Bei offensichtlichen Problemen anderer immer Hilfe anbieten?

vom 15.08.2009, 18:36 Uhr

Ich habe eine Arbeitkollegin, die offenbar Probleme zu haben scheint. Ich habe an ihren Unterarmen schon gesehen, dass die total zerschnitten sind und die hat dort sehr viele, tiefe Narben. Also ging ich davon aus, dass sie sich zumindest in der Vergangenheit die Arme aufgeritzt hat und habe daran eben schon erkannt, dass es ihr nicht so gut ging und sie bestimmt einige Sorgen hat. Nun haben wir kein richtiges freundschaftliches Verhältnis, sondern sind eher gute Arbeitskolleginnen, die nachher Arbeit auch mal etwas Sport zusammen machen, dann aber auch nie über Privates sprechen, sondern eigentlich immer nur über die Arbeit.

Ich habe sie auch darauf nie angesprochen, weil ich ehrlich sagen muss, dass ich nicht finde, dass es mich etwas angeht. Nun ist es aber so, dass sie mehrmals in den letzten Wochen erwähnt hat, dass sie jeden Tag zum Arbeit müsse bevor sie am Morgen zur Arbeit kommt. Ich habe die ersten Male nicht nachgefragt, irgendwann dann aber schon. Sie hat mir dann erzählt, dass sie 'aufgrund der Vorgeschichte' leider ihre Medikamente nicht mit nach Hause nehmen dürfe, sondern jeden Morgen beim Arzt einnehmen müsse - unter Aufsicht. Auch daraufhin habe ich nicht weitergefragt, kann mir natürlich aber denken, dass es sich dabei um Antidepressiva handelt, die sie in ihrer Vergangenheit wohl mal missbraucht hat und weil der Arzt nun Angst hat, dass sie die zu Hause sammelt und sich damit volldröhnt, bekommt sie sie nur, wenn sie die jeden Tag beim Arzt einnimmt.

Wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich bisher nie große Lust mich diesen Problemen anzunehmen. Es ist ja eine erwachsene Frau, die durchaus dazu in der Lage zu sein scheint, Hilfe anzunehmen und sie ist ja vor allem auch in ärztlicher Beratung und scheint dort betreut zu werden. Nun meinte aber eine Freundin von mir, dass das total ignorant von mir wäre, sie nie so direkt auf ihre Sorgen angesprochen zu haben und ihr nicht angeboten zu haben, dass sie immer zu mir kommen kann, wenn es ihr nicht gut geht. Ich selbst habe das nie so ignorant empfunden, sondern finde eher, dass ich nicht immer jedem Hilfe anbieten muss, mit dem ich eben zwangsläufig etwas zu tun habe. Vor allem nicht, wenn es sich um so schwerwiegende Dinge handelt, dass ich dabei eh nicht helfen kann. Findet ihr das auch ignorant von mir und denkt, dass ich sie auf ihre offenbar sehr großen Probleme hätte ansprechen müssen?

» Sippschaft » Beiträge: 7575 » Talkpoints: 1,14 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Es stimmt zwar, dass einige Menschen mit Problemen es nicht schaffen, von sich aus nach Hilfe zu suchen. Aber es ist auch so, dass man sich Menschen mit Problemen nicht aufzwingen sollte. Das empfinden diese nämlich oft auch als lästig und dann wird aus Trotz gerne mit dem schädlichen Verhalten "erst Recht" weiter gemacht.

Gerade, wenn es darum geht, dass ein Mensch sich selbst verletzt, ist das problematisch. Eben dieses Trotzverhalten, das dann durchaus auch bei Erwachsenen auftreten kann. Außerdem schämen sich viele Menschen für die Narben und frischen Verletzungen, die sie durch dieses selbstverletzende Verhalten haben, und wenn sie darauf angesprochen werden, dann bedeutet das nur noch mehr Stress für sie. Und was passiert bei Stress? Genau, sie schneiden sich dann wieder die Arme auf. Natürlich ist das nicht zu verallgemeinern, denn jeder Mensch ist anders, aber bei vielen ist es tatsächlich leider so, wie beschrieben. Das ist ein richtiger Teufelskreis.

Natürlich muss man versuchen, solche Probleme anzugehen, aber ich denke, da sie ja schon in ärztlicher Behandlung ist, wird daran bereits gearbeitet. Auch denke ich, ist es eher die Aufgabe naher Freunde und der Familie, also eher richtigen Vertrauenspersonen, sich um so etwas zu kümmern. Mit diesen möchte die kranke Person auch eher reden. Von "Wildfremden" oder eben einfach nur Arbeitskollegen, zu denen man kein besonders enges Verhältnis hat, darauf angesprochen zu werden, ja, manchmal Hilfe richtig aufgezwungen zu bekommen, ist eher lästig und bringt insofern dann auch nichts, im Gegenteil.

An deiner Stelle würde ich also davon absehen, sie darauf weiter anzusprechen. Dass sie schon zum Arzt geht, sieht danach aus, als wenn sie schon an diesen Problemen arbeitet.

Wenn es nicht so wäre, dann wäre es natürlich etwas zweifelhafter, ob man sie nun einfach mit ihren Problemen ignorieren kann. Schließlich sollte man Menschen ja helfen. Aber ich denke doch, auch in diesem Fall sollten nur nahestehende Personen einer kranken Person eingreifen, und keine Fremden oder eben allgemein nicht nahestehenden Personen.

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Ich würde dein Verhalten nicht als ignorant bezeichnen, sondern eher als diskret und zurückhaltend. Ich würde die Kollegin auch nicht gerade mit Fragen löchern und würde nur darauf eingehen, wenn sie von sich aus etwas sagt oder den Eindruck vermittelt, dass sie gerne danach gefragt werden würde.

Wenn deine Arbeitskollegin wirklich jemanden zum reden sucht, wird sie sicher irgendwann weiter erzählen und dir sagen, was in ihrer Vergangenheit war. Es ist ja auch gut, wenn du sagst, dass du mit so schwerwiegenden Dingen lieber nichts zu tun haben möchtest. Dem einen macht es eben nichts aus und dem anderen umso mehr. Aber du bist ja nicht verpflichtet ihr deine Hilfe anzubieten und ihr zu sagen, dass du ihr gerne zuhörst, wenn sie mal reden will. So was würde ich auch nur sagen, wenn ich jemanden wirklich mag.

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge



Also ich muss aus Gerechtigkeit aber schon dazu sagen, dass ich durchaus auch deshalb nicht so genau nachfrage, weil ich mir auch nichts aufhalsen möchte, womit ich später überfordert bin. Wenn ich nun wüsste, dass ich mit ihr näher befreundet wäre und sie mir von ihren Probleme erzählt, ich aber wüsste, sie ist jemand, der schonmal probiert hat sich das Leben zu nehmen und sich sonst ritzt, wenn sie überfordert ist, dann wäre das doch schon ganz schön viel für mich. Derzeit fühle ich mich einfach auch nicht in der Verfassung, mich mit so etwas zu beschäftigen und so jemanden wirklich um mich zu haben.

Deshalb sollte ich zumindest, um fair zu bleiben, erwähnen, dass das vorgetäuschte Desinteresse meinerseits auch auf eher egoistischen Gedankengängen beruht. Ich habe einfach Angst davor, dass sie mir irgendwann zu sehr vertraut und mich als Ansprechpartner ansieht, der ich ihr aber einfach nicht sein könnte.

» Sippschaft » Beiträge: 7575 » Talkpoints: 1,14 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Natürlich ist das schon irgendwie egoistisch, allerdings würde es auch keinen Sinn machen, sie anzulügen. Also wenn du ihr sagen würdest, du wärst immer für sie da, würdest ihr immer zuhören, und sie könnte mit jedem Problem zu dir kommen, dann fände ich das verlogen. Es würde der Frau dann nur noch schlimmer gehen, wenn sie dann zu dir käme und sie dann eben enttäuscht werden würde, weil du eben nicht für sie da wärst.

Da du kein enges Verhältnis zu der Frau hast, finde ich, bist du auch nicht verpflichtet, dich als ihr Kummerkasten hinzustellen. Es ist dein Recht, zu sagen, dass du mit bestimmten Dingen nichts Zutun haben möchtest. Wenn man aber erst einmal Hilfe angeboten hat, dann sollte man diese auch geben. Nur du hast ja nie so ein Angebot gemacht, also ist es nicht schlimm. Schlimm finde ich es nur, wenn Freunde, die einst so etwas behauptet haben, sich abwenden, wenn man sie mal wegen eines Problems von einem anspricht.

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Vielleicht hilft dir die Sicht einer Betroffenen.

Ich selbst habe Borderline. Mit selbstverletzendem Verhalten. Wobei ich das erst recht spät publik gemacht habe. Sprich meine Freunde das erst recht spät erfahren haben. Dann allerdings halt auch gleich im Zusammenhang mit dem Satz: Ich habe Borderline. Ich war damals einfach überfordert mit der Diagnose und dem ganzen drumherum. Wobei an sich heute wenige meiner "Freunde" meine Narben kennen. Ich versuche so Situationen auch zu vermeiden.

Die Reaktionen waren im Endeffekt alle ähnlich. So Aussagen wie: LittleSister seitdem du Borderline hast, weiss ich nicht mehr wie ich mit dir umgehen soll. Dabei war ich nie anders. Die meisten die das gesagt haben, die haben mich nie wirklich anders kennengelernt und vorallem sie kannten auch die eher negativen Seiten vorher.

Wenn ich so auf die letzten Jahre zurück blicke, habe ich große Schwierigkeiten wenn mir Jemand Hilfe anbietet und mich dann scheinbar offen ignoriert. Das tut weh. Deshalb ist es mir im großen und ganzen lieber, es ist jemand so ehrlich und sagt, du ich kann damit nicht umgehen.

Meine Familie ist auch eher von der Sorte Menschen, die man nicht um Hilfe bitten braucht. Tut weh. Aber ich selbst habe mich damit arrangiert. Ich weiss es und hoffe auf nichts. Zumindest gebe ich mir Mühe. Und sie erleben mich an sich auch nur in relativ normalen Zustand. Ich stelle mich halt auf gemeinsame Situationen mit ihnen ein.

Ich finde es total Klasse Sippschaft, das du dich mit deiner Kollegin triffst. Das es dabei bei Gesprächen nur um die Arbeit geht, finde ich an sich auch ok. Wenn sie es anders wollte, würde sie anders damit umgehen.

Ich für mich kann im allgemeinen besser mit so Situationen umgehen, wenn man mir klipp und klar sagt, ich mag dich oder sowas, aber ich kann damit nicht umgehen.

Ich selbst kann auch nicht unbedingt mit der Leidensgeschichte anderer umgehen. Da versuche ich mich dann aber auch klar zu distanzieren. Was mir allerdings auch nicht immer leicht fällt. Wobei ich aber halt eh einen anderen Bezug zu psychisch kranken Menschen habe und nunmal auch recht vielen begegne. Aber ich gehe Menschen die extrem damit umgehen eher aus dem Weg. Vorallem um mich zu schützen.

Sprich ehrlich währt am längsten. Und mir, und ich kenne noch andere Betroffene denen es ähnlich geht, ist es lieber, wenn man mir sagt, das man da quasi nicht mit reingezogen werden möchte.

Und ich würde mich riesig freuen, wenn ich jemand hätte, der mir wie du ab und an helfen würde, dem Alltagstrott zu entkommen.

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge


Also ich finde dein Verhalten auch okay. Klar könnte man denken, deine Kollegin hat Probleme und du meinst, sie wären nicht wichtig genug, um dafür mal über den eigenen Schatten zu springen und dir das anzuhören und dich um sie zu kümmern usw.

Aber was würde es schon bringen, wenn du sagt: "Du kannst immer zu mir kommen, wenn was ist" und wenn sie dann kommt, dann weißt du nicht was du sagen sollst, dir ist es eigentlich nur zu viel und du fühlst dich total unwohl? Das würde sie merken und dann wäre sie wohl nur noch depressiver - Fazit: Du würdest die Lage nur verschlimmern anstatt verbessern, wenn du Hilfe anbietest, die du aber eigentlich nicht geben kannst.

Und dass du gerade bei jemanden mit so extremen Problemen nicht hingehst und fragst "Hey, was ist denn los?", das ist auch mehr als verständlich und wahrscheinlich auch besser so. Wenn sie reden will, wird sie sich schon irgendwie bemerkbar machen.

Allerdings glaube ich auch, dass sie in dem Moment, als sie dir immer erzählt hat, dass sie früh zum Arzt muss etc., eben genau das getan hat. Das wirkt zumindest auf mich so, als ob sie dir mehr erzählen wollte und aber auch nicht wusste, was und wie viel sie sagen soll. Aber deine Reaktion war völlig richtig, denn du hast nach ein paar mal nachgefragt und sie hat dir dann sicherlich auch genauso viel erzählt, wie sie wollte. Natürlich kann man das nie genau wissen - wer weiß schon, was in ihr vorgeht!

Aber ich finde auch definitiv, dass du nicht weiter nachhaken solltest, wenn du dich nicht wirklich auch so fühlst, als ob du ihr wirklich helfen könntest. Zumal sie ja eben keine wirklich enge Freundin ist. Wenn sie das wäre, dann würdest du bestimmt auch anders darüber denken und falls sich aus irgendeinem Grund eine tiefere Freundschaft anbahnen sollte, dann kannst du ja immer noch mit ihr reden - vorausgesetzt, ihr BEIDE wollt das auch.

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» Wunky » Beiträge: 487 » Talkpoints: -0,18 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Wenn man ehrlich zu sich selber ist und angst hat mit der Situation überfordert zu werden, dann finde ich es richtiger, dass man eine Bekanntschaft so lässt wie sie ist und in der Situation keine Hilfe aufdrängt. Menschen mit Problemen, wollen auch mal nur normal behandelt werden, das dient auch zur Eingliederung ins normale Alltagsleben.

Ich habe zwei Situationen in meinem Leben gehabt, in denen es sich ergeben hat, dass ich geholfen habe. Wie geschrieben, es hatte sich so ergeben, es war nicht der ausdrückliche Wunsch von mir.

Das eine war unser Pflegesohn, der anfänglich für ein paar Wochen zu uns ziehen sollte, in denen seine Mutter eine Therapie machen wollte, daraus sind fünf Jahre geworden. Wir hatten uns als Familie entschieden uns dieser Aufgabe zu stellen. Aber ehrlich, wenn es von Anfang an geheißen hätte, der Junge zieht für fünf Jahre zu uns, hätten wir es nicht gemacht, so war es aber die Situation, dass er immer öfter und immer länger bei uns war und dann das eine das andere ergab.

Das andere war eine Nachbarin, die schwer erkrankte und für die ich anfänglich erst nur einkaufen gegangen bin, da betreute ich sie mit anderen Ehrenamtlichen bis zu ihrem Tot.

Beide Situationen haben mich gelehrt, dass ich es schaffen könnte, wenn es nötig ist mich um andere Menschen und ihre Probleme zu kümmern, aber beide Situationen haben mich auch gelehrt, dass man nein sagen muss zu sich selber, um noch ein eigenes Leben zu haben.

Heute bin ich ein Stück egoistischer geworden, ich springe nicht mehr sofort auf und biete meine Hilfe an, ich sage mir es gibt noch andere Menschen, die mir wichtig sind und das ist meine Familie und die kommen nun für mich zu erst, die Probleme der anderen können einen selber nämlich ganz schön erdrücken.

Eine Sportskollegin hatte mir mal vorgeworfen, ich würde mich den Problemen nicht stellen, die wusste nichts von unserem Pflegesohn und der Nachbarin. Ich wäre egoistisch, weil ich von den Krankheiten anderer in meiner Freizeit nichts hören will, sie kann stundenlang über Krankheit reden und wer nun schon wieder was hat und ob sie das eventuell auch bekommt. Ja, ich bin egoistisch, ich mag nicht mehr über die Krankheiten anderer hören, sie tun mir Leid, aber jeder hat das Recht trotz Krankheit auch mal von was anderem zu hören.

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» akasakura » Beiträge: 2635 » Talkpoints: 1,50 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Das ist in der Tat ein sehr schwieriges Thema, zumal wir Schreiberlinge hier ja keine genaue Vorstellung von Dir und deiner Arbeitskollegin sowie von Eurem Verhältnis zueinander haben.

Aber ich versuche es mal von der Seite aufzuwickeln. Ich selber habe mir auch mal Arme und Beine aufgeschnitten, mir gings ziemlich schlecht. Viele Leute haben das ignoriert, einige haben mich auch darauf angesprochen. Und ich sage es Dir, wie es bei mir war. Ich wollte das nie, dass mich Leute darauf ansprechen, von denen ich weiß, dass sie im Prinzip nicht helfen können, dass sie entweder nur aus Neugier oder aus dem Bedürfnis helfen zu müssen, gefragt haben. Ich empfand das immer als sehr lästig, aufdringlich und enorm unangenehm. Habe dann auch nie die Wahrheit gesagt, wenn ich gefragt worden bin oder ich habe gleich das Thema gewechselt, bin gar nicht darauf eingegangen.

Ich habe mir die Leute immer selber herausgesucht, mit denen ich reden wollte. Und vor allem wann ich reden wollte. Ich habe auch gute Freunde abgewiesen, als sie mir "helfen" wollten. Ich habe eher den Leuten vertraut, die nichts zu meinen Narben gesagt haben, obwohl sie sie gesehen haben. Damit meine ich keine Ignoranten, sondern Leute, die mich genommen haben wie ich bin, Leute, die mir Luft gelassen haben, mir aber trotzdem irgendwie das Gefühl gaben, dass sie versuchen mich zu verstehen. Auch, indem sie mir die Zeit ließen, die ich brauchte und in dem sie mir einen ganz normalen Alltag ermöglichten.

Eine gute Freundin wollte mir mal unbedingt einen Psychologen aufschwatzen, weil sie wahrscheinlich keine Ahnung hatte, was sie tun sollte und sich überhaupt nicht in mich hineinversetzen konnte. Das habe ich vehement abgelehnt, da bin ich auch fast böse geworden, habe sie noch mehr zurückgewiesen, als jeden anderen, weil mir das einfach zu nahe ging, als ich selbst noch nicht bereit für sowas war. (Auch nie geworden bin.) Das kann wahrscheinlich keiner richtig nachvollziehen, der schon einmal in diese Lage gekommen ist, aber mit zu viel falsch eingesetztem Engagement kann man viel Schaden anrichten in Sachen Vertrauen.

Ich denke, dass Deine Kollegin tatsächlich in der Lage ist, sich Hilfe zu holen. Ich denke auch, dass es wahrscheinlich nicht viel bringt, wenn Du sie direkt ansprechen würdest. Zumal es Dich wirklich nicht unbedingt etwas angeht, sie wird sich Rat von Dir suchen, wenn sie Rat von Dir will, denke ich. Wenn Du sagst, dass sie Dir bereits von ihrem Arzt erzählt hat, kann es gut möglich sein, dass sie Dir bereits gut vertraut und dass sie Dir irgendwann mal Genaueres erzählt. Das ist schon ein großer Schritt, den sie auf Dich zu wagt. Das erzählt man niemandem, in den man kein Vertrauen hat. Ich könnte mir vorstellen, dass Du eben gerade deswegen, weil Du sie noch nicht direkt damit konfrontiert und eingeengt hast, ihr Vertrauen ein Stück weit für Dich gewonnen hast.

Du hast ihr ein Stück Normalität ermöglicht und das ist ganz gut für sie. Ich würde erst einmal so weitermachen. Vielleicht kommt irgendwann der Zeitpunkt, wo Du merkst, dass es jetzt ok wäre sie anzusprechen, aber bis dahin würde ich nichts überstürzen und nicht allein aus Anstand oder Mitleid handeln. Sowas braucht viel Fingerspitzengefühl, da ist es manchmal besser, einfach abzuwarten. Kommt Zeit, kommt Rat. :)

» Mandragora » Beiträge: 1763 » Talkpoints: 0,49 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Ich würde dein Verhalten niemals als ignorant bezeichnen. Ich denke immer, dass jemand, der Hilfe braucht, sich melden kann, wenn er die Hilfe bei mir suchen möchte. Als Hilfesuchender hat man ja quasi die freie Auswahl, wem man sich anvertrauen möchte und ich gehe davon aus, dass die Leute von sich aus signalisieren sollen, wenn sie sich mit ihrem Problem an mich wenden möchten.

Was ich allerdings nicht leiden kann sind die Leute, die hoffen, dass man immer nachfragt und mit einem "bitte, bitte frag mich"-Schild auf der Stirn herumlaufen und immer nur Andeutungen machen, damit man dann automatisch nachfragt und sie endlich erzählen können. Irgendwie wirkte dieser Hinweis deiner Kollegin, dass sie jeden Tag zum Arzt geht, auf mich so, als wollte sie damit eine Andeutung machen, die du dann aufgreifen sollst, um weiter nachzufragen.

Ein weiterer Aspekt, den ich hier sehe, ist euer Verhältnis. Ihr seid "nur" Kolleginnen und ich persönlich bin der Auffassung, dass man nicht mit jedem befreundet sein muss. Ich habe ein paar wirklich gute Freunde, für die ich wirklich fast alles tun würde. Und natürlich lerne ich auch häufiger neue Leute kennen, aber bei den wenigsten Leuten bin ich an einer tiefgehenden Freundschaft interessiert. Manche Leute bleiben dann einfach Kommilitonen, Kollegen oder schlichtweg Bekannte und bei diesen Leuten möchte ich dann meistens auch nicht in tiefgehende psychologische Probleme hineingezogen werden, weil ich denke, dass man solche Dinge mit seinen guten Freunden oder mit seinem Therapeuten besprechen sollte. Es gibt natürlich auch Leute, die Distanzgemindert sind und ihre Probleme der halben Welt erzählen, ob die anderen wollen oder nicht. Und auf so etwas habe ich einfach keine Lust.

Ich kann dich gut verstehen, wenn du sagst, dass du keine Lust auf ihre ganzen Probleme hast. Sie scheint ja durchaus Hilfe zu bekommen, zumindest von ärztlicher Seite, mit Sicherheit auch von therapeutischer Seite. Ich denke, dass man einen gesunden Mittelweg zwischen übertriebenem Gutmenschentum und einer unangenehmen Ignoranz entwickeln sollte.

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» Cologneboy2009 » Beiträge: 14210 » Talkpoints: -1,06 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


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