Englisch Unterricht: Hip Hop statt Shakespeare

vom 22.09.2014, 02:10 Uhr

Ich bin von 1999 bis 2006 auf ein Gymnasium gegangen. Es war eines mit einem relativ guten Ruf, in einer "guten", bürgerlichen Gegend, wenn man in solchen Kategorien denken will. Andauernd betonte man auch sein angeblich ach wie hohes Niveau.

Wieso ich das schreibe? Nicht, weil ich mich selbst loben will. Im Gegensatz zu einigen selbstverliebten Lehrern weiß ich, dass das nicht gerade intelligent wäre. Nein, ich schreibe das, weil es mich verwunderte, angesichts dieses Selbstbildes der Schule, dass wir selbst im Englisch-Leistungskurs niemals irgendwelche klassische englische Literatur gelesen hatten. Nicht ein einziges Shakespeare-Gedicht, geschweige denn irgendwelche Dramen. Stattdessen behandelten wir im Leistungskurs Hip-Hop- beziehungsweise Gangster-Rap-Songtexte. Und das nicht nur einmal, sondern über die Jahre verteilt mehrere Male.

Ich konnte Hip Hop nie wirklich leiden, deswegen begeisterte mich das nicht sonderlich. Irgendwie fand ich es auch nicht sinnvoll, als Aufgabe andauernd Gangster-Rap-Texte zu übersetzen und entsprechendes Vokabular lernen zu müssen. Wer damals, man glaubt es kaum, noch nicht wusste, was "bitch", "cunt" oder "motherfucker" heißt, der wusste es nach dem Englischunterricht. Außerdem bekamen wir auch noch Vokabellisten mit diversem Hip-Hop-Slang ausgeteilt.

Übersetzen mussten wir Songtexte unter Anderem von Eminem, TuPac und 50 Cent. Ja, da gibt es "Schlimmere", aber trotzdem weiß ich nicht, ob man Texte über Drogen und Schießereien und mit diversen vulgären Wörtern unbedingt Schülern im Englisch-Leistungskurs vorsetzen muss?

Gut im Gedächtnis geblieben ist mir noch die hirnrissige Aufgabe, bei der wir einen Aufsatz schreiben wollten, ernsthaft mit der so formulierten Prämisse: "Warum ich Eminem mag". Ebenso sollten wir selber einen Rap-Text zu irgendeinem vorgegebenen Thema schreiben. Natürlich sollte auch passender Slang eingewoben werden, es sollte ja "irgendwie Hip-Hop-mäßig" bleiben, sagte der Lehrer noch, denn sonst wäre es ja bloß ein normales Gedicht, und das sei ja nicht das Thema.

Als ich den Lehrer dann mal "dreisterweise" fragte, ob wir eigentlich auch mal Shakespeare behandeln, wurde er richtig patzig, und meinte bloß, ich solle doch froh sein, dass wir stattdessen Hip Hop machen würden, das sei nicht so kompliziert, und das würden "wir Jugendlichen" ja wohl mögen. Immer diese Annahme, dass jeder Mensch zwischen 16 und 19 Jahren zwingend Gangster-Rap mögen würde. Das fand ich schon etwas zum Kopfschütteln.

Was haltet Ihr von Gangster Rap im Unterricht, insbesondere im Englisch-Unterricht? Hattet Ihr in Eurem Unterricht auch solche Texte mit den typischen Gangster-Themen übersetzen oder selbst schreiben müssen? Was spricht für die Behandlung solcher Texte, was dagegen? Und was meint Ihr: Selbst, wenn klassische Literatur vielleicht altmodisch ist, ist es dennoch sinnvoll, diese weiterhin im Unterricht zu behandeln? Oder ist eine Anbiederung an die Jugendlichen durch das Verwenden von klischeehaft jugendlichen Texten wirklich notwendig?

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Also Hip-Hop Texte im Englisch-LK kenne ich persönlich überhaupt nicht. Wir hatten komplett andere Themen als die, von denen du berichtest. Beispielsweise mussten wir viel von Shakespeare lesen und analysieren ("Romeo und Julia", "McBeth"), uns wurden amerikanische Klassiker vorgesetzt, die wir dann analysieren mussten (Paul Austen: "Moonpalace" oder "About A Boy" von Nick Hornby) oder eben die unzähligen Reden, die wir analysieren sollten. Unter anderem war die berühmte Rede von Martin Luther King dabei "I Have A Dream" oder beispielsweise die von Kennedy "Ich bin ein Berliner".

Ich glaube es waren auch ein paar Gedichte dabei, an die erinnere ich mich aber kaum noch. Wir wurden auch gedrillt auf Filmanalysen und mussten jede Szene eines bestimmten Filmes ("About A Boy" und später "Kick it Like Beckham") analysieren können. Eine Szene aus dem zweiten Film kam sogar in einer Klausur dran und die Lehrerin war so pingelig und wollte, dass wir auf jedes Detail eingehen also wer wo steht, die Körperhaltung, Gestik, Mimik, Wortwahl, Kameraeinstellungen etc. Wir haben damals im Unterricht das Leben von ethnischen Minderheiten in London thematisiert, sodass der Film sehr gut dazu gepasst hat.

Ich weiß noch, dass ich in der Mittelstufe in der Realschule so einen ähnlichen Mist machen musste wie du ihn beschrieben hast. Da mussten wir an einer Stelle auch mal einen Songtext unserer Wahl übersetzen als Hausaufgabe. Viele haben dann natürlich irgendwelche Übersetzungen aus dem Internet oder aus irgendwelchen Jugendzeitschriften gezogen, aber das hat die Lehrerin gar nicht mitbekommen. Stattdessen hat sie sich gefreut, dass so viele Übersetzungen nahezu fehlerfrei waren. Eine Lehrerin, die ich hatte, war ein sehr großer Fan von den Beatles und von Elvis. Sie hat dann auch sehr oft Songs von diesen Interpreten vorgespielt und dabei die Songtexte vorgelegt, damit wir hinterher darüber reden können, worum es überhaupt ging.

In vielen Songs kam auch Umgangssprache vor, die die Schüler dann irgendwann in den Klassenarbeiten oder in den Hausaufgaben verwendet haben, weil wir eben so oft damit konfrontiert wurden. Das schien sie allerdings zu stören und sie kritisierte dann immer, dass wir nicht ausschließlich formelles Englisch verwenden. Ich meine, wenn in den Texten so etwas steht wie "'cause" oder "coz" anstelle von "because" und sie dann vor der ganzen Klasse betont, dass das dieselbe Bedeutung hat und dass man auch ruhig die Abkürzung verwenden darf, dann sollte sie sich hinterher nicht wundern, wenn die Schüler das so abspeichern und übernehmen.

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» Olly173 » Beiträge: 14700 » Talkpoints: -2,56 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Shakespeare hatte ich in meiner gesamten Schullaufbahn leider gar nicht. Moonpalace allerdings schon, lustigerweise nicht im Leistungskurs, sondern im normalen Englischunterricht. Reden kamen dann wieder gar nicht vor bei uns, weder im normalen Englischkurs, noch im Leistungkurs. Insgesamt hatte ich aber dennoch oft das Gefühl, dass der normale Englischkurs irgendwie anspruchsvoller war, als der vorgebliche Leistungskurs. Jedenfalls mussten wir da nie irgendwelche Vulgär-Texte übersetzen, sondern es ging tatsächlich auch mal um richtige Literatur, wenn auch nur um moderne. Aber das ist ja auch schon mal was.

Was aber das Behandeln von Songtexten im Unterricht an sich betrifft: Ich glaube, dem gegenüber wäre ich gar nicht so extrem abgeneigt. Je nachdem, welche Texte gewählt würden, hätte man auch ein gutes Thema und eine schöne Diskussionsbasis. Mich stört bloß, dass hier ausgerechnet solche vulgären Gangster-Texte voller Schimpfwörter vorgesetzt worden sind. Und zudem, dass nach dem bekloppten Vorurteil "Jugendliche mögen alle Hip Hop" gehandelt und organisiert worden ist. Wie gesagt, wir sollten ja beispielsweise auch einen Aufsatz schreiben, mit dem vorgegebenen Thema, das "Wieso ich Eminem mag" lautete. Und nicht etwa "Was ich von Eminem halte". Als wenn jeder Eminem lieben müsste, ohne Ausnahme. Bei der Fragestellung waren Widerworte ja gar nicht möglich.

Und dann auch noch diese strikt vorgegebenen Rap-Lieder. Es wäre ja nicht einmal möglich gewesen, stattdessen einen Songtext, der einem selbst einfach gefällt, auszuwählen und vorzustellen. Dabei hätte das auch spannend sein können, einfach mal zu sehen, wer was vorstellt, und warum. Welche Gedanken oder Ideale dahinter stehen. Und man hätte wahrscheinlich eine interessante Mischung gehabt, so vielfältig, wie die Leute in der Klasse: Von Pop und Rap über Gothic und Ska bis hin zu Blues und elektronischer Musik. Das wäre spannender gewesen, als nur Rap. Und vor allen Dingen spannender, als schon vorgegebene Texte.

Aber vermutlich hatte der Lehrer auch einfach keine Lust, sich auf die unterschiedlichen Dinge, die die Schüler dann vorstellen würden, einzustellen. Und, oh Schreck, vielleicht wäre tatsächlich auch mal ein geistreicher oder gar gesellschaftskritischer Songtext dabei gewesen. Und nicht diese klischeehaften Ghetto-Gangster-Texte, die wir vorgesetzt bekamen. Die waren ja schon ein Klischee ihrer selbst und hatten mit irgendeiner Gesellschaftskritik bei Weitem nichts mehr zu tun.

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Mein Abitur ist schon etwas länger her und wir haben damals tatsächlich noch den Herrn Shakespeare behandelt, aber und auf Wunsch der Klasse halt auch mit Popmusik beschäftigt. Das ging aber ähnlich nach hinten los, denn uns ereilte zwar kein Hip Hop, das war damals Gott sei Dank noch eine Randerscheinung - aber der Lehrkörper kam dann auf die Idee uns mit der Popmusik seiner Jugend zu nerven. Simon und Garfunkel, Beatles und so ein 60er und 70er Jahre Zeug. Mit dem LSD und Peace Kram konnten wir gar nichts anfangen.

Ich denke natürlich es ist schön, wenn man im Englischunterricht auch Themen aus dem Leben wählt, aber man kann jungen Leuten nun nicht abverlangen, dass sie sich alle für Hip Hop interessieren. Es gibt halt auch andere Strömungen, da würde es eher Sinn machen, vielleicht in verschiedenen Gruppen zu arbeiten.

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» Bellikowski » Beiträge: 7700 » Talkpoints: 16,89 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



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