Linker Antisemitismus

vom 13.12.2009, 15:20 Uhr

Am 25.10.2009 haben, sich selbst "links" nennende, Antisemitinnen und Antisemiten die Vorführung des Films "Warum Israel" von Claude Lanzmann verhindert. Dieser sollte in dem Kino "B-Movie" in Hamburg, St. Pauli vorgeführt werden.

Die Antisemiten positionierten sich vor dem Kino, und spielten in einer Art Agit-Prop Aktion einen israelischen Checkpoint nach. Sie beschimpften Besucherinnen und Besucher als "Judenschweine" und "Schwuchteln", und verhinderten so das Film vorgeführt wurde. Das die "Linksnazis" (Redaktion Bahamas), auch vor Gewalt nicht zurückschreckten, wird dadurch deutlich, dass mehrere der Angreifer Quarzsandhandschuhe anhatten und Mundschutz trugen.

Die Antisemiten stammen aus dem Umfeld der B5, einem antiimperialistischen Szenetreffpunkt in Hamburg, der im gleichen Haus wie das besagte Kino liegt. Der Vorfall erregte große Aufmerksamkeit in der nationalen und internationalen Presse. Selbst Menschen aus dem traditionell autonomen Spektrum verurteilten die Aktion. So sagte EX-RAF-Mitglied "Wer einen Film verhindert, vernichtet ihn."

In einer Stellungnahme der SOL (Sozialistische Linke) die an der Aktion beteiligt war, hieß es sie hätten sich nicht gegen den Film, sondern gegen die organisierende Gruppe "Kritikmaximierung" gerichtet, die dem sogenannten "antideutschen" Spektrum zuzurechnen ist. Nun hat sich ein breites Bündnis formiert, das unter dem Motto "Antisemitische Schläger unmöglich machen - Auch Linke" gegen die Aktion heute demonstrieren will. Danach wird nochmals besagter Film gezeigt.

Was haltet ihr davon. Glaubt ihr das Antisemitismus in der Linken weitverbreitet ist, oder ist es eher ein Randphänomen, der ewiggestrigen Antiimperialisten?

» vivakoepi » Beiträge: 109 » Talkpoints: 2,96 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Meiner Meinung nach muss man erst einmal zwischen Antijudaismus, Antisemitismus und Antizionismus unterscheiden. Antijudaismus kann man einerseits als Ablehnung der jüdischen Religion, aber auch als Teil der Ablehnung jeder Religion im Allgemeinen verstehen. Antisemitismus ist die Auffassung , dass eine jüdische Rasse existiert und dass "Jude sein" erblich ist, woraus dann "Judenhass" resultiert. Der Unterschied zum Antijudaismus besteht darin, dass nach antisemitischer Anschauung jeder ein Jude ist, der jüdische Vorfahren hat und dieser Zustand auch nicht änderbar ist. Antizionismus ist die Ablehnung des Staates Israel und dessen Politik. Zum Beispiel wird die Siedlungspolitik im Gazastreifen und die "kapitalistische" Einstellung Israels kritisiert.

Ich glaube, dass in linken Gruppen Antisemitismus weniger (beziehungsweise so gut wie gar nicht), sondern eher Antizionismus und eine generelle Ablehnung von Religion existiert. Dass es einige linke Antisemiten gibt, schließe ich jedoch nicht aus.

In dem von dir beschriebenen Fall lässt sich jedenfalls eine ziemliche Aggressivität erkennen und - nach deiner Beschreibung - keine reflektierte Kritik. Ob dieser Vorfall jetzt als antisemitisch zu werten ist, ist für mich schwer zu sagen. Angesichts der benutzten Beleidigungen (besonders "Schwuchteln") würde ich jedenfalls eher auf eine rechtsradikale Einstellung der "Protestierenden" schließen.

Hast du auch eine Quelle für den, von dir beschriebenen Vorfall? Ich würde den Sachverhalt gerne noch einmal genauer nachlesen.

» Pacer » Beiträge: 72 » Talkpoints: 0,29 »


Pacer hat geschrieben:Meiner Meinung nach muss man erst einmal zwischen Antijudaismus, Antisemitismus und Antizionismus unterscheiden.

Prinzipiell hast du natürlich recht, aber heutzutage verschwimmen die Grenzen da leider zunehmend. Wie ja auch in dem hier beschriebenen Fall: In dem Film geht es um Israel, die Besuchen wurden aber als "Judenschweine" (und nicht etwa als "Israelschweine" oder ähnliches) beschimpft. Allgemein denke ich, dass immer weniger Leute da einen großen Unterschied sehen. Für die breite Masse sind alle Israelis Juden und jeder Jude steht unweigerlich mit Israel in Verbindung und muss zu Israel Stellung nehmen.

Zur Frage im Eingangsbeitrag: Ja, ich denke, das es immer mehr antiisraelische und somit auch latent antisemtische Linke (und nicht mal Linksextreme wie in diesem speziellen Fall) gibt. Es gehört meiner Meinung nach heutzutage in linken Kreisen zum guten Ton, Israel zu verurteilen und Palästinenser zu unterstützen. Allerdings ist diese Situation in Deutschland immer noch sehr viel weniger extrem als in vielen anderen europäischen Ländern.

» channale » Beiträge: 1371 » Talkpoints: 37,37 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



channale hat geschrieben:
Pacer hat geschrieben:Meiner Meinung nach muss man erst einmal zwischen Antijudaismus, Antisemitismus und Antizionismus unterscheiden.

Prinzipiell hast du natürlich recht,

Das ist leider genau das Gegenteil. Eigentlich halte ich diese Unterscheidung für ausgemachten Humbug, der nun seinen Weg aus dem rechten Lager in die Mitte der Gesellschaft gefunden hat. Ursprünglich wurde diese Unterscheidung doch nur aufgemacht, um seinem Antisemitismus ein neues Gewand zu geben und intellektuell zu verkleiden. Es hievt praktisch den individuellen Antisemitismus, der auf bzw. gegen Menschen gerichtet ist auf die logisch nächste Ebene und macht praktisch Israel zum Juden unter den Staaten. An der Ausrichtung ändert dies nichts mehr, nur kann man unverblümter darüber sprechen.

Es soll vorgeblich nur die Kritik am Staate Israel sein, die man unter dem Deckmantel des Antizionismus hervorbringen möchte. Kein Mensch aber kommt auf die Unterstellung, die Antideutschen würden Kritik am deutschen Staate üben wollen. Der Antideutsche, der sich nicht totlacht, würde über diesen Vorwurf vermutlich sauer reagieren. Hier geht es nicht um Kritik, sondern um Auflösung!

Ebenso kommt wirklich keiner auf die Idee, Kritiker am deutschen Staat und die Kritiker der Entscheidungen im deutschen Namen, als Antideutsche zu bezeichnen. Jedenfalls wäre mir das Aufgefallen, wenn man den "Bund der Steuerzahler" oder alle Oppositionsparteien als Antideutsche benennen würde. Doch Kritik äußern sie allemal. Auch ohne "Anti" im Namen.

Im speziellen Fall kommt hinzu, dass bei den sogenannten Kritikern, die gewiss keinen einzigen Juden ins Meer treiben wollen, offenbar kein Gedanke an die Funktion und die Entstehung des jetzigen Staates Israel verschwendet wird. Jedenfalls sollte spätestens dann klar sein, was es für Konsequenzen hätte, diesen Staat aufzulösen und dessen Schutzfunktion aufzuheben. Was anderes als die Vernichtung (das schreibe ich bewusst) hätte so ein Schritt denn zur Folge? Und daher noch einmal meine Frage, worin denn der Unterschied zwischen einem Antisemiten und einem Antizionisten gemacht werden darf?

Kritik an der israelischen Politik darf übrigens immer gerne geäußert werden. Genau so, wie auch Kritik an den Repräsentanten der BRD berechtigt ist. Oder bzgl. des Sudans oder der Demokratischen Republik Kongo! Wer zum Beispiel die planlose Rückzugsstrategie der israelischen Regierung kritisiert, ist ja noch lange kein Antizionist! Was ist übrigens der, der die UNO für die fragwürdige Haltung gegenüber den sog. Flüchtlingen in Palästina kritisiert? Wo auf der Welt ist es sonst möglich, den Flüchtlingsstatus vererbt zu bekommen? Nirgends! Aber das weicht vom Thema ab.

Das es übrigens linke Antisemiten gibt, ist nichts Neues. Wobei dann natürlich legitim auch die Eigenbezeichnung links in Frage gestellt werden darf. Ebenso im Beschriebenen Fall: wer sich als Mensch an der sexuellen Orientierung anderer stört und glaubt, dies sogar als Schmähruf benutzen zu können oder müssen, hat schon ein etwas skurriles linkes Verständnis. Und das ist noch positiv und wohlwollend ausgedrückt.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



derpunkt hat geschrieben:Und daher noch einmal meine Frage, worin denn der Unterschied zwischen einem Antisemiten und einem Antizionisten gemacht werden darf?

Ich sagte ja: Prinzipiell gibt es da einen Unterschied, in der Praxis heutzutage meistens nicht. Unterschiede gibt es eben zum Beispiel, wenn ultraorthodoxe Juden gegen die Existenz des Staates Israels sind - antiisraelisch, aber nicht antisemitisch - oder wenn der normale kleine Xenophob sich wünscht, dass die Juden am besten ganz weit weg von ihm sind, zum Beispiel in Israel - antisemitisch, aber nicht antiisraelisch. Das sind nur zwei kleine Beispiele. Trotzdem stimme ich wie gesagt deiner gesamten Erklärung zu.

» channale » Beiträge: 1371 » Talkpoints: 37,37 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


channale hat geschrieben:Für die breite Masse sind alle Israelis Juden und jeder Jude steht unweigerlich mit Israel in Verbindung und muss zu Israel Stellung nehmen.

Der Staat Israel ist - soweit ich weiß - in Bezug auf die Staatsreligion mit keinem anderen Staat zu vergleichen. Wie derpunkt weiter unten schon geschrieben hat, entstand Israel unter besonderen Bedingungen. Die Pläne eines jüdischen Staates im "Heiligen Land" bestanden zwar schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts (korrigiert mich bitte, wenn ich falsch liege), wurden jedoch erst konkret und in großem Stil nach dem zweiten Weltkrieg umgesetzt. Man könnte also sagen, dass Israel ein Staat ist, der extra für die Juden gegründet wurde und somit theoretisch ein ausschließlich jüdischer Staat ist. Kein anderer Staat wurde als Zufluchtsort für die Anhänger einer bestimmten Religion gegründet. Außerdem hat jeder Jude das Recht, in Israel einzureisen.

Dies sind meiner Meinung ein Gründe, weshalb sehr oft Israel und das Judentum gleichgesetzt werden. (Eigentlich erstaunlich, da die meisten Juden in den USA leben.)

derpunkt hat geschrieben:Das ist leider genau das Gegenteil. Eigentlich halte ich diese Unterscheidung für ausgemachten Humbug

Das sehe ich ehrlich gesagt anders. Es mag vielleicht so sein, dass sich diese Ideologien in den daraus resultierenden Reaktionen teilweise nicht unterscheiden (sprich Judenhass und Judenverfolgung), jedoch ist es für mich persönlich schon ein Unterschied, ob jemand aufgrund seiner Vorfahren als Jude oder aufgrund seiner Religion als Jude bezeichnet und deswegen diskriminiert wird. Das sind meiner Meinung nach zwei komplett unterschiedliche Denkweisen - beziehungsweise Ideologien. Die eine Ideologie stellt eine Diskriminierung einer Person (bzw. vieler Personen) aufgrund ihres Glaubens - also aufgrund einer selbst bestimmten Meinung dar, während die andere Ideologie eine Diskriminierung aufgrund von unbeeinflussbaren Zuständen wie der Religion der Eltern oder Großeltern darstellt.

Antizionismus besteht in vielen verschiedenen Formen (so wie das mit jeder Ideologie ist) und lässt sich deshalb nicht auf ein bestimmtes Merkmal festlegen. Ich sprach in dem Zusammenhang mehr von den "gemäßigteren" Antizionisten - beziehungsweise Israelkritikern, sofern man diese als Antizionisten bezeichnen kann. Ich habe mit "Antizionisten" vielleicht auch ein etwas falsches Wort gewählt - besser gesagt ein Wort, das in diesem Kontext leicht falsch verstanden werden kann.

Dein Beispiel mit den Deutschlandkritikern und den Antideutschen gefällt mir jedenfalls sehr gut. Der Übergang von diesen beiden Gruppen zueinander ist ein Deutschland vielleicht relativ klar, aber im Falle des Antizionismus sind meiner Meinung nach die Grenzen zwischen "überzeugten Antizionisten" und Israelkritikern teilweise nicht klar zu erkennen.

» Pacer » Beiträge: 72 » Talkpoints: 0,29 »


Pacer hat geschrieben:Man könnte also sagen, dass Israel ein Staat ist, der extra für die Juden gegründet wurde und somit theoretisch ein ausschließlich jüdischer Staat ist. Kein anderer Staat wurde als Zufluchtsort für die Anhänger einer bestimmten Religion gegründet. Außerdem hat jeder Jude das Recht, in Israel einzureisen.

Die Definition ist in dem Fall problematisch. Denn Israel wurde zwar für Juden, aber nicht im Sinne von "Anhänger des jüdischen Glaubens", sondern im Sinne von "Mitglied des jüdischen Volkes" gegründet und zumindest in der Gesetzgebung wird das auch heute noch so verstanden. Aus israelischer Sicht bedeutet der jüdische Staat nicht, dass es der Ort für Menschen ist, die der jüdischen Religion angehören, sondern die mindestens ein Großelternteil hatten, das der jüdischen Religion angehörte.

Das ist einer der Gründe dafür, dass es in Israel eben auch verhältnismäßig viele (zu viele als das man es als einen im religiösen Sinne jüdischen Staat bezeichnen könnte) Nichtjuden gibt. Dazu kommt, dass prinzipiell auch jeder israelischer Staatsbürger werden kann. Es stimmt zwar, dass es für Juden (wie gesagt, Mitglieder des jüdischen Volkes) sehr viel leichter ist, es ist aber generell jedem möglich.

» channale » Beiträge: 1371 » Talkpoints: 37,37 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Ja, es ist schon komisch dass manche Nachrichten nur schwer oder nur kurzzeitig den Weg in die Presse finden oder schlichtweg ignoriert werden. Ich hatte die Nachricht vor einiger Zeit morgens am Kaffeetisch kurz im Onlineticker einer Zeitung gesehen und dann nie wieder etwas davon gehört und es dann auch vergessen. Wen die Meldung aber noch interessiert der kann einen Bericht unter „www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/ Antisemitismus in Hamburg“ nachlesen.

Auch auf die Gefahr hin dass ich einige Zuwortmelder in diesem Forum mit meinen Vergleichen aus der Zeit des Dritten Reiches wieder reize, aber das hat es in den Dreißigern schon einmal gegeben dass Kinoaufführungen mit „verjudeten Filmen“ sabbotiert wurden. Sehr beliebt war es damals während der Vorstellung weiße Mäuse auszusetzen die dann Panik verbreiteten.

Ansonstem muss man sich das wirklich noch einmal ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen: Mitten in Deutschland schafft es ein kleiner Trupp von Chaoten eine Kinoaufführung eines anerkannten Filmemachers, der Weggefährte von Sartre und de Beauvoir sowie Kämpfer der Resistance war, mit blankem Hass und unter Gewaltanwendung zu verhindern. Das hätte ich vorher nicht für möglich gehalten und ich hoffe inbrünstig dass so etwas ein einmaliger Vorgang war. Dazu passt irgendwie auch die heutige Meldung des Tages dass die Zahl und die Schwere der linksmotivierten Straftaten in den ersten neun Monaten dieses Jahres bereits um fünfzig Prozent zugenommen hat. Vielleicht erreicht man ja auch noch in diesem Jahr als weiteren Statistikwert das dreihundertste angezündete Auto in Berlin, derzeiiger Stand ist so um die 275.

Ich bin gegen jede Form der Gewalt, aber wenn ich lese dass sich die Demonstrierer mit Quarzhandschuhen ausrüsteten um schmerzhaftere Schläge austeilen zu können und dies gegenüber dem Publikum auch taten dann finde ich dass man so etwas nicht tolerieren darf. Was mich aber am meisten stört ist dass mir von einer Gruppe von Leuten aufgezwungen wird wie ich zu denken habe und welche Filme ich besuchen darf. Das kann und darf es in einem Rechtsstatt nicht geben, wir sind doch keine Bananenrepublik.

Es wurde inzwischen ein neuer Filmvorführungstermin angesetzt, hoffen wir dass es nicht wieder zum Eklat kommt.

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» hooker » Beiträge: 7217 » Talkpoints: 50,67 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Solche Aktionen finde ich generell negativ, wenn man seine Meinung nur auf diese Art publik machen kann, dann sollte man es besser bleiben lassen.

Die linke Szene ist sicherlich nicht homogen aufgebaut, dazu gibt es viel zu viele Splittergruppen, die man gar nicht unter einen Hut bringen kann, auch wenn alle sich als links bezeichnen.

Leider kann ich mir aber auch vorstellen, dass es in einigen dieser Gruppierungen zu wirklichen Judenhass als Teil deren Ideologie kommen kann. Denn letztlich sucht man links - wie rechts auch - Ursachen für das ihrer Meinung nach Schlechte in der Welt.

Nur dürfte es sich dabei jedenfalls im linken Spektrum um eine absolute Minderheit handeln. Nicht ausgeschlossen aber, dass sie zumindest in weiten Teilen dennoch auf Zustimmung stoßen, wenn es um den Konflikt mit den Palästinensern geht. Die Zustimmung zur Politik Israels dürfte gerade bei denen aus der Friedensbewegung jedenfalls nicht gut ankommen.

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» betty » Beiträge: 1460 » Talkpoints: 0,13 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


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