Als Nichtwähler rechtfertigen?
Ich frage das einfach einmal ganz provokant, nachdem ich eine hitzige Diskussion mit einem Bekannten hatte. Ich hatte ihm gesagt, dass ich nie wählen ginge, woraufhin er meinte, ich hätte es nicht verdient, in einer Demokratie zu leben, wenn ich die Pflichten nicht wahrnehmen würde. Sein Hauptargument: Wer nicht wählt hat auch nicht das Recht, an irgendwelchen Entscheidungen herumzunörgeln. Außerdem sei man ein Feind der Demokratie, die unter so großen Opfern erfochten wurde, und so weiter.
Das mag ja alles sei, aber könnte man nicht auch über zum Beispiel Nicht-Blutspender in der gleichen Weise herziehen? Oder Leute, die keinen ehrenamtlichen Dienst versehen? Ich meine, ist es nicht meine Sache, für was ich mich entscheide? Wenn ich nicht wählen gehe entscheide ich mich eben dafür, dass ich mich von keiner Partei vertreten fühle. Was ist so verwerflich daran? Bitte erklärt es mir.
Wie alt ist denn Dein Bekannter? Ich kenne diese Haltung eigentlich nur noch von meinen Großeltern. Da war die Einstellung in etwa so, dass jede nicht abgegebene Stimme eine Stimme für die Rechtsradikalen ist. Du hast keine Ahnung, wie ich, als ich wählen durfte an die Wahlurnen gerannt bin, nachdem ich diese Aussage Jahrelang eingetrichtert bekommen habe.
Mittlerweile scheint es jedoch ziemlich egal zu sein, wen man wählt, da im Endeffekt sich sowieso keine Partei an ihre Versprechen hält. Dass Du da ganz aufhörst zu wählen ist verständlich. Jedoch verzichtest Du meiner Ansicht nach damit auch wirklich, an der Regierung zu nörgeln, da Du ja nicht gewählt hast. In diesem Punkt muss ich Deinem Bekannten schon recht geben.
Und zu dem Feind der Demokratie. Das ist eine recht lächerliche Aussage, denn die Demokratie wurde nicht härter oder schwächer erkämpft, wie jede andere Umwälzung in den Staaten. Sei dies nun ein Putsch, eine Revolution oder sonstiges. Eigentlich könnte man sogar soweit gehen und sagen, dass die Demokratie im Verhältnis dazu unter überhaupt keinen Opfern erkämpft wurde. Vielmehr ist sie einfach ein Überbleibsel des zweiten Weltkrieges, der ja nicht aus dem Grund heraus entstand, Deutschland die Demokratie zu bringen . Außer Du bezeichnest die Staatsformen vor 1945 auch noch als Demokratien.
Ob man wählen geht oder nicht ist in der Tat jedem selbst überlassen. Denn auch das Recht nicht wählen zu gehen gehört zu einer echten Demokratie dazu. Aber vielleicht solltest du dieses freie Recht ein bisschen mehr wertschätzen. Und Argumente wie "Jede nicht abgegebene Stimme ist eine Stimme für radikale Parteien" (egal ob nun links oder rechts, wobei die rechten Parteien hierzulande aktiver sind) mag im ersten Moment übertrieben klingen, stimmt aber im Kern. Denn gerade Parteien wie die NPD haben die geringsten Probleme ihre Anhänger zum Gang an die Wahlurne zu bewegen. Und jede nicht abgegebene Stimme erhöht relativ gesehen die Wertigkeit der (für rechts) abgegebenen Stimme!
Das hat nichts mit alt, konservativ oder verbohrt sein zu tun (ich selbst bin 22, würde mich nicht als politisch konservativ oder übermäßig politisch aktiv ansehen), sondern ist einfach nur Realität. Von daher sollte jeder auch wenn er sich mit keiner Partei voll identifizieren kann, lieber das für ihn geringste Übel wählen, als seine Stimme garnicht abzugeben.
Die Vergleiche mit Leuten die keine Blutspender sind oder kein Ehrenamt besetzen, hinken übrigens allein schon durch den Zeitaufwand erheblich. Es ist ein Unterschied ob ich regelmäßig ehrenamtliche Arbeit ausübe oder einmal alle 4 Jahre eine Viertelstunde investieren muss um ein Kreuz auf einem Stimmzettel zu machen. (Im übrigen: Sollte es dir zuviel Aufwand sein, zum Wahllokal zu gehen, hast du in diesem schönen Land sogar die Möglichkeit per Brief zu wählen... )
@JohnDoe: Zum Thema die Demokratie wäre in Deutschland nicht durch eine Revolution oder ähnliches erkämpft worden: Als was würdest du denn das bezeichnen, was in der DDR 1989 passiert ist? Das eine Revolution ohne Ausübung von Gewalt zustande gekommen ist, macht sie sicherlich nicht weniger wertvoll, ganz im Gegenteil! Und ohne Risiko war es für niemanden in der DDR seine Meinung entgegen dem Staat öffentlich kundzutun.
Es ist doch keine Pflicht zu wählen. Die Demokratie fußt doch gerade darauf, dass man das Recht auf freie und geheime Wahlen hat. Das bedeutet aber eben auch dass man das Recht hat nicht zu wählen.
Und ich finde es allemal besser, wenn jemand sagt, mich vertritt keine Partei und ich bleib zu Hause, als sinnlos irgendwo sein Kreuz zu machen und jemanden zu wählen, mit dem man sich nicht identifizieren kann.
Auch das Argument, dass jede nicht abgegebene Stimme, eine Stimme für die Radikalen ist, ist für mich Unsinn. Wenn die etablierten Parteien der Mitte ihre Wähler nicht überzeugt bekommen und die Radikalen Parteien dies schaffen, dann ist es nicht Aufgabe der Nicht-Wähler aus Furcht vor den Rechten und Linken ihr Kreuz bei einer Partei der Mitte zu machen. Viel mehr haben dann vorallem die sogenannten Volksparteien die Pflicht auf das Volk zu hören und durch eine Politikänderung wieder mehr Menschen hinter sich zu bekommen. Es ist eben in meinen Augen auch Demokratie, wenn die Radikalen mehr Leute überzeugen können und eine Mehrheit finden.
Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern oder Berlin sind ja auch nicht gleich kommunistisch geworden, nur weil dort die PDS bzw. Linke mit regiert oder die Regierung toleriert hat. Genauso wenig sind Sachsen, Brandenburg oder Sachsen-Anhalt faschistische Diktaturen geworden, als die NPD mit zum Teil zweistelligen Prozentwerten in die Landtage einzog. Sowas gilt es Rückschlag für die etablierten Parteien hinzunehmen und durch Anpassung der eigenen Politik wieder dafür zu sorgen, die Wähler hinter sich zu bekommen.
Genauso denke ich hat auch jeder Nicht-Wähler eine Recht sich über die Regierung zu beschweren. Ich war bei der letzten Bundestagswahl auch nicht wählen, weil mich keine der großen Parteien, die eine reelle Chance hatten in den Bundestag einzuziehen überzeugt hat. Wenn überhaupt hätte ich meine Auswahl danach treffen müssen, wer noch schlecht ist und wer ein ganz bisschen weniger schlecht nach meiner Ansicht ist. Bei der nächsten Landtagswahl bei uns gehe ich aber wohl wieder hin, da dort auch sehr kleine Parteien eine kleine Chance haben, aber nur wenn mich ein Programm wirklich überzeugt. Deswegen habe ich doch aber trotzdem ein Recht zu sagen, was mir an der Regierung nicht passt.
Na der Rest deiner hinkenden Vergleiche wurde ja bereits kommentiert, ist auch meine Meinung dazu.
Ice-X hat geschrieben:Wer nicht wählt hat auch nicht das Recht, an irgendwelchen Entscheidungen herumzunörgeln. Außerdem sei man ein Feind der Demokratie, die unter so großen Opfern erfochten wurde, und so weiter.
Dass er ein Feind ist würde ich nicht sagen - da gibt`s keinen echten Zusammenhang, man ist nur einfach politikfaul. Desinteresse an bestimmten Dingen ist halt kein Verbrechen und das kann jeder so handhaben wie er will solang er andere dann wenigsten in Ruhe lässt - ist ja meist das Problem, dass gerade die die keine Ahnung haben und nur oberflächlich informiert sind am lautesten losschreien wenn mal was nicht passt.
Das gleiche gilt für`s Nichtwählen - Kritik kann ja jeder äußern, eine Meinung will ja jeder haben und äußern, egal wie konfus sie ist. Ich sehe es eher so: Wer nicht wählen geht darf keinen Ansprcuh darauf erheben ernstgenommen zu werden - ich red ja auch nicht mit Boris Becker über IT Technik bzw. würde dann das Gespräch eher mit einem leichten Schmunzeln in den Mundwinkeln sehen . Hinkt etwas, aber die Essenz ist: Wer nur redet aber nicht handelt oder zu seinen Entscheidungen stehen kann, der ist für mich halt nur ein Dampfplauderer, denn reden kann man viel wenn der Tag lang ist, davon allein ändert sich aber nichts.
Letztendlich ist es für jeden Demokraten wichtig wählen zu gehen, auch wenn die eigene Partei nicht "gewinnt" oder überhaupt am Ende irgendwo vertreten ist. Hier ist es egal ob man nun Volksparteien wählt oder Dorfparteien, da jede Stimme letztendlich eine direkte (finanziell) und indirekte (moralisch) Stütze der "eigenen" Partei ist. Wenn man sich mit keiner Partei identifizieren kann steht es einem zudem immernoch frei seine eigene zu gründen (so schwer ist das nicht) oder in eine Partei die einen noch am ehesten passt einzutreten und aktiv an dieser so mitzuwirken, dass deren Programm vielleicht in die Nähe der eigenen Positionen rückt oder man in dieser Partei mit anderen die eigenen Positionen vertritt und ihnen mehr Gewicht verleiht.
Letztendlich: Ich finde als Nichtwähler muss man sich nicht rechtfertigen, dass kann jeder handhaben wie er will - für Gewissensentscheidungen Rechtfertigungen einzufordern ist sowieso niemals wirklich diskutierbar. Und sie können auch nach wie vor ihren Senf zu etwas abgeben, macht die BILD oder der Opa am Stammtisch ja auch - nur würde ich den nicht mal im Ansatz ernstnehmen, eben wie die BILD oder den meckernden Opa .
Ich gehe immer wählen, weil ich von meinem Recht auf eine politische Meinungsäußerung Gebrauch machen möchte und weil es für mich auch einfach dazu gehört. Aber ich kann jeden gut verstehen der das nicht tut. Denn wenn ich mal darüber nachdenke ist es schon lange her, dass ich jemandem meine Stimme gegeben habe weil er mich wirklich überzeugt hat, meistens ist es doch so, dass ich mich für das kleinere Übel entscheiden muss.
Politiker sind für mich keine besonders glaubwürdigen Menschen und das was vor einer Wahl versprochen wird, wird selten gehalten. Deshalb ist das Argument, dass du als Nichtwähler kein Recht hast dich über Entscheidungen zu beschweren doch ziemlich hinfällig. Denn auch ich als Wählerin bekomme ja nicht das, für das ich meine Stimme abgegeben habe.
Ich kenne viele die mittlerweile nicht mehr wählen gehen, so auch meine Frau. Sie kann sich mit keiner Partei anfreunden und deshalb wählt sie nicht. Ich respektiere das, ebenso auch bei jedem anderen der nicht wählen gehen möchte. Gerade im Zeitalter der Meinungsfreiheit sollte deswegen keiner an den Pranger gestellt werden, oder? Ich schreibe ja auch keinem vor WAS er zu wählen hat.
Ich finde es wichtig, wählen zu gehen. Ich denke nicht, dass ein Nichtwähler ein Feind der Demokratie ist, jedoch vertrete ich die Meinung, dass man sich in diesem Fall nicht über das politische System beschweren sollte. In Deutschland wird ohnehin schon viel zu viel über Politiker gelästert, die meiner Meinung nach überwiegend einen guten Job machen (Ausnahmen bestätigen die Regel). Ich finde es problematisch, wenn die extremen Ränder der politischen Landschaft (rechts ebenso wie links) zunehmend mehr Wähler für sich gewinnen können, unter anderem durch die steigende Politikverdrossenheit.
Ich finde man muss unterscheiden, ob man nicht wählen geht, weil man sich durch keine Partei vertreten fühlt oder weil man keine Lust hat.
Wenn ersteres der Fall ist, sollte man dennoch den Weg zur Wahlkabine auf sich nehmen und den Stimmzettel ungültig machen. (Ja, das sollte dann wirklich jeder machen, der dieses Gefühl hat, dass man sich nur zwischen Pest und Cholera entscheiden kann.) Denn so wird die Wahlaktivität registriert und es wird für die Parteien deutlich, dass es viele Menschen gibt, die keineswegs nicht politisch interessiert sind sondern mit den Programmen und Aktionen der Parteien unzufrieden sind. Jeder der zur Wahl geht und dort seine Stimme ungültig macht ist für Parteien ein sichtbar politisches Wesen, welches als Wähler "eingefangen" werden könnte.
Die Frage, die sich für die Parteien dann stellen dürfte ist: "Wie?" Nein, da werden nicht die Rechten unterstützt, die will man nicht wählen. Nein, da werden nicht die Linken unterstützt, die will man auch nicht wählen. Nein, da werden die "großen Volksparteien" nicht gewählt, denn die haben schon genug in den Sand gesetzt. Nein, da werden auch deren Wurmfortsätze a la Grüne oder FDP nicht gewählt. So teile ich die Meinung, dass man zeigen muss, dass man interessiert ist, jedoch nicht einverstanden mit dem was geboten wird.
Dagegen ist ein Nichtwählen aus Unlust oder Faulheit meines Erachtens schon etwas, was man jemandem vorwerfen kann und wofür sich dieser dann auch ruhig mal rechtfertigen kann. Um diese Leute, die eh nicht zur Wahl gehen, muss sich eine Partei nicht kümmern. Denen ist es ja anscheinend eh egal was passiert. Die nehmen alles hin was kommt. Vielleicht ein wenig überspitzt, aber so wird die Kernidee denke ich klar.
Du hast in Deutschland das Recht, wählen zu gehen. Genauso hast du also auch das Recht, nicht zu wählen. Welches Recht du für dich wahrnimmst, musst du ganz allein entscheiden. Heutzutage kann ich es gut verstehen, wenn jemand sagt, er geht nicht mehr zur Wahl. Die Parteien halten sich sowieso nicht an ihre Wahlversprechen, denjenigen, den man wählt, kennt man meist gar nicht – also fällt es auch wirklich schwer, eine für sich richtige Entscheidung zu treffen.
Wenn jemand sagt, dass die Stimmen der Nichtwähler den Rechtsradikalen zugute kommen, ist da durchaus etwas dran. Die Rechtsradikalen können ihre Wähler zu einem ziemlich hohen Prozentsatz mobilisieren und zur Wahl bewegen. Sie haben also ihre absolute Anzahl an Stimmen. Je weniger „Nicht-Rechtsradikale“ nun also zur Wahl gehen und Ihre Stimme anderen Parteien geben, desto höher ist der prozentuale Anteil der Rechten an den Wählerstimmen. Das sollte mal jeder bedenken, der nicht wählen gehen möchte.
Zur Wahl zu gehen und den Stimmzettel ungültig zu machen, ist völlig sinnlos. Die ungültigen Stimmen erscheinen in keiner Statistik, lediglich die Wahlbeteiligung wird dadurch leicht angehoben. Der Effekt ist aber der gleiche, als wenn man gar nicht erst zur Wahl geht.
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