Problemfamilien - Bonuskarte für vernünftiges Verhalten

vom 02.02.2009, 21:18 Uhr

In der in Nordrhein-Westfalen gelegenen Stadt Oer-Erkenschwick glaubt man, dass man mit fiannziellen Anreizen Eltern dazu bringen kann sich mehr um ihre Kinder zu kümmern. In einem Experiment will man jetzt prüfen ob die "Bonuskarte für vernünftiges Verhalten" hilft.

Entstanden ist diese Idee in der Diskussion des Jugendpflegers Michael Hess mit einem Schuldirektor. Das Thema: was kann man tun, wenn Kinder nicht pünktlich zur Schule gebracht werden oder aber keine Pausenbrote dabei haben, wenn Angebote von Schule, Jugendamt und anderen Behörden abgelehnt werden, wenn sich Eltern also einfach nicht kümmern. Der Ansatz: Wie würde ein solches Problem in der Wirtschaft gehandhabt? Anreize schaffen; die scheinbar ideale Lösung. Anreize in Form eines Rabattmarkenheftes für vernünftiges Verhalten.

Versuchsweise sollen nun 100 dieser Bonuskarten an die zehn örtlichen Schulen und dreizehn Kindergärten, an den Allgemeinen Sozialen Dienst und das Jugendamt verteilt werden. Pädagogen sollen sie dann an solche problematischen Eltern verteilen und mit ihnen ganz konkrete Vereinbarungen treffen, beispielsweise einen Stempel pro Tag für pünktliches Wecken und zur Schule bringen.

Als Prämie für eine abgestempelte Bonuskarte locken dann Einkaufsgutscheine im Wert von bis zu 100 Euro. Allerdings werden die Behörden mit den örtlichen Händlern einen Katalog erarbeiten, welche Waren für wie viele Stempel erhältlich sind - Alkohol und Zigaretten sind wohl auf jeden Fall ausgeschlossen. Paten waren hier die Abo-Prämien für Zeitungen und Zeitschriften - dort gibt es Dinge, die man zwar nicht unbedingt braucht, aber schon ganz gern besitzen würde.

Damit sich Eltern nicht zwei dieser Bonuskarte besorgen, wird es eine Zentralkartei geben, die alle ausgegebenen Karten erfasst. Zusätzlich ist auch schon klar, dass nur Eltern einbezogen werden sollen, die sich sonst jeglicher Zusammenarbeit entziehen. So soll herausgefunden werden ob diese Problemfamilien mit einem relativ geringen materiellen Ansatz erreicht werden können.

Diese Aktion soll nicht das einzige Mittel der Behörden bleiben und es ist erst einmal ein Experiment. Wann dies startet ist auch noch nicht klar. 16.000 Euro sollen aus einem Landesfördertopf kommen, der Antrag ist gestellt, weitere 7.000 Euro steuert die Stadt bei.

Übrigens: Dass das ganze nicht neu ist, wurde auch hier im Forum schon diskutiert: Punktesystem in Schulen gegen Prämien, aber auch Nachsitzen gegen Geld ist ein Angebot an schlechte Schüler in den USA, in Großbritannien wird in einem anderen Projekt versucht Schulschwänzer mit Geldgeschenken in die Klassenzimmer zu locken. Auch in Deutschland gibt es Debatten was man gegen Schulschwänzer unternehmen kann und sollte (Maßnahmen contra Schulschwänzer in Berlin).

Bleibt abzuwarten, was das Experiment bringt. Aufgeregt wird sich auf jeden Fall schon. So ist zu hören, dass es ja ein nettes Nebeneinkommen für Problemfamilien mit mehreren Kindern sein könnte, andere Gemüter erregt die Tatsache, dass Familien, die sich vernünftig kümmern ja auch nicht belohnt werden. Was denkt Ihr?

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Hallo!

Ich sehe diesem Projekt eher zwiespältig entgegen. Natürlich kann es für die ein oder andere Familie ein Anreiz sein, sich besser um die Kinder zu kümmern. Auf der anderen Seite sehe ich allerdings einige, viel schwerer wiegende Probleme:

Zum einen, das hast du ja auch schon ansatzweise angesprochen: Die Familien, die sich von vornherein richtig und liebevoll um ihre Kinder kümmern, werden damit ja eher "bestraft", da sie keine Belohnung bekommen. Vielleicht werden einige sogar dazu angestachelt, sich nicht mehr so gut um ihr Kinder zu kümmern, um dann ihr Verhalten wieder bessern zu können und so eine Prämie "abgreifen" zu können. Das will ich natürlich keiner Familie unterstellen, aber sein könnte es durchaus, da für Familien, die sich gut kümmern nichts vorgesehen ist.

Zum anderen, und da liegt für mich die noch tiefergehende Schwierigkeit: Ich glaube nicht, dass man das gute Kümmern einer Familie durch Prämien "erkaufen" kann. Denn dazu, dass man sich gut um ein Kind kümmert, gehört ja nicht nur der Äußere Schein, den viele Familien dann vielleicht nur dazu an den Tag legen, um eine Prämie zu bekommen. Schließlich gehört auch der liebevolle Umgang mit dem Kind dazu, auch, oder gerade dann, wenn grade kein Erzieher oder Lehrer, der das ganze beaufsichtigt, in der Nähe ist. Darum halte ich dieses System nicht unbedingt für das Beste, die Eltern zu einem vernünftigen Umgang mit ihren Kindern zu bringen. Aber man wird sehen, was dieses Projekt in der Wirklichkeit bringen wird.

Gruß,
B.

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» B. » Beiträge: 796 » Talkpoints: 2,36 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Ich sehe diese Projekt als extrem unvernünftig seitens der Stadt an. Wieso soll man einen Schwänzer der nicht schwänzt belohnen? Ich bin der Meinung das es hier am Verstand der verantwortlichen mangelt und diese sich eher ein Beispiel an den Schul Sheriffs in München nehmen sollten, dort wird man bestraft was ich als deutlich sinnvoller erachte.

In Sachsen wird bei wiederholtem Verstoß teilweise ein erhebliches Bußgeld gegen die Eltern verhängt. Aber eine Belohnung öffnet Tür und Tor für weiteren Betrug.

» chaoschaos » Beiträge: 2 » Talkpoints: 0,37 »



Hallo!

Ich weiß auch nicht so recht, ob ich das Projekt gut finden soll. Ich finde, dass es selbst verständlich für die Eltern sein sollte, dass sie ihre Kinder in die Schule schicken. Oder eben darauf achten, dass ihre Kinder regelmäßig in die Schule gehen. Wenn ich einen Schulschwänzer zu Hause hätte, würde ich ihn notfalls bis zur Schule bringen, um sicher zu gehen, dass er auch wirklich in die Schule geht.

Ich kann mir vorstellen, dass einige Schüler nun mit Absicht öfter die Schule schwänzen. Gerade um diese Prämie von 100 Euro zu bekommen. Dafür muss man ja erstmal geschwänzt haben, um diese Bonuskarte zu bekommen. Oder habe ich das irgendwie falsch verstanden?

Sicher sind 100 Euro ein ganz guter Anreiz, um noch mehr darauf zu achten, dass die Kinder die Schule auch besuchen. Aber ich finde es unfair den Schülern gegenüber, die immer regelmäßig zur Schule gegangen sind. Ich finde ehr, dass diese Schüler einen Bonus verdient hätten. Schwänzen in dem Sinne noch zu belohnen, finde ich alles andere als gut.

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge



Das Projekt kann man denke ich mal aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Aus der Sicht von vernünftigen Eltern ist es schon ein wenig unfair, Menschen zu belohnen die sich eigentlich nicht um ihre Kinder kümmern und dies dann, wenn für sie so ein Gutschein rausspringt, vielleicht doch tun. Sie hingegen erhalten keine Prämie dafür, dass sie sich vollkommen freiwillig um ihre Kinder kümmern, ohne auch etwas dafür zu erwarten.

Für solche Problemfamilien könnte diese Prämie vielleicht ein Auslöser sein für besseres Verhalten. Aber tun sie dies dann auch aus den richtigen Gründen? Und werden sie das dann auch konsequent durchziehen? Oder sorgen sie gerade einmal dafür, dass die Kinder einfach nur pünktlich zur Schule kommen? Schließlich müssen sie für diese Prämie ihre Kinder nicht besonders liebevoll versorgen, sondern nur gewisse Bedingungen erfüllen, die meiner Meinung nach in einem Rahmen des Möglichen liegen, auch ohne besondere Anstrengungen.

Hat dieses ganze Projekt vielleicht auch irgendwelche negativen Einflüsse auf vorbildliche Familien, die sich extra ein wenig daneben benehmen um dann die Prämie zu erhalten? Ich finde persönlich, dass dieses Projekt nicht wirklich sinnvoll ist und ich vermute, dass es sich wahrscheinlich auch nicht durchsetzen kann. Dagegen fände ich vielleicht ein Behlonungssystem besser in dem alle Familien mit eingebracht werden. Aber dies wäre dann wahrscheinlich einfach viel zu teuer und keiner könnte das finanzieren.

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» Sonea » Beiträge: 189 » Talkpoints: 1,74 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Hallo!

Ich sehe dieses Projekt einfach nicht ein. Warum sollen diejenigen belohnt werden, die es ohne Belohnung nicht schaffen, dass die Kinder zur Schule gehen. Ich denke, es sollten eher die belohnt werden, die es auch ohne diesen Anreiz schaffen und ich denke, dass so noch mehr Schulschwänzer "herangezüchtet" werden. Gilt man als Schulschwänzer bekommt man diese Bonuskarte und wenn man dann wie gewohnt wieder regelmäßig zur Schule geht, bekommt man die Belohnung.

Irgendwie ist dieses Projekt einfach nciht bedacht und man sollte das noch mal sehr gut überdenken. Das ist doch das gleiche, als wenn ich einem Ladendieb einen Gutschein für den Laden gebe, wenn er ein halbes Jahr nicht mehr geklaut hat.

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge


Ich wohne ja nicht in dieser Gemeinde, aber nur mal angenommen ich würde: Unter dieser Voraussetzung ganz hart gesagt:

Unsere Jungs sind sehr gut in der Schule und ihnen würde ein wenig zu spät kommen sicherlich nicht schaden. Von dem Geld das ich bekomme wenn ich sie nach einer Zeit wieder pünktlich zur Schule schicke könnten sie sich dann die heiß ersehnten besonders coolen Sportschuhe kaufen, die wir als 6-köpfige Familie uns normalerweise nicht leisten können.

Das kann ja wohl nicht wahr sein, dass genau so ein Verhalten dann auch noch belohnt wird. Ich persönlich würde es nicht mal für 2 x 100 Euro erlauben, dass die beiden schwänzen oder zu spät kommen, aber es gibt bestimmt viele Eltern mit anderer Einstellung. Ich finde es sollte entweder jede korrekte Familie belohnt werden oder jede "schlampige bzw. uninteressierte" bestraft. Nur jemanden zu belohnen der vorher Fehler gemacht hat halte ich nicht für sinnvoll.

Nur als kleinen Vergleich: Wir hatten unserer Kleinen vorgeschlagen, dass sie jedes Mal wenn sie nicht ins Bett macht einen Stempel bekommt. Nach X Stempeln gibt es dann eine kleine Belohnung. Kommentar des großen Bruders: "Dann mach ich jetzt auch ins Bett, damit ich auch ein Geschenk bekomme. - Oder kriegen wir Jungs trotzdem eines?" Wir haben daraufhin für ordentlich verfasste Hausaufgaben unserer beiden Schmierfinken auch eine Bonuskarte eingeführt - aus dem Grund, damit unsere Kinder nicht ungleich behandelt werden. Es ist irgendwie das gleiche wie mit der Prämie für "Nicht-mehr-Schule-schwänzen".

» Nicky14 » Beiträge: 743 » Talkpoints: 0,09 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Ich kann dieser Idee auch nichts positives abgewinnen. Denn, wie schon mehrfach gesagt, werden die Familien abgestraft, die sich wirklich um die Kinder kümmern. Ich sehe eher das Problem in der Grundsätzlichkeit. Wenn ich jetzt nur wegen der Prämie meine Kinder pünktlich in die Schule bringe, dann wird doch den Kindern schon eingetrichtert, das man nichts macht, wenn man keine Gegenleistung bekommt.

Da sollte eher nach Lösungen gesucht werden, wo man die Kinder reizt. Nämlich das von allen Seiten denen mehr Unterstützung gegeben wird, die sich in ihrer Schullaufbahn wirklich anstrengen. Und da sollte kostenloser Nachhilfeunterricht sinnvoller sein, als irgendwelche Prämien für die Eltern. Oder die Kinder, wo es den Eltern kaum möglich ist ein Pausenbrot zu finanzieren. Das diese in der Schule versorgt werden. Und soweit ich weiss ist das bei uns im Kreis schon am laufen. So das kein Kind in der Schule hungern muss.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


JotJot hat geschrieben: (...) andere Gemüter erregt die Tatsache, dass Familien, die sich vernünftig kümmern ja auch nicht belohnt werden. Was denkt Ihr?

Genau das. Was hat das den für eine Wirkung auf die guten Schüler, die sich vernünftig verhalten und pünktlich in der Schule erscheinen? Ich meine, wenn ein guter Schüler sieht, dass der Kollege für sein Pünktlich sein einen neuen Ipod bekommt und er bekommt nichts was wird er dann wohl machen? Sich vor der Schule noch irgendwo rum treiben damit er von nun an auch zu spät kommt und in das Bonus Programm aufgenommen wird natürlich. Der Lerneffekt ist doch der, dass man belohnt wird, wenn man sich erst mal ordentlich daneben benimmt.

Das Geld das dafür ausgegeben werden wird wäre jedenfalls besser angelegt in Projekten, die Schüler dazu motivieren wieder Spaß an der Schule zu haben. Und mich stört auch dieser Materialismus total, Sachen die man gerne besitzen möchte aber nicht braucht, na toll. Es gibt zum Beispiel gar nicht wenige Kinder, die gerne Fußball spielen oder einen anderen Sport treiben würden und die das nicht können weil die Eltern die Vereinsbeiträge nicht bezahlen können oder wollen. Wenn schon Prämie dann wäre es doch wesentlich sinnvoller solchen Kindern Sport zu ermöglichen, oder ein anderes Hobby das sie gerne ausüben würden.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


JotJot hat geschrieben: So ist zu hören, dass es ja ein nettes Nebeneinkommen für Problemfamilien mit mehreren Kindern sein könnte, andere Gemüter erregt die Tatsache, dass Familien, die sich vernünftig kümmern ja auch nicht belohnt werden. Was denkt Ihr?

Ja, genau da liegt auch mein Problem. Da könnten doch einige auf die Idee kommen, sich absichtlich schlampig zu geben, um dann in den Genuss dieser Bonuskarten zu kommen. Und die Eltern, bei denen Geld knapp ist, die sich aber dennoch zumindest in ihrem möglichen Rahmen gut um ihre Kinder kümmen, ist damit auch nicht geholfen.

Außerdem ist das Ganze doch eher oberflächlich. Dann werden die Kinder meinetwegen pünktlich in die Schule gebracht, bekommen auch ein Pausenbrot (eigentlich ohnehin unvorstellbar, wie Eltern ihren Kindern nichts zu Essen mitgeben können). Aber was läuft dann daheim ab, wo niemand etwas überprüfen kann? Da sitzen die Kinder vielleicht den ganzen Tag vor der Glotze, die Eltern qualmen die Bude voll, die Kinder bekommen nichts annähernd Anständiges zu essen bzw. zu wenig zu essen, etc.

Ich wäre da härter. Wenn man z.B. ständig kein Pausebrot mitbringt, kann man da irgendwann nicht mehr von Vergessen sprechen, sondern von Vernachlässigung des Kindes. Hunger tut weh, zudem wird das Kind ausgegrenzt, wenn Klassenkameraden etwas dabei haben und es selbst nicht. Konzentrieren kann sich ein Kind mit leerem Magen auch nicht auf den Unterricht. Das ist eigentlich so gesehen sowohl physische als auch psychische Misshandlung und in solchen Fällen sollten Eltern verwarnt werden bzw. wenn es nicht besser läuft die Eltern den Kindern weggenommen werden! Es gibt genug Familien, die keine Kinder bekommen können, da verstehe ich nicht, warum man Kinder in solchen Problemfamilien belässt, wo die Eltern deren zukünftiges Leben total verpfuschen.

In der Regel ist für Kippen und Alk auch Geld da, für Essen aber nicht - sprich das Geld müsste doch annähernd reichen, wenn die Eltern verantwortungsvoller damit umgingen. Von solchen "Incentives" halte ich daher nichts.

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» netti78 » Beiträge: 3238 » Talkpoints: 18,35 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


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