträge: 11335 » Talkpoints: 53,75 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Manchmal ist es doch eher gegenteilig. Das heißt, früher erfolgreicher Geschäftsmann, Frau, Haus und Kinder und jetzt obdachlos. Das erfahre ich immer wieder, wenn man mit Obdachlosen in Kontakt kommt, was natürlich wirklich traurig macht. Doch die umgekehrten Fälle, die gibt es vielleicht selten, aber sie wird es auch geben. Da möchte ich mich auch nicht zu weit aus dem Fenster skeptisch legen, dass es sowas nicht geben kann. Doch wir sollten festhalten, dass manchmal glückliche Zufälle ineinander greifen müssen, damit dies möglich ist.

Nehmen wir doch mal Deutschland als ganz direktes und hautnahes Beispiel. Das kann ich nur aus meiner persönlichen und beruflichen Erfahrung nehmen, aber ich hoffe es zeigt, wie schwierig es in Deutschland ist, aus der Obdachlosigkeit wieder herauszukommen. Es wird ja auch immer gerne so getan, als wenn es ausreichen würde, Hartz IV und eine Meldeadresse bei einer entsprechenden Einrichtung wie der Diakonie zu haben, um dann langsam wieder herauszukommen, aber so ist es nicht.

Es gibt in der Tat Einrichtungen, wo sich Obdachlose melden können. Dann können sie Hartz IV beantragen, aber vorher eben nicht. Dort müssen sie dann in der Regel täglich vorbeischauen, um nach Post zu fragen und den dortigen Meldestatus sowie das Hartz IV nicht zu verlieren. Bei einigen sind sie kulant und erlauben, dass das tägliche anrufen möglich ist. Alle 6 Monate muss dann neu gestempelt werden, dass man hier weiterhin regelmäßig vorbeischaut, um den Weiterbewilligungsantrag zu erhalten.

Doch das ist ja nur die eine Seite. Dann heißt es, such dir mal als Obdachloser eine Wohnung mit einer „Meldeadresse“, die für jeden Vermieter ersichtlich eine Obdachlosen-Meldeadresse ist. Zu 90 % haben die Obdachlosen, die ich kenne, es nicht geschafft. Selbst mit unserer Hilfe nicht.

Es gibt nur einen einzigen Vermieter, der mehr als 20.000 Wohnungen hier hat, der jedem Sozialhilfeempfänger und Obdachlosen derart positiv gegenübergestellt ist. Doch dieser hat nicht einmal 50 Wohnungen pro Monat anzubieten, was natürlich auch die Wohnungsnot in gewisser Weise aus unterschiedlichen Blickwinkeln zeigt. Vor allem dann, wenn es um kulante Vermieter geht, die einem aus der Misere helfen wollen.

Wie sollen dann in Deutschland solche Erfolgsstory, die die Menschen so gerne lieben, passieren? Ich halte es daher für wenig realistisch. Ich würde aber nicht sagen, dass es nicht klappen kann, aber ich glaube halt noch sehr wenig daran.

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Diese Geschichten sind reine PR-Gags und haben nichts mi der Realität zu tun. Das Problem von echter Obdachlosigkeit sind die entsprechenden psychischen Erkrankungen und die mangelnde Hilfe für solche Personen. Fast alle Obdachlose haben wohl eher die Erfahrung gemacht, dass Strafe statt Hilfe kommt. Meiner Ansicht nach bräuchten die meisten Obdachlosen monatelang eine Vollzeitbetreuung.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Wenn ich so eine Interpretation lese, geht mir schon innerlich die Hutschnur hoch. Es ist ein riesiger Unterschied, ob ich mit neunzehn Jahren in meinem Tanzstudio penne, weil ich mir auf dem Weg zur großen Karriere gerade in Hollywood keine Bleibe leisten kann oder ob ich ein "echter" Obdachloser bin, der mit Vierzig, ohne Arbeit oder Ersparnisse, dafür aber mit relevanten psychiatrischen Diagnosen und mindestens einer Sucht im Obdachlosenasyl schlafen muss.

Selbst wenn das keine ausgeschmückte Story für die eigene Vita ist, welche die Fans beeindrucken soll, geht mir diese narzisstische Darstellung der eigenen Wunderhaftigkeit entgegen aller Realitäten einigermaßen auf den Keks. Jeder, der schon mal echte Obdachlosigkeit bei anderen erlebt hat, sei es privat oder beruflich, weiß, was das für ein schreckliches und nicht freiwillig gewähltes Schicksal ist. Ist ja auch schön, wenn einem mit knackigen zwanzig Jahren und voller geistiger und körperlicher Gesundheit noch alle Möglichkeiten offenstehen, und sei es nur die, wieder an Muttis Herd zurückzukehren und sich mit einer Anstellung als Verkäuferin zufriedenzugeben. Mit dem Schicksal der meisten Obdachlosen hat das nur nicht soviel zu tun.

» Verbena » Beiträge: 4956 » Talkpoints: 0,44 » Auszeichnung für 4000 Beiträge


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