Wieso neigen Menschen zu Fanatismus?
Ich frage mich seit längerer Zeit, wieso so viele Menschen zu Fanatismus und Radikalismus tendieren. Ich sehe es immer wieder, wie bestimmte Gruppen sich plötzlich abgrenzen und richtig feindlich gegenüber anderen Gruppen werden. Sie entwickeln dabei zum Teil fast schon eine Art Größenwahn, indem sie sich für gut und alle anderen Menschen für minderwertig halten. Natürlich muss es nicht immer so in einer extremen Form geschehen, und doch fällt es mir immer wieder auf, wie Menschen intolerant sind und einander grüppchenweise aufgrund von Geschmacksunterschieden oder einem unterschiedlichen Identitätsgefühl nieder machen.
Es fängt bei relativ harmlosen Dingen an. Beispielsweise gibt es Rockmusikhörer, die sehr feindlich gegenüber Hip-Hop-Fans werden, und umgekehrt. Es gibt Apple-User, die sich über die Nutzer anderer Systeme lustig machen. Gymnasiasten schimpfen auf Hauptschüler und Hauptschüler auf Gymnasiasten. Männer verbreiten Vorurteile über Frauen und Frauen schimpfen auf die angebliche Schlechtigkeit aller Männer. Linkshänder beschimpfen Rechtshänder, die ihnen gar nichts getan haben, als intolerant. Hermaphroditen feiern sich als neue Evolutionsstufe, die höherwertig als eingeschlechtliche Menschen sei. Menschen mit dem Asperger-Syndrom denken zum Teil dasselbe und bezeichnen Menschen, die nicht so sind, wie sie, als krank. Und es gibt Homosexuelle, die daraus, dass sie viele Jahrzehnte diskriminiert wurden, nichts gelernt haben, und nun ihrerseits Heterosexuelle diskriminieren.
Das sind nur ein paar wenige Beispiele, die nicht aus der Luft gegriffen sind, sondern die ich selbst erlebt habe! Anmerken sollte ich vielleicht noch, dass es nicht immer nur eine Gruppe ist, die die andere diskriminiert, sondern gewöhnlich auch noch eine genau umgekehrte Gegentendenz existiert. Außerdem sind natürlich nicht alle Angehörigen einer Gruppe fanatisch, aber eben manchmal doch erschreckend viele.
Nun frage ich mich: Wieso können viele Menschen nicht einfach tolerant sein? Wieso muss man Menschen, die anders sind, diskriminieren, angreifen oder sie zumindest geringschätzen? Ist es nicht absolut absurd, dass Gruppen, die selbst diskriminiert werden, ihrerseits selbst genau so handeln, wie die Leute, die sie für dieses Handeln kritisieren?
Ich möchte hier jetzt gar keine Wertung abgeben, ob irgendeine Gruppe mehr Recht habe, als eine andere. Es soll mir auch nicht darum gehen, Gruppen zu bewerten. Mir geht es allein um die Frage, wieso Menschen Andersartiges, das ihnen gar nichts tut und das sie gewöhnlich nicht einmal etwas angeht, anscheinend unbedingt fanatisch ablehnen und sogar angreifen müssen? Vor Allem auch, wieso sie plötzlich nur ihr Tun für gut und ihre Existenz für außerordendlich wertvoll halten und alles andere für wertlos?
Habt ihr soetwas auch schon einmal erlebt? Was denkt ihr über die gesamte Sache?
Tja, mit einem guten Feindbild geht halt alles einfacher. Das wissen alle Politiker und Diktatoren schon seit langem. Ein Feindbild verbindet und schweißt zusammen.
Neben diesem Gruppeneffekt entwickeln aber auch einzelne Personen Feindbilder. Aus meiner Sicht ist das der Fall, wenn Leute Fehler nicht bei sich selber suchen wollen, sondern lieber anderen die Schuld geben. Das ist ja auch viel bequemer und kommt daher einem entgegen.
Zu dem Thema gibt es ja meterweise soziologische und psychologische Abhandlungen und das zeigt ja schon, dass es nicht so einfach ist darauf eine Antwort zu finden.
Ich denke zum Beispiel, dass es viel mit der Persönlichkeit zu tun hat, ob man sich einer Gruppe anschließt und das gemeinsame Feindbild übernimmt oder ob man deren Vorurteile erst mal hinterfragt und sich sein eigenes Bild macht.
Andererseits denke ich aber auch, dass es zur Entwicklung eines Menschen dazu gehört als Jugendlicher eine Phase der Selbstfindung durchzumachen in der man sich mit Leuten zusammentut, die in der selben Phase sind und einen ähnlichen Geschmack haben. Und während man dabei ist sich selber zu definieren muss man sich eben auch gegenüber abgrenzen und dazu gehören neben den Eltern eben auch andere Gruppen. Nicht umsonst gab / gibt es in fast allen Diktaturen Jugendorganisationen - die greifen nämlich genau dann in das Leben eines Menschen ein, wenn er auf der Suche nach Orientierung ist und bieten vermeintliche Antworten. Also ich mache mir um einen 15 jährigen Metall Fan, der über Hip Hoper herzieht wenig Sorgen, problematisch wird es erst, wenn er mit 25 immer noch so drauf ist.
Außerdem gibt es ja auch das Phänomen, dass Menschen das fürchten was sie nicht kennen. Die meisten ausländerfeindlichen Jugendlichen in Deutschland leben in den Gegenden mit dem geringsten Ausländeranteil. Ein großer Teil der offen homosexuell lebenden Menschen lebt in Städten - die meisten Homophoben leben aber auf dem Land. Und so weiter.
Mein erschreckendstes Erlebnis mit dieser Art von denken war eigentlich recht unspektakulär. Ich war irgendwo in der Pampa in Louisiana was essen, wollte auf die Toilette und sah mich mit "Ladies white" und "Ladies black" konfrontiert. Ich fand das natürlich interessant, weil man ja in den USA nicht oft einfach mal so über ein Stück Geschichte stolpert. Ich habe mir dann natürlich beide Toiletten angeschaut um zu sehen ob es Unterschiede gibt und ich wurde von zwei Damen wirklich ungläubig angeschaut, weil ich als weiße Frau aus der "schwarzen" Toilette raus kam. Das hat mich doch ziemlich erschreckt, wie sehr die Rassentrennung zumindest in den Köpfen dieser Frauen immer noch existiert hat und wie selbstverständlich das immer noch im Alltag gelebt wurde.
Jetzt aber zum Beispiel mit den Homosexuellen, die feindlich und aggressiv gegenüber Heterosexuellen sind und diese diskriminieren: Diese Leute sind ja zumeist schon erwachsen und nicht gerade in der Pubertät. Auch sehe ich es nicht so, dass man sich Homosexualität aussuchen würde. Es ist ja eher so, dass man entweder homosexuell ist, oder nicht. Demnach ist es keine pubertäre Trotzsituation sich anderen homosexuellen Menschen anzuschließen. Und ich denke kaum, dass Heterosexuelle Homosexuellen sonderlich fremd sind, denn ich glaube, dass man immer mit irgendwelchen Heterosexuellen in Kontakt steht, seien es nun Familienmitglieder, Nachbarn oder Kollegen. Und ob wohl man hier pubertären Trotz oder die Angst vor dem Fremden quasi ausschließen kann, jedenfalls in den meisten Fällen, gibt es ja tatsächlich Homosexuelle, die feindlich gegenüber allen Heterosexuellen sind und diese pauschal verteufeln.
Besonders absurd finde ich es ja, wenn eine Gruppe, die lange selbst diskriminiert wurde oder immernoch diskriminiert wird, selbst genauso schlimm wird, wie die Leute, die sie dafür kritisieren, dass sie eben "andersartige" Menschen diskriminieren. Wieso leuchtet diese Absurdität wohl so wenigen Menschen ein?
Ich habe ehrlich gesagt noch nie mitbekommen, dass Homosexuelle in irgendeiner Weise Heterosexuelle diskriminiert haben. Auch nicht in Köln, wo ich öfters unterwegs bin und wo man in manchen Gegenden als Hetero Paar aus dem Rahmen fällt. Von daher kann ich zu dem Thema gar nichts sagen.
Es ist natürliche eine berechtigte Frage, warum eine diskriminierte Gruppe nicht zu dem Schluss kommt, dass jegliche Art der Diskriminierung schlecht ist sondern sich selber in die Rolle der Diskriminierer begibt. Ich frage mich auch schon seit Jahren, warum Menschen, die unter den Nazis in Gettos eingesperrt worden sind in Israel den Palästinensern das gleiche an tun. Vielleicht hat das einfach etwas damit zu tun, dass man als Unterdrückter lernt, dass der Unterdrücker in der stärkeren, mächtigeren Position ist und der Instinkt der meisten Menschen eben das Streben nach Macht und nicht die Abschaffung von Macht ist. Selbst in sozialistischen System, die ja die Abschaffung der Herrschaft von Menschen über Menschen zum Ziel haben, gab und gibt es ja immer Menschen, die in einer mächtigen Position sind und solche die nach so einer Position streben.
Auch ich muss zugeben, dass ich nie bemerkt oder gesehen habe, dass Homosexuelle Heterosexuellen diskriminiert haben.
Meine berechtigte Frage wäre, warum Menschengruppen andere Menschengruppen diskriminieren. Diskriminierung geschieht, wenn andere Gruppen denken, dass nur ihre Gruppe besser ist oder die gegenüber Gruppe falsch ist.
Ich glaube schon, dass die diskriminierten Gruppen wissen, dass Diskriminierung falsch ist, aber dennoch nach dem Motto "Wie du mir, so ich dir" handeln. Ich glaube sogar, dass die Diskriminierer anscheinend nicht wissen, wie es ist, diskriminiert zu werden. Vielleicht dachten die Diskriminierten dasselbe und fangen auch an, wie ihre Diskriminierer zu handeln, damit sie auch in den Geschmack kommen, diskriminiert zu werden. Deshalb bin ich nicht sehr überrascht darüber, dass plötzlich die diskriminierten Gruppe auch anfangen zu diskriminieren.
Aber ich muss schon ehrlich sagen, Feuer gegen Feuer bringt doch nichts, aber Feuer ohne Wasser zu löschen bringt auch nichts. Hierbei habe ich wirklich keine Lösung parat.
Ich denke, bei den heterosexuellenfeindlichen Homosexuellen ist es so, dass man ihr Gerede kaum mitbekommt, wenn man nicht "unter ihnen" ist. Wenn man aber als Homo- oder Bisexueller mit anderen Homosexuellen redet, wie ich das schon manches Mal getan habe, dann fallen bei einigen dieser Menschen öfters Mal Anfeindungen gegenüber Heterosexuellen. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich schon solche Aussprüche wie "scheiß Heten" gehört habe, auch gegen Heterosexuelle, die denen, die da beschimpfen, eigentlich gar nichts getan haben.
Ich denke, viele Leute, die schlecht über andere reden, würden sich niemals trauen, das der kritisierten Person direkt ins Gesicht zu sagen. Stattdessen wird in aller Feigheit lieber hinter vorgehaltener Hand getuschelt.
Das wollte ich hier nur noch einmal anfügen, als Erklärung.
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