Parlamentswahlen & Präsidentenwahl in der Türkei
Seit Sonntagmorgen finden nun auch in der Türkei Parlamentswahlen, nachdem Neuwahlen vor kurzem beschlossen wurden, statt zu denen die 42,5 Millionen stimmberechtigten Türken aufgerufen sind - insgesamt stellens ich in der Türkei 14 Parteien und über 100 unabhängige Kandidaten den Türken zur Wahl. Man rechnet mit einem Wahlsieg der konservativen islamistischen Partei AKP, der auch der derzeitige türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan angehört. Diese erreichte bei der letzten Wahl einen Stimmenanteil von 34,3 %, den man übertreffen will, mit dem man über 3/4 aller Parlamentssitze errungen hat (in der Türkei gibt es eine 10% Klausel).
Der Grund für die Neuwahlen liegt übrigens in der gescheiterten Wahl des Staatspräsidenten vor 3 Monaten, die das Land tief spaltete: Einmal in ein pro-westliches, modernes Lager sowie das traditionell islamistisch konservative. Das Militär drohte der Regierung mit Widerstand, falls man damals den türkischen Außenminister zum türkischen Staatspräsidenten (wird vom Parlament gewählt) gemacht hätte - der türkische Staatspräsident ist relativ mächtig, und seine mögliche Mitgliedschaft in der AKP ist dem Miltär ein Dorn im Auge, da sie der AKP seit langem eine schleichende Islamisierung des Staates vorwirft und somit das Erbe von Atatürk, der die Türkei in einen westlichen, laizistischen Staat umbaute, zerstören würde.
Allgemein wird bei dieser Wahl, wie erwähnt nur mit der AKP, der Oppositionspartei CHP, der nationalistischen MHP sowie kurdischen Einzelkandidaten gerechnet, da die anderen an der 10% Hürde scheitern dürften. Da viele Türken einen erneuten deutlichen Erfolg, aufgrund der tiefen Spaltung des Landes, der AKP verhindern wollen und deren Anhänger diese noch mehr stärken möchten, wird mit einer sehr hohen Wahlbeteiligung gerechnet. Viele Türken reisen dazu soagr eigens in die Türkei, um ihr Stimmrecht zu nutzen. Während des Wahltages ist in der Türkei der Ausschank von Alkohol verboten, nicht aus Gründen des Galubens, sondern weil man erwartete Eskalationen durch betrunkene enttäuschte Anhänger vermindern möchte.
Der Parlamentssieg der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (Adalet ve Kalkınma Partisi) oder AKP war zu erwarten.Doch es kam ganz überraschend der erdrutschartige Sieg und überwältigende Mehrheit für die Regierungspartei des Recep Tayyip Erdogan. Es ist ein erneuter Triumph des schon totgeglaubten und (bei aller Liebe muss man das noch dazu sagen) einstigen Fundamelisten. Erdogan ist seit 2002 an der Macht in der Türkei, man muß zugeben er hat einiges behutsam verändert und reformiert und wieder auf den hoch ersehnten Europakurs gebracht.
In der Türkei ändert sich alles die AKP hat nicht nur Anhänger aus "religiösen" Kreisen sondern auch aus säkulären Schichten. Die Brennherde sind in Anatolien und die muss man in den Griff kriegen. Auf der einen Seite die alte kemalistische Elite, auf der anderen die religiöse geprägte Mittelschicht. Das wird die Herausforderung für die nächsten Jahre sein. Gleichzeitig beziehungsweise wahrscheinlich ist das auch die Eintrittskarte in die europäische Union. Mit einem Ja zu Erdogan hat die türkische Bevölkerung klar gesprochen, die Mehrheit der Wähler will eine moderne Türkei, mit allen Vorzügen wie Sicherheit oder soziale Absicherung.
Aber die Wähler gaben auch ein deutliches Signal für die Aufnahme der Türkei in die europäische Gemeinschaft. Das war mit der Wahlkonkurenz des Erdogans nicht möglich. Denn gerade die säkuläre Opposition hat in den letzten Jahren nur anti-europäisch operiert. Man setzte bei der Oposition auf die falschen Karten, auf nationalistischen Gestus und auf die angst vor schleichendem Islamismus. Erdogan hat es jetzt besonders schwer, ich beneide ihn nicht um seine Aufgabe. Er muß versuchen einen Ausweg aus der Krise zu finden, die mit der Putschandrohung durch das Militär ihren Höhepunkt erreichte. Hier sind noch viel zu viele offene Fragen.
Wir das Militär überhaupt jemanden wie den Außenminister Abdullah Güll akzeptieren. Erdogan wäre gut beraten nicht einen neuen Streit mit den streng säkulären Kreisen zu entfachen und es zu belassen bei dem ersten Kopftuchstreit. Die europäische Union hat insgeheim gehofft das Erdogan wieder an die "Macht" kommt (wenn man das Militär nicht berücksichtigt) und wir alle hoffen auf sich eine weiter demokratiasierende Türkei.
Heute soll im türkischen Parlament der neue Präsident gewählt werden – Abdullah Gül, dem jetzigen Außenminister von der AKP werden dabei gute Chancen eingeräumt, wenn er auch nicht in der ersten Wahlrunde durchgewunken werden soll. Er könnte nur an einem Wahlboykott durch die Opposition in der Türkei scheitern, jedoch ist das sehr unwahrscheinlich, da die Opposition (MHP) ebenfalls einen Kandidaten aufstellen möchte. Nur die Kemalisten von der CHP kündigten einen Boykott an, diese haben 99 Stimmen – Gül benötigt 367 von 580 Stimmen zur Wahl. Man nimmt an daß er im dritten Wahlgang mit 276 Stimmen das Präsidentenamt gewinnen wird, die beiden vorherigen jedoch durchstehen muss. Der türkische Präsident hat fast nur zeremonielle oder repräsentative Aufgaben – jedoch darf er hohe Beamte ernennen, so z. B. die Mitglieder des höchsten Gerichtshofes.
Die erste Wahl von Gül zum Präsidenten wurde übrigens durch den Wahlboykott der Opposition verhindert.
Wie erwartet fiel Abdullah Gül im ersten Wahlgang durch, er erhielt 341 Stimmen, damit 26 zuwenig. Gül versprach vor der Wahl, die Demokratie und den Laizismus in der Türkei schützen zu wollen. Der zweite Wahlgang soll am Freitag abgehalten werden, im dritten wird er wohl bestätigt werden. Ein kompletter Boykott der Opposition ist unwahrscheinlich, nur die CHP will die Wahl boykottieren, die MHP und DTP wollen eine neue Krise durch einen Boykott vermeiden.
Weitere Ergebnisse
Sabahattin Cakmakoglu (MHP) erhielt übrigens 70 Stimmen, Tayfun Icli (DSP) erhielt 13 Stimmen.
So, Gül ging jetzt ja in die zweite Runde zur Präsidentenwahl um Ahmet Necdet Sezer bald abzulösen, er ist aber wie erwartet wieder gescheitert - demnach wird es wohl erst am 28.08.2007 Gül im dritten Wahlgang durchgewunken werden.
Er erhielt in der zweiten Runde nur 337 Stimmen, also 4 weniger als in der ersten, Sabahattin Cakmakoglu von der MHP kam auf 71 Stimmen und Tayfun Icli von der DSP erhielt 14 Stimmen. Die CHP boykottierte erneut die Abstimmung - diese hat insgesamt 99 Stimmen.
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