"Ausnahmen bestätigen die Regel"?
Den Spruch "Ausnahmen bestätigen die Regel" kennt ja sicher jeder. Ich las ihn gerade in einem anderen Thread hier im Forum und mir fiel dabei mal wieder auf, wie sinnlos ich den Spruch an sich finde. Er wird meist dann verwendet, wenn jemand irgendeine Behauptung aufstellt und dann eine weitere Person anfängt, Beispiele dafür zu geben, dass diese Behauptung nicht den Tatsachen entspricht. Dann wird ganz schnell behauptet, Ausnahmen bestätigten die Regel, und damit wird dann angeblich bestätigt, dass die Behauptung doch richtig ist.
Das ist doch vollkommener Blödsinn. Wenn ich sage: "Hauptschüler sind dumm" und dann erzählt jemand von einem Hauptschüler, der einen IQ von 173 hat, wird doch dadurch nicht bestätigt, dass Hauptschüler dumm sind. Im Gegenteil, dadurch wird doch eben bewiesen, dass meine Aussage falsch ist und in irgendeiner Form abgeändert werden muss. Auch mathematisch betrachtet, ist der Spruch einfach nicht korrekt. Ein Gegenbeweis für einen Grundsatz zeigt, dass der Grundsatz nicht richtig ist.
Wieso wird "Ausnahmen bestätigen die Regel" also immer noch als allgemeingültige Rechtfertigung für jede willkürliche Behauptung verwendet?
Eine Ausnahme bestätigt natürlich keine Regel, aber wenn man von statistischen Zahlen ausgeht ist eine Ausnahme eben eine Ausnahme und nichts, was dazu führt, dass eine Regel in Frage gestellt wird und das ist mit diesem Spruch wohl auch gemeint.
Ich finde das lässt sich am Wetter ganz gut erklären. Ich könnte jetzt zum Beispiel sagen, dass der August der trockenste Monat im Jahr ist und du könntest mir erzählen, dass es doch letztes Jahr fast den ganzen August hindurch geregnet hat. Meine Aussage bezieht sich auf die Wetterdaten von ca. 100 Jahren, während sich deine Aussage nur auf einen einzigen August bezieht und wahrscheinlich auch nicht auf das ganze Land sondern auf nur auf die Region in der du lebst.
Genauso ist das auch mit den "dummen" Hauptschülern. Wenn ich den IQ von 10000 Schülern untersucht hätte und herausgefunden hätte, dass dieser im Durchschnitt unterdurchschnittlich ist ändern ein paar Ausreißer nach oben nichts an dieser Tatsache.
Oder ganz klassisch, die Geschichte vom kettenrauchenden Urgroßvater, der mit 92 und sich bester Gesundheit erfreuend von einem Lastwagen überrollt worden ist. Ich übertreibe hier natürlich etwas, aber fast jeder kennt so eine Geschichte, die die dicken Warnhinweise auf den Zigarettenschachteln in Frage stellt. Aber trotzdem kann man wohl davon ausgehen, dass es einen guten Grund für diese Warnhinweise gibt.
channale hat geschrieben:Dann wird ganz schnell behauptet, Ausnahmen bestätigten die Regel, und damit wird dann angeblich bestätigt, dass die Behauptung doch richtig ist.
Nein, damit wird nur kurz gesagt, was Cloudy24 schon ansprach, dass die Gegenbeispiele Einzelfälle oder eben statistische Ausreißer sind, die nicht mit der Gesamtmasse oder dem Durchschnitt vergleichbar sind.
channale hat geschrieben:Auch mathematisch betrachtet, ist der Spruch einfach nicht korrekt. Ein Gegenbeweis für einen Grundsatz zeigt, dass der Grundsatz nicht richtig ist.
Doch, denn auch hier werden Ausreißer in Statistiken oder Messungen, je nachdem was man zugrundelegt (bei manchen Sachen reicht natürlich schon ein Gegenbeweis), nicht als Gegenbeweis betrachtet sondern eben als Zufall oder Messfehler.
channale hat geschrieben:Wieso wird "Ausnahmen bestätigen die Regel" also immer noch als allgemeingültige Rechtfertigung für jede willkürliche Behauptung verwendet?
Wo wird dies denn als Rechtfertigung für willkürliche Behauptungen genutzt? Man sagt das, um eben willkürliche Behauptungen als solche zu entlarven - eben mit dem unterschwelligen Argument, dass das eben nur ein Zufall / Einzelfall / statistischer Ausreißer ist um hier nicht stundenlang Zahlen auf den Tisch zu hauen, warum man selber im Recht ist und der einzelne Fall nicht aussagekräftig ist in Bezug auf das Gesmtergebnis / Gesamturteil.
Gerade in allgemeinen (nicht-wissenschaftlichen) Diskussionen ist sowas Usus, wo öfters mal jemand mit Halbwissen dazwischen springt und der, der es äußert eben nicht erst einmal sehr viel Zeit darauf verschwenden will, das zu widerlegen. Würde man das ganze übrigens wissenschaftlich betrachten müsste derjenige, der die "Ausnahme" ins Feld führt übrigens (bevor der andere begründen muss warum diese irrelevant ist) erst einmal den Beweis konkludent führen, warum diese die andere Aussage widerlegt. Und da das meist (vollständig) unterlassen wird kürzt man den Gegenbeweis genauso ab.
Die Behauptung, alle Hauptschüler seien dumm, ist sowieso grenzwertig. Sie haben im Normalfall zwar nicht den höchsten IQ, ich finde die Formulierung, dass Haupschüler eher praktisch begabt sind, viel zutreffender. Aber lassen wir das mal beiseite. Darüber weiter zu diskutieren, führt jetzt zu weit vom Thema weg.
Ich bleibe mal bei der Frage, ob Ausnahmen die Regel bestätigen im Bezug auf die Aussage, dass angeblich alle Hauptschüler dumm sind. Mal angenommen, es wäre tatsächlich so, dass alle Hauptschüler dumm wären. (Was zwar nicht meine Meinung ist, das ist jetzt für die Überlegungen egal.) Dann würde der Satz, dass Ausnahmen die Regel bestätigen stimmen. Ein Schüler mit einem IQ von 173 wäre so außerordentlich hoch begabt, dass er nur durch ein Versehen zum Hauptschüler wurde. Er ist dort also aufgrund der fatalen Fehleinschätzung von Lehrkräften und müsste eigentlich als extrem hochbegabter Schüler an einer speziellen Schule gefördert werden. Die Anwesenheit dieses Anwesenheit dieser Einzelperson sagt nichts drüber aus, wie zutreffend die Aussage ist, dass Hauptschüler dumm sind. Mit diesem einzelnen Schüler, der eine Fehlbesetzung oder Fehlbeschulung ist, kann man kein Aussage über tausende andere Hauptschüler verifizieren oder falsifizieren.
Es gibt eben auch Fälle, wo die Natur Ausnahmen aus der Regel macht, die ganz ohne menschliches Versagen zu Stande kommen: Wir sind uns ja alle einig, dass Menschen, deren sämtliche Vorfahren afrikanische Ureinwohner sind, durch eine dunkelbraune Haut und sehr dunkle Haare gekennzeichnet sind. Nur eben nicht alle. Es gibt auch eigentlich schwarzhäutige Afrikaner, die als Albinos auf die Welt kommen. Hier bei national geographic findest Du ein Bild aus einer seriösen Quelle. Das ändert eben nichts daran, dass afrikanische Ureinwohner im Allgemeinen dunkle Haut und dunkle Haare haben. Das ist auch keine willkürliche Behauptung, sondern höchstens eine unpräzise Behauptung. Wer würde im Alltag schon sagen, dass 99,9% der afrikanischen Ureinwohner dunkle Haut haben. Das ist doch total unhandlich.
Oder um mal das verfängliche Thema über Menschen verschiedener Hautfarben zu meiden: Albinismus kommt auch bei anderen Säugetieren als dem Menschen vor. Frage mal 10 Kindergartenkinder, welche Farbe Elefanten haben. Ich wette was drum, dass alle sagen "Grau"! Und das ist auch gar nicht falsch. Trotzdem gibt es die legendären weißen Elefanten, die in Indien und Thailand sehr hoch verehrt werden. Die besten Bilder, die ich gefunden habe, findest Du hier und hier.
Wenn jemand willkürlich oder aus Unwissenheit im Brustton der Überzeugung Unsinn verkündet und das dann damit rechtfertigen will, dass ja Ausnahmen die Regel bestätigen, dann ist diese Redewendung einfach nicht im korrekten Sinne gebraucht. Wenn man irgendwann feststellen muss, dass die Ausnahmen nicht mehr Einzelfälle sind, sondern überhand nehmen, dann muss man halt die Regel als falsch fallen lassen.
Ungeachtet der Tatsache dass ich meinen Vorschreibern hier nur zustimmen kann möchte ich auch noch etwas ergänzen:
channale hat geschrieben:Wenn ich sage: "Hauptschüler sind dumm" und dann erzählt jemand von einem Hauptschüler, der einen IQ von 173 hat, wird doch dadurch nicht bestätigt, dass Hauptschüler dumm sind. Im Gegenteil, dadurch wird doch eben bewiesen, dass meine Aussage falsch ist und in irgendeiner Form abgeändert werden muss.
Bleiben wir mal bei dem Beispiel der "dummen Hauptschüler" (um den Inhalt geht es jetzt ja sowieso nicht). Wenn ich jetzt behauptete, Hauptschüler seien dumm, und jemand mir genau das antworten würde, nämlich dass er aber einen kennt, der einen IQ von 173 hat, dann bestätigst er selbst eigentlich schon genau die Redewendung.
Allerdings erwähnt derjenige natürlich nur die für ihn in dem Moment relevanten Informationen, ohne aber [balle[/b] Informationen zu nennen (ist auch normal dass man theoretisch irrelevante Informationen weglässt - sonst würden wir alle den ganzen Tag schwafeln). Ungefähr jeder deutsche Bundesbürger kennt mehr als nur einen Hauptschüler. Sagen wir mal er kennt 20 von denen er den IQ einschätzen kann. Und davon nennt er genau einen, der nämlich die erste These (Hauptschüler sind dumm) widerlegt. Die 19 passenden verschweigt er in diesem Moment, weil er dann der These ja nicht widersprechen könnt.
Ich will da gar nicht mal irgendwem dafür einen bösen Vorsatz unterstellen, oft denkt man in dem Moment nämlich auch gar nicht daran. Und genau da liegt dann der Knackpunkt, der die Redewendung stützt: Man denkt in dem Moment nur an diesen einen Hauptschüler, eben weil er aus der Reihe fällt - und deswegen im Gedächtnis geblieben ist! Und genau damit bestätigt man eigentlich selbst schon, dass es eine "Regel" (also einen Durchschnitt) gibt - und dass es von vielerlei Regeln Ausnahmen gibt ist einfach völlig normal, gerade wenn man von vereinfachten bzw. pauschalisierten Thesen ausgeht. Natürlich müssen nicht 100% der Hauptschüler dumm sein, reicht aber ja auch, wenn es 99% sind. (wie gesagt, die Hauptschüler-These nutze ich nur beispielhaft - ich werde mich hüten etwas political incorrect-es zu sagen )
channale hat geschrieben:Ein Gegenbeweis für einen Grundsatz zeigt, dass der Grundsatz nicht richtig ist.
Wenn überhaupt beweist man durch Widerspruch Dazu bedarf es in der Tat nur eines Gegenbeispiels und schon ist bewiesen, dass die Behauptung nicht zutrifft.
Bei dem zitierten Spruch geht es aber nicht um einen solchen mathematischen Beweis, sondern der beschreibt eine stochastistische (ein mathematisches Teilgebiet, das sich mit der Beschreibung und Untersuchung zufälliger Experimente beschäftigt) Gesetzmäßigkeit.
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