Arbeiten mit Behinderung?
Ich bin 27 Jahre alt, Mutter von 2 gesunden Jungs und arbeitswillig. Ich habe seit Geburt eine rechtsseitige Muskelverkrampfung mit Sehnenverkürzung, das bedeutet, dass meine Beine nach innen stehen und X-förmig sind. Nach Operationen und jahrelanger Krankengymnastik und eine Menge Kraft, die mich das gekostet hat, werde ich sogar von Erwachsenen nicht ernst genommen und verspottet. Ich stehe bei weitem darüber, nur denke ich, dass sowas heutzutage nicht mehr sein muss. Es darf doch jeder so sein, wie er will und die Menschen mit Behinderungen haben sich das bestimmt nicht ausgesucht.
Das fing schon in der Schule an, meine Mutter hatte damals Schwierigkeiten damit, mich auf eine normale Grundschule zu bekommen, obwohl es nachgewiesen war, dass es "nur" eine körperliche Sache ist, weigerte sich der damalige Schulleiter, mich aufzunehmen. Nach Briefe an höhere Instanzen musste er mich dennoch aufnehmen. In der Berufsschule "äfften" mich die Mitschüler nach, indem sie die Beine so stellten wie ich und losliefen. Und diese Mitschüler hatten bereits ein Alter von mindestens 17 Jahren erreicht und waren teilweise schon Mütter. Ich habe einen Realschulabschluss und eine Berufsausbildung als Kinderpflegerin.
Mit 15 Jahren wollte ich dann den Führerschein für ein Mofa machen, meine Mutter war einverstanden und der Lehrer nahm mich in den Kurs auf. Nach mehreren Stunden ereignete sich ein Unfall, an dem ich NICHT beteiligt war. Trotzdem warf mich der Lehrer aus dem Kurs mit der Begründung: Da ich ja schon eine Beeinträchtigung hätte, möchte er nicht, dass ich bei ihm den Führerschein mache.
Mit einem Alter von 18 möchte jeder einen Autoführerschein machen, um ungebunden und mobil zu sein. So auch ich. Ich ging zum Arzt, der mir ein Wisch schrieb, dass gegen das Führen eines Automatikfahrzeugs nichts einzuwenden sei. Dann musste ich zu einem Neurologen. Dieser ließ mich auf einem Bein stehen, was ich nicht sehr lange durchhielt und ich musste durchgehend das Fußgelenk bewegen und den Fuß ständig hoch und runter machen. Nachdem er mir an die linke Brust, dann an die rechte Brust packte, mit der Frage,ob ich an der linken mehr spüre, als an der rechten, kam er zu dem Schluss, dass ich kein Automatikfahrzeug fahren dürfe. Und das Absolvieren eines angemessenen Führerscheins ist mit enormen Kosten und einem sehr großen und langwierigen Aufwendungen verbunden.
Bei der Beantragung eines Ausweises, wurden mir 30% bescheinigt (vor 10 Jahren), das ist nicht viel, aber trotzdem gestaltet sich alles, was man vorhat, als schwierig. Laut Aussage des Beamten habe ich kein Anrecht auf Vergünstigungen, da dies erst ab 50% möglich wäre. Er sagte mir ins Gesicht: Sie sind nicht behindert genug, um positiven Nutzen draus zu ziehen.
Bei Vorstellungsgesprächen muss man sich komischen Blicken und seltsamen Äußerungen aussetzen. "Es ist nicht möglich, Behinderte einzustellen, weil es abschreckend wirkt und der Eindruck entstehen könne, dass die Intelligenz und der Verstand nicht dem Normalen angepasst sei", ist zwar höflich ausgedrückt, aber dennoch beleidigend.
In einem Supermarkt begann ich, Paletten in die Regale zu räumen, körperlich war es anstrengend, aber ich habs durchgezogen und war unendlich stolz auf mich. Bis im Sommer der Leiter dieses Marktes anrief und mir etwas von "Sommerflaute" und "Sommerloch" erzählte, dass er sich melden würde, wenn er meine Person wieder benötigt. 2 Wochen später fand ich meine Lohnsteuerkarte ohne jegliche Mitteilung im Briefkasten. Der Leiter war für mich nicht mehr zu sprechen, aber eine ältere Dame, die sich um die Mitarbeiter liebevoll kümmerte, erklärte mir mit traurigem Gesicht, dass man mich so entlassen hätte, aus Angst, wenn wirklich Personal eingespart werden müsse, ich würde dann von meinem Sonderrecht als Behinderte Person, Gebrauch machen. Also: Weil ich eine Behinderung habe und damit auch Rechte, lügen die mir was vor, um mich los zu werden. Ich war sehr enttäuscht.
Ich dachte immer, dass die Firmen eine gewisse Anzahl an Behinderten Menschen beschäftigen müssen, aber entweder, ich finde sie nicht oder ich habe die ganze Zeit falsch gedacht. Ich möchte kein Mitleid, ich möchte nur mal darauf aufmerksam machen, dass sich niemand selbst gemacht hat und niemand hat sich sein Leben so ausgesucht, wie es ist. Jeder versucht nur das Beste daraus zu machen. Behinderte Menschen wären gerne "normal", aber sie versuchen sich damit abzufinden und wenden jeden Tag aufs Neue, Kräfte auf, um zu versuchen, einem "normalen" Leben nachzugehen.
Dazu gehört auch die Arbeit. Einer behinderten Person sollte auch die Möglichkeit gegeben sein, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
Wie seht ihr das?
LG
Also ich kann mir schon vorstellen, dass du es mit einer sichtbaren Behinderung nicht leicht hast. Ich persönlich finde auch, dass die Not der Behinderten Menschen, die arbeiten gehen und ihren Job nicht verlieren wollen, auch oft ausgenutzt wird. Wir haben hier eine Gärtnerei in der mehrere Behinderte Menschen bei Wind und Wetter von morgens bis abends arbeiten und die Gruppenleiterin und Aussichtsperson geht mit den um, wie mit Bescheuerten. Dabei sind das ganz nette und sehr eifrige Leute.
Tatsächlich sollte es so sein, dass Firmen behinderte Menschen einstellen müssen. Allerdings werden sie in der Regel nicht zugeben, dass sie einen deswegen ablehnen. Ich arbeite in einem Büro und dort würde man schon Menschen einstellen, die körperlich behindert sind, aber bei uns bewerben sich keine .
Ich weiß auch, dass ich beim unterschreiben meines Arbeitsvertrages nochmal darauf angesprochen wurde, es ruhig anzugeben wenn ich behindert sein sollte. Das hat was damit zu tun, dass die Firmen steuerliche Vorteile haben, wenn sie behinderte Menschen einstellen. Aber ob das wohl erst ab einem bestimmten Behindertengrad gilt, weiß ich nicht genau. Aber versuch doch mal an einen Bürojob zu kommen. Z.B in einem Serviccenter mit telefonischer Beratung, da werden die Firmen bestimmt nichts dagegen haben dich einzustellen (soll nicht heißen, das du dich verstecken sollst, aber du wills ja auch Arbeit finden). Und mit der Zeit lernen die Dich ja kennen und wissen, dass du "normal" tickst.
Was mich aber doch wundert ich der niedrige Grad deiner Behinderung. Kann man das nicht anheben lassen. Ich habe einen Bekannten, der „nur“ Koordinationsprobleme mit einer Hand hat (die man aber nicht merkt) und der hat 50% im Behindertenausweis. Er arbeitet auch ganz normal und fährt Stapler, nur das er den mit der anderen Hand rangiert, weil er das mit der linken nicht so gut kann.
Erstmal finde ich es toll, dass du so kämpfst obwohl es dir nicht leichtfällt. Und außerdem kann ich dir sagen, dass ich den ein oder anderen Punkt durchaus nachvollziehen kann. Ich bin zu 40% behindert, auch rein körperlich und keineswegs geistig beeinträchtigt. Ähnlich wie bei dir also. Ich kann mir gut vorstellen, dass du bereits aus der Schulzeit eine gewisse Stärke gewonnen hast.
So, nun Folgendes: Wegen deiner Behinderung darf dich niemand nicht-einstellen. Jedenfalls nicht mit dieser Begründung (sicherlich wirst du trotzdem viele Absagen bekommen die dann auf etwas anderes Verweisen, was aber nicht der echte Grund ist). Auf höflich formulierte Absagen könntest du dich rein hypothetisch einklagen, aber ich persönlich würde es nicht darauf anlegen.
Dann zu den Entlassungen: Alle Boni, also auch der besondere Kündigungsschutz, gelten erst für Schwerbehinderte, also ab 50%. Nur Schwerbehinderte sind "unkündbar" (quasi jedenfalls), und (übrigens nur größere) Betriebe müssen nur eine Quote an Schwerbehinderten einstellen. Leute wie wir beide, die "nur behindert" sind haben da einfach gar nichts mit zu tun. Wie der Mann vom Amt schon gesagt hat, lapidar ausgedrückt, so behindert bist du nicht, dass du vom Sozialstaat bevorteilt werden kannst um dies wieder auszugleichen.
@Naffi
Die größeren Betriebe bekommen keine "Steuervorteile" dadurch, sondern sie entgehen damit bloß einer Strafzahlung, die sie sonst nämlich leisten müssten, wenn sie diese Quote nicht erfüllen würden. Außerdem ist man als Schwerbhehinderter sowieso angehalten, dem Betrieb unverzüglich bei Unterschreibung des Arbeitsvertrages über die Schwere der Behinderung zu unterrichten, da dieser eventuell auch Umbaumaßnahmen treffen muss (beispielsweise behindertengerechte Toiletten o.ä.). Dies trifft jedoch eben nur bei Schwerbehinderten (also ab 50%) zu, nicht eben bei den hier angesprochenen 30%. Wenn man sie nicht sowieso sehen würde, wäre Diana nicht mal verpflichtet, ihren Arbeitgeber über ihre Behinderung zu unterrichten. Nur bleibt dies bei einer sichtbaren Behinderung ja leider nicht aus.
Aber eventuell wäre eine neue Untersuchung als Begutachtung für dich wirklich angemessen? Das lässt sich aus der Ferne natürlich schwerlich beurteilen, aber wie du sagst wurde dir deine letzte Bescheinigung vor 10 Jahren ausgestellt, also mit 17-18 (schätze 18? Da musste ich jedenfalls auch hin), wo du ja noch nichtmal ausgewachsen warst, was bei Frauen ja häufig erst mit 20, 21 der Fall ist. Eventuell besteht also auch bei einem anderen Arzt die Chance, dass er die Schwere deiner Behinderung fachmännisch richtig beurteilt und du dann zumindest einige "Privilegien" bekommst, die dir ausgleichenderweise zustünden. Aber wie gesagt lässt sich das aus der Ferne natürlich schwer beurteilen.
Danke für eure informativen Antworten. Ich werde mal versuchen, eine neue Untersuchung bei einem Facharzt zu veranlassen. Wollte mal einen neuen Antrag stellen, auf Feststellung des Grades, oder sowas, meine Ärztin meinte, dass ich gute Chancen hätte, dass der Grad erhöht wird, da ich mittlerweile zwei Schwangerschaften hinter mir habe, die das ganze verschlimmert haben könnten, zumindest von der Wirbelsäule her.
Ich wollte mit diesem Thema nur mal klar stellen, dass wir nicht weniger wert sind und durchaus in der Lage sind, einiges zu leisten. Und wenn wir es mal genau nehmen, leisten wir ohnehin schon mehr, als gesunde Menschen, weil uns das Leben nunmal nicht so einfach gemacht wird.
Aber die Gesellschaft ist das größte Problem, man muss schön, schlank und ohne Makel sein, ist das nicht so, gehört man nicht dazu. Man könnte denken, ich sei frustriert oder sowas, aber dem muss ich widersprechen, ich ärgere mich nur darüber, wie man Menschen so aufspalten kann.
Es gibt Menschen, die eine krumme Nase haben, oder fülliger sind, aber dies bedeutet doch nicht gleich,dass sie den gestellten Aufgaben, die die Firma hat, nicht gewachsen sind. Ich finde es unfähr, Menschen auf ihr Aussehen dermaßen zu reduzieren.
Es ist schade, dass Arbeitgeber lügen, nur um den behinderten Menschen einen dämlichen Grund zu nennen und ihr eigenes Gewissen zu bereinigen, aber ich bin fest davon überzeugt, dass es auch Arbeitgeber gibt, die es gut meinen und solchen Menschen eine Chance geben.
Sollte jemand eine Firma in Dresden kennen oder bestenfalls eine Kindertageseinrichtung für Behinderte kennen, bitte melden. (ich hab ja Kinderpflegerin gelernt und war als Tagesmutter tätig)
LG
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