Kinder arbeitsloser Eltern

vom 17.09.2008, 15:20 Uhr

Ich habe am Wochenende bei Bekannten eine Diskussion mitbekommen, wo jemand seine lange Arbeitslosigkeit mehr oder weniger auf die Tatsache geschoben hat, dass er ein Kind hat. Es ist ein Vater, der nicht für einen Job wegziehen würde, obgleich es in seiner Gegend kaum Jobs für ihn gibt.

Ich habe große Bauchschmerzen dabei ähnliche Haltungen immer wieder zu beobachten (er war nicht der Erste von dem ich solche Argumente und Begründungen hörte), ob nun bei Müttern, die ihr Kind angeblich nicht aus der Umgebung reißen wollen und hier eben nix finden, oder bei Vätern, die sich dadurch einer "fürsorglichen" Vaterschaft brüsten, wenn sie nicht umziehen für einen Job.

Ist das nicht eine verkehrte Welt? Sich für "fürsorglich" zu halten, wenn man den Lebensunterhalt des eigenen Nachwuchses nicht erwirtschaftet? Sind Eltern nicht (fast) unter allen Umständen strikt für sowas zuständig? Müssen sie sich nicht gerade als Eltern besondere Mühe geben quasi immer genügend "Essen" und ein Dach über dem Kopf zu erwirtschaften? Ist es nicht eine verkehrte Welt sogar als Grund das Kind anzuführen, dass man das angeblich nicht tun kann? Auch dann noch, wenn das Kind längst im gehobenen Schulalter und vollkommen gesund ist, oder was es sonst noch für reale Gründe geben kann, sondern einfach nur weil man eines hat?

Mit was für einer Weltsicht werden solche Kinder groß? Können solche Kinder sich in die Härten des Arbeitslebens integrieren, wenn sie doch so sehr erfahren haben, dass es auch ohne geht? Ist da die Gefahr nicht größer, dass sie tatsächlich insgeheim immer glauben werden, der Staat müsse sich um sie kümmern, sie versorgen und füttern?

Es gab einmal eine Zeit, da durfte man nichtmal heiraten, wenn man nicht Erspartes und einen Job nachweisen konnte. Das ist natürlich etwas brachial, aber kann es sein, dass unsere Gesellschaft sich da ein wenig zu stark ins Gegenteil verkehrt hat und es völlig normal ist, dass Familien als Begründung für ihre Arbeitslosigkeit die Kinder anführen? Kann so eine Haltung gut für Kinder sein?

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» Tsunami » Beiträge: 218 » Talkpoints: 26,25 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Sicher ist es nicht richtig nur mit einem Job in der Tasche und einem ordentlich gefüllten Sparbuch heiraten zu dürfen, aber sich dies als Ziel vor Augen zu halten, finde ich gar nicht verkehrt. Auch ich habe in meinem Bekanntenkreis einige Menschen, die sich damit brüsten tolle Eltern zu sein und es für unmöglich befinden, wenn das Kind "nur" wegen eines Jobs aus der gewohnten Umgebung zu reißen.

Was ich an dieser Haltung verstehe und auch richtig finde: in einem gewissen Maße sollte man auf Kinder Rücksicht nehmen. So finde ich es beispielsweise unverantwortlich in einer Gegend Arbeit anzunehmen, in der es keine Möglichkeit gibt, dem Kind Bildung vermitteln zu können. Ebenso würde ich es möglichst vermeiden ein Kind zu einem ungünstigen Zeitpunkt zu "verpflanzen" - beispielsweise mitten im Schuljahr.

Aber das ist wieder ein anderes Extrem, das man sicher problemlos vermeiden kann. Und für die Kinder ist es meist gar nicht so schlimm ihre gewohnte Umgebung zu verlassen, wenn sie die wichtigsten Bezugspersonen dabei haben und andere wichtige Konstanten erreichbar wissen, per Telefon oder später auch Mail. Diese Erfahrung habe ich bisher zumindest bei meinem Kind gemacht.

Tsunami hat geschrieben:Mit was für einer Weltsicht werden solche Kinder groß? Können solche Kinder sich in die Härten des Arbeitslebens integrieren, wenn sie doch so sehr erfahren haben, dass es auch ohne geht? Ist da die Gefahr nicht größer, dass sie tatsächlich insgeheim immer glauben werden, der Staat müsse sich um sie kümmern, sie versorgen und füttern?

Das denke ich in einigen der mir bekannten Fälle auch häufiger mal. Wenn man dort mal den vorherrschenden Einstellungen auf den Grund geht, so höre ich immer wieder: der Staat möchte doch mehr Kinder, also soll er auch dafür sorgen, dass die Familien sich das auch leisten können - und zwar ohne das die Familien ihre Komfortzone verlassen müssten. Wenn überhaupt Arbeit, dann am liebsten Heimarbeit.

Als Begründung wird dann drauf verwiesen, dass früher die Frauen auch nicht arbeiten gehen mussten und sich um die Kinder kümmern konnten. Leider sehen diese Menschen nur ein romantisch-verklärtes Bild, das kaum etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat. Gern wird übersehen, dass beispielsweise in der Großfamilie gelebt wurde, die die persönliche Freiheit der Familienmitglieder ein Stück weit einschränkte, dass sich dort auch nicht die Mutter ausschließlich um ihre Kinder kümmern konnte und den Eingriff anderer Familienmitglieder in die Erziehung dulden musste, dass dort auch jedes Familienmitglied mit anpacken musste, wenn es sich auch sehr selten um eine Tätigkeit außer Haus handelte, die mit Geld entlohnte wurde. So jedenfalls kenne ich das Leben in der ländlichen Großfamilie. Aber auch in der städtischen Familie wird dieses romantische Bild wohl in der früheren Wirklichkeit nicht zu finden sein.

Dieses romantisch-verklärte Bild sehen die Kinder aber nicht. Ich habe durchaus schon von etwas älteren Kindern gehört, wieso man denn arbeiten gehe und dabei vielleicht auch noch weite Strecken fahre, man bekomme doch auch problemlos so Geld. Und das leider mittlerweile mehr als nur einmal. Das lässt doch eher darauf schließen, dass diese Kinder mittlerweile nicht mehr nur denken, das Geld kommt von der Sparkasse, sondern das Geld kommt schon, woher auch immer - aber es kommt.

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Hallo,

kommt drauf an, ich meine wenn die Eltern egal ob (Mutter oder Vater) in einer anderen Stadt einen Job finden bin ich persönlich dafür das man den Job auch annimmt auch wenn es schwer ist. Und ich denke mal für Kinder ist es relativ leicht sich irgendwie zu integrieren und Freunde zu finden.
Dennoch sollte man nicht vergessen das es ja auch eine Sache des Geldes ist den Umzug zu finanzieren, denn nicht immer bezahlt den das Amt.

Das aus Kinder, die mit Eltern aufwachsen die Arbeitslos sind vielleicht später auch nicht arbeiten gehen weil sie es schön finden den ganzen Tag zuhause zu sitzen kann ich nicht bestätigen.
Ich kenne eine (Groß) Familie, die Eltern beide Arbeitslos seid Jahren ich weiß garnicht ob die ihn ihrem Leben überhaupt schon mal richtig gearbeitet haben, aber die 7 Kinder (mittlerweile Erwachsen) von denen sind alles Anwälte und Lehrer.

Also ich bin der Meinung das man nicht sagen kann das wenn die Eltern, Arbeitslos sind das die Kinder es dann vielleicht auch werden wenn sie groß sind.

Gruß

» Sissi1 » Beiträge: 518 » Talkpoints: 9,65 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Ich habe früher ähnlich gedacht wie Du, bis ich erlebt habe, wie heftig ein Umzug auf ein sensibles Kind wirken kann und wie sehr es aus der Bahn geraten kann.

Normalerweise sollte man, wenn man in einem guten sozialen Umfeld lebt und die Kinder gut eingebunden sind ins soziale Netz, einen Umzug tunlichst vermeiden. Wir mussten es damals tun, weil meinem Mann nach kurzer Arbeitslosigkeit (für ihn ein unhaltbarer Zustand) eine fantastische Stelle angeboten wurde. Daher haben wir ziemlich holterdipolter einen Umzug über ein paar 100 Kiometer gewagt. Mein jüngeres Kind war noch klein und kaum betroffen, das große Kind wurde aber gerade eingeschult und hat quasi alles "verloren", aber kaum etwas gewonnen, denn die Mentalität der Kinder hier ist anders als die, die es die ersten Lebensjahre erfuhr.
Wenn man einmal ein eigenes Kind von 7 Jahren im Bett liegen hatte, tränenüberströmt, dass sagt, es hasst die Welt und möchte nicht mehr leben, dann liegt die Forderung nach Umzug nicht mehr so locker auf der Zunge.

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» Karen 1 » Beiträge: 1344 » Talkpoints: 0,40 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Hallo Karen, das hört sich wirklich sehr tragisch an. Doch auch wenn es sich hart anhört: Wäre eine möglicherweise andauernde Arbeitslosigkeit besser gewesen, als ein Kind, das sich hier das erste Mal einer gewissen "Härte" stellen muss, die das Leben nunmal ab und an abfordert? Schließlich hat dein Mann ja nicht absichtlich seinen Job verloren und ist aus Böswilligkeit oder Langeweile oder purer Karrieresucht fürs Ego umgezogen, nicht wahr? Insofern muss man manchmal einfach gewisse Übel gegeneinander abwägen. So ist das nunmal.

Wenn man das Argument hernehmen würde und dann bei einem Jobverlust und einer sagen wir mal Phase von vielleicht bis zu einem Jahr, wo man sich um einen neuen Job in der Gegend bemüht hat, dann das als Standardargument für Familien aktzeptiert wird (was ja zur Zeit durchaus der Fall ist), dann ist das in meiner ganz persönlichen Ansicht einfach nicht akzeptabal.

Da hilft auch ein solcher Fall (der ja auch nicht unbedingt als "Standardablauf" gewertet werden kann) wie du ihn erzählst, wo ein Kind sich an eine neue Umgebung einfach nicht gewöhnen kann, nicht als triftiges Argument. Ich kenne wirklich ein paar Spezialisten, die genau mit dem Anführen solcher Befürchtungen einfach schon zu lange arbeitslos sind und ihre Chancen im Laufe der Zeit entsetzlich verringert haben nochmal jemals richtig einsteigen zu können ins Berufsleben, nur weil sie nicht bereit sind umzuziehen. Ich ganz persönlich finde diese Haltung wirklich daneben. Dauerarbeitslosigkeit deshalb kann es doch dann auch nicht sein, oder?

@JotJot, ja solche Sprüche von Kindern oder Halbwüchsigen solcher Eltern habe ich auch schon gehört. Ich wurde einmal im Job von einem 12jährigen einer bekannten "Joblos-Familie" gefragt, warum ich mir das denn antue, so einen Stress? Sie, also seine Eltern und er hätten keinen Chef, sagte er stolz. Ich bin ja selten sprachlos, aber mir fiel darauf echt grad nix ein. Was sollte man darauf auch erwiedern, ohne der Familie zu nahe treten zu müssen? :)

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» Tsunami » Beiträge: 218 » Talkpoints: 26,25 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Ist jemand von euch in der Schulzeit schonmal komplett aus der vertrauten Umgebung gerissen worden? Ich hab es mit 7 Jahren erlebt. Gerade mal 1 1/2 Jahre Schule vorbei, wo Kinder aus mehreren Orten sich auch erst zusammenraufen mussten und dann kam ich in eine Schule, wo ich niemanden kannte. Ich habe bis zur 10. Klasse nie wirklich dazu gehört. War also über Jahre der Aussenseiter dort. Was zum Teil am gesamten Ort liegt, da man dort allgemein Fremden kaum eine Chance gibt Fuss zu fassen.

Deswegen kann ich diese Haltung auch teilweise verstehen. Selbst für Erwachsene ist es nicht immer einfach sich in einem neuen Ort einzuleben. Ausserdem sind bei solchen Sichtweisen oftmals noch mehr Gründe vorhanden, warum jemand nicht für einen Job umziehen würde.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Leider bedeutet ein neuer Job ganz woanders auch nicht automatisch, dass man den Job behalten kann. Wie oft wird man von heute auf morgen in der Probezeit gekündigt und wie oft muss man sich dann woanders nach einem neuen Job umsehen? Hätte man wirklich etwas festes in der Hand, bei dem man nicht in der Probezeit gekündigt wird, ist es einfach schon besser. Aber ich finde, man sollte durchaus Rücksicht auf solche Dinge nehmen, auch, wenn ich der Meinung bin, arbeiten an sich ist immer besser, als auf staatliche Gelder angewiesen zu sein.

Ein Kind, was von heute auf morgen aus seiner Umgebung gerissen wird, wird es schon schwer haben. Man kann so etwas einfach nicht außer Acht lassen und ich denke, wenn man ein Kind hat oder auch nur in einer Beziehung lebt, ist es etwas anderes, wenn man woanders ein Jobangebot hat, als es eben zu Hause der Fall ist. Eine Alternative könnte sein, eine andere Ausbildung oder eine Umschulung zu erhalten und damit vor Ort zu bleiben. Man sollte sich grundsätzlich informieren, was machbar ist, wenn man nicht umziehen kann/ möchte, und sein Kind nicht allein als Ausrede vorschieben. Man ist nicht dazu gezwungen, in seinem Ausbildungsberuf oder im studierten Beruf zu bleiben, sodass man sich ruhig auch mal nach Alternativen umschauen kann.

Ob sich das Kind so etwas abschaut? Nicht unbedingt. Es kommt darauf an, wie man als Vater/ Eltern mit der Arbeitslosigkeit umgeht und ob man sich um eine neue Arbeit bemüht. Wird aber eher so damit umgegangen werden, als sei es ja ganz normal, arbeitslos zu sein, ist hier die Gefahr eher gegeben, dass das Kind sich daran ein Beispiel nimmt. Andererseits wiederum ließe sich ein Beispiel daran nehmen, dass man sich stets um Arbeit bemüht, man aber nur Rückschläge erleidet. Ein Kind bekommt so etwas auch mit, auch, wenn man versucht, so etwas zu verbergen.

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» *steph* » Beiträge: 18439 » Talkpoints: 38,79 » Auszeichnung für 18000 Beiträge



Wer garantiert einem denn, dass man den in einer anderen Region gefundenen Job nicht wieder verliert? Zieht man dann wieder um, und wieder und wieder? Das sollte man einem Kind doch wirklich nicht zumuten. Ein festes Umfeld ist einfach wichtig. Ich bin auch Mutter und kann das recht gut verstehen. Zwar bin ich hier, wo ich wohne, nicht unbedingt zufrieden und liebäugle sehr mit einem Umzug irgendwann in den nächsten Jahren, aber meinem Sohn zu liebe sollte es einfach sicher sein, dass wir dort, wo wir hinziehen, dann auch bleiben.

Ein Vater kann allerdings als auch Wochenendpendler einer Arbeit nachgehen, wenn die Entfernung nicht überdimensional groß ist. Natürlich sieht er dann seine Familie nicht mehr jeden Tag, was nicht schön ist, aber nach einem Vollzeitarbeitstag hat man ja auch sonst nicht mehr so viel Zeit für die Kinder. Natürlich muss man da auch abwägen, ob es sich überhaupt lohnt. Verdient man so viel Geld, dass Familienwohnung, Zweitunterkunft für den Vater, Fahrtkosten und alles andere problemlos bezahlt werden können, dann lohnt es sich.

Eine alleinerziehende Mutter hat es da natürlich ungleich schwerer und ich kann es verstehen, wenn eine solche ihrem Kind zuliebe nicht umziehen möchte. Eben, weil es keine Garantie dafür gibt, dass sie einen in einer anderen Stadt gefundenen Job auch dauerhaft behält.

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» Jessy_86 » Beiträge: 5456 » Talkpoints: 0,18 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


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