Moralische Probleme USA
Ich befinde mich für die nächsten sieben Monate als Austauschschüler in den Vereinigten Staaten von Amerika und habe ein moralisches Problem, das mich plagt: In Deutschland habe ich mich sehr um die Umwelt und demensprechend auch um einen umweltverträglichen und gesunden Lebensstil bemüht, hier in den USA allerdings habe ich deutliche Probleme damit.
Ich habe es mir nicht so extrem vorgestellt und sehe auch absolut keine Möglichkeit meinen moralischen Pflichten hier in den USA nachzugehen. Ich fühle mich mehr als nur schuldig, wenn ich Wasser aus Plastikflaschen trinke, komme nicht damit klar, dass jegliches Essen in der Mikrowelle aufgewärmt wird und ärgere mich jedes Mal wenn ich ein Auto sehen muss, dass die dreifache Reifengröße wie deutsche Autos hat. Viel schlimmer ist aber, dass hier einfach unglaublich viele Nahrungsmittel weggeworfen werden. Die Bewohner haben einfach kein Verständnis dafür, dass es anderen Menschen vielleicht nicht so gut geht und das tut mir im Herzen weh.
Gestern Abend lag ich insgesamt zwei Stunden gedankenverloren im Bett und habe versucht eine anständige Lösung zu finden. Es ist schließlich keine Lösung einfach abzuhauen und alles so zu lassen wie es ist, besonders weil dieser Schüleraustausch sehr viel Geld kostet. Es ist mir leider nicht gelungen einen klaren Gedanken zu fassen und ich weiß keinen Ausweg mehr. Ich denke mir zwar, dass Reden eine gute Alternative zum Weglaufen ist, aber ich weiß nicht wie ich das angehen soll. Dabei handelt es sich um eine nahezu unmögliche Aufgabe und ich wüsste nicht wo ich anfangen sollte.
Es ist einfach zum Verzweifeln. Ich muss einen Ausweg finden, es soll keine Komplettlösung meiner Probleme sein, ich denke, das ist auch in kurzer Zeit nicht möglich aber vielleicht wenigstens eine Verbesserung, damit ich mich wieder wohlfühlen kann.
Warum soll das in den USA nicht möglich sein? Es ist, wie in Deutschland, einfach nur eine Frage des Geldes. Und solang Du nicht in eine absolut ländliche Region mit tiefkonservativen (republikanischen) Gasteltern hast gibt es hier in den USA genug Möglichkeiten sich gesund im europäischen Sinne und umweltbewusst zu ernähren.
Märkte gibt es dafür genug, nur kaufen da halt nur die, die Geld haben, da die Produkte teils dreimal so teuer sind verglichen mit den Super BigPacks und Gallonen zum Mitnehmen. In der Regel haben das aber die meisten Gasteltern (sonst würden sie gar nicht dafür in Frage kommen) - mich wundert es da gerade, wo Du gelandet bist. In fast jeder größeren Stadt gibt es mittlerweile einen Whole Foods der nur Ökosachen führt, ich habe gleich 2 um die Ecke (gut, wohne auch zwischendrin ). Und man muss ja nicht gleich dahin, sondern kann genauso gut zu Mischläden gehen, da gibt`s mittlerweile auch schon einige.
Aber ganz ehrlich: Wenn deine Gasteltern nichts davon halten oder andere, mit denen Du zusammen bist: Lass es lieber, mit missionarischem Eifer erreicht man recht wenig, mehr hintenrum. Heißt: einfach mal selber Öko Essen machen ohne es den anderen aufzudrängen (klappt natürlich nur, wenn man z. B. gut kochen kann) und so "überreden". Ansonsten sitze es besser aus - gerade wenn man in einem Abhängigkeitsverhältnis ist sollte man Konflikte lieber vermeiden. Ich rede über bestimmte Sachen auch eher mit meinen Nachbarn als mit meinen Vorgesetzten .
Ich denke, du solltest dir erst mal darüber klar werden, dass dich niemand ärgern will und dass sich niemand absichtlich so benimmt, weil er der Umwelt schaden will. Die Menschen sind anders aufgewachsen als du, in einer Kultur in der andere Standards gelten. Darum geht es doch eigentlich auch bei einem Austausch, oder? Man macht sowas doch um eine andere Kultur kennen zu lernen und um mal über seinen eigenen Tellerrand zu schauen. Zu erwarten, dass in einem fremden Land genau die gleichen Standards bezüglich Umweltbewusstsein gelten wie zu Hause hat was vom Touristen, der sich beschwert, dass es im Hotel in Ägypten kein deutsches Bier gibt.
Ich weiß natürlich nicht, was für ein Verhältnis du zu deinen Gasteltern hast und wie gut deine Sprachkenntnisse sind, aber es müsste doch eigentlich möglich sein das Thema einfach mal anzusprechen und zu schauen was man zusammen ändern könnte. Zum Beispiel könnt ihr ja mal zusammen einkaufen gehen und du kannst dann die Sachen zeigen, die du gerne hättest. Aber du musst natürlich realistisch bleiben, du wirst niemanden dazu bringen können seinen Hummer gegen einen Smart einzutauschen.
Ich kann dich absolut verstellen und finde es auch toll, dass du dir Gedanken zum Thema Umweltschutz etc. machst! Ich würde das Thema ganz unverfänglich mal ansprechen, indem du damit anfängst, dass du doch ganz schöne Unterschiede bezüglich des Wasserverbrauchs, Stromverbrauchs, der Autos etc. festgestellt hast. Vielleicht kannst du mit dem Thema in offene Türen eintreten, vielleicht wirst du aber auch nur belächelt. Lang etablierte Traditionen wirst du sicher nicht von heute auf morgen ändern können, aber vielleicht kannst du ja zum Nachdenken anregen, wenn es dir selbst so wichtig ist.
Auch wenn dein Anliegen löblich istm bedenke eines: Du bist ein Teenager und die meisten Erwachsenen sind auf diesem Ohr oft ziemlich schnell genervt (wieso das so ist erfährst und in ca. 10-15 Jahren, lass dich einfach überraschen ...). Noch dazu Teenager aus einem anderen Land - weia.
Einiges ist vermutlich sogar ganz sinnvoll, siehe "Wasser aus Plastikflaschen": Nicht überall ist das Trinkwasser so gut aus der Leitung trinkbar wie hierzulande. Anderes lässt sich vermutlich durchaus mal ansprechen und vielleicht wäre es auch mal ganz interessant zu erfragen "He sagt mal, wie sieht eigentlich hierzulande der tägliche Umweltschutz aus?" Vielleicht findet ja doch einiges statt, was du bisher nicht bemerkt hast. Wenn du Pech hast dann kann es dir natürlich auch passieren, das die dich nur groß und grinsend anblicken.
Das beste was du machen kannst: Reg die Gedanken deiner Gastfamilie an, sich positiv und nicht genervt mit dem dem Thema Umweltschutz zu beschäfftigen. Grade Deutsche werden gerne als sehr herablassend belehrend in den USA empfunden, die in Sachen Umwelt eine ausgeprägte Vollmeise haben und es teutonisch gründlich komplett übertreiben. Wer jemals die Reaktion eines an sich der Umwelt und ihrem Schutz recht offenen Amis angesichts ausgespülter Jogurtbecher für den Gelben Sack / Gelbe Tonne erlebte, weiß was ich meine: Höfliche Entgeisterung.
Noch eines: Verhaltensveränderungen sind eine Sache der Zeit. Du bist mit bestimmten Sitten zum Thema Umweltschutz aufgewachsen, die nicht. Einiges was dir normal und vernünftig erscheint, kommt deinen Gastleuten erst einmal bestenfalls fremd vor. Also lieber nicht alles bemängeln, sondern manchmal einfach nur höflich sein und lieber auch diesen Teil als Wissenserweiterung ansehen.
Du wirst wahrscheinlich in deiner momentanten Situation dein Umweltbewusstsein nicht genauso ausleben wie in Deutschland. Zwar gibt es auch in den USA natürlich Menschen, die speziell auf den Umweltschutz achten, aber wenn du nicht dein gesamtes Austauschprogramm auf den Kopf stellen willst, wirst du wohl nicht so einfach mit denen leben können.
Ich denke aber schon, dass du viele kleine Dinge für den aktiven Umweltschutz tun kannst. Ein Wasserfiltergerät ist ja zum Beispiel nicht so wahnsinnig teuer, das könntest du dir zum Beispiel kaufen und dann gefiltertes Leitungswasser trinken. Und vielleicht findet das dann auch deine Gastfamilie ganz interessant, zumal sie so ja auch Geld sparen könnten.
Wenn du selbst gerne kochst, kannst du doch zum Beispiel mit deinen Gasteltern ausmachen, dass sie Reste, die beim Essen übrigbleiben, aufbewahren und du dann einmal die Woche daraus eine Mahlzeit zauberst. Ich glaube kaum, dass sie da was dagegen haben.
Du kannst auch Verpackungen sammeln und daraus tolle Sachen basteln - zum Beispiel Dekorationen und Geschenke zu Weihnachten. Wenn du jüngere Kinder in der Familie oder im Umfeld hast, kannst du sie auch mit einbinden, dann werden sie und dadurch auch die Eltern viel Freude daran haben.
Ich denke, was den bewussten Umgang mit der Umwelt angeht, wird es schon viel helfen, wenn du einfach mit gutem Beispiel voran gehst. Die allermeisten Leute schaden ja nicht der Umwelt, weil sie sie so gerne zerstören, sondern weil sie einfach nicht wissen, wie, oder weil es ihnen sehr umständlich erscheint. Wenn andere sehen, wie du im Alltag mit kleinen Dingen die Umwelt schützt, sehen sie vielleicht, dass es gar nicht so kompliziert ist und sie das auch einfach machen können.
Abgesehen davon bin ich davon überzeugt, dass du auch bei dir in der Nähe die Möglichkeit finden wirst, dich bei einer Organisation für den Umwelt- oder Tierschutz zu engagieren. Es würde mich nicht mal wundern, wenn es da in deiner Schule einen Club für gibt. Mach dich doch einfach mal schlau, es gibt überall Gleichgesinnte, man muss sie nur finden.
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