Ausländer zur Zeit des Nationalsozialismus
Ich lese gerade einen Aufsatz über Dr. Jussuf Ibrahim. Ibrahim lebte seit etwa 1900 im Gebiet des damaligen Deutschen Reiches. Er studierte in München Medizin und war danach als Arzt im Deutschen Reich tätig. Er unterstützte die NSDAP, wollte sogar selbst Mitglied werden, wurde aber aufgrund seines ausländischen Vaters, der aus Ägypten stammte, nicht angenommen. Seine Mutter war Deutsche. Und auch, wenn Ibrahim nicht der NSDAP beitreten durfte, soll er bei den Nazis ziemlich hoch angesehen gewesen sein.
Ibrahim war dann, auch, ohne NSDAP-Mitglied zu sein, in die Verbrechen der Nationalsozialisten involviert, als Arzt vorrangig in die "Euthanasie"-Morde an Kranken und Behinderten. Er war damals einer der führenden Kinderärzte und war noch zu DDR-Zeiten hoch anerkannt und erhielt verschiedene Auszeichnungen, bis man letztendlich in den 1980er Jahren seine beruflichen Hintergründe, die er nach Ende des Nationalsozialismus verheimlicht hatte, wiederentdeckte. Die Auszeichnungen wurden ihm dann nachträglich wieder aberkannt, und auch seine Ehrenbürgerschaft, die er in Jena erhalten hatte, wurde ihm wieder entzogen.
Verwunderlich dürfte das Ganze für die Leute sein, die bisher vereinfacht dachten, die Nazis hätten halt alle Ausländer gehasst und entweder eingesperrt oder aber außer Landes vertrieben. So einfach war es allerdings nicht, und es gab ja auch Bündnisse mit anderen Ländern. Man denke beispielsweise an das Bündnis zwischen Nazi-Deutschland und Japan, das bis 1945 bestand. Insgesamt lässt sich sagen, dass auch während der NS-Herrschaft noch viele Ausländer im damaligen Herrschaftsgebiet lebten. Und dass einige offenbar nicht nur geduldet waren, sondern auch angesehen waren und hohe Posten bekleideten.
Weiß jemand von Euch mehr darüber oder kann vielleicht gute Literatur zum Thema empfehlen? Aus welchen Ländern stammten die Nicht-Deutschen, die damals im Deutschen Reich lebten und geduldet wurden? Wie standen die Deutschen ihnen gegenüber? Gab es vielleicht sogar Nicht-Deutsche, die entgegen der Partei-Regeln in die NSDAP aufgenommen wurden? Wie begründete man das, und wer waren diese Leute?
Den Nazis ging es in erster Linie nicht darum aus welchem Land ein Mensch kam, sondern sie bewerteten ihn nach ihrer Rassenideologie. Dementsprechend sahen sie die Bevölkerung mancher Länder als minderwertig an, andere hingegen nicht.
Nur weil du Ausländer warst, war das noch lange kein Grund für die Nazis dich einzusperren oder des Landes zu verweisen. Alles was für die Nazis als "arisch" galt, war durchaus willkommen, egal aus welchem Land. So rekrutierten sie gerade in den, während des Krieges besetzten Gebieten, wie z.B. Frankreich, Belgien, Holland oder auch Norwegen Soldaten für Wehrmacht oder SS. Außerdem riefen sie auch alle "Volksdeutschen", also die Nachfahren deutscher Auswanderer im Ausland, z.B. in Amerika, auf nach Deutschland zu kommen und sich ihnen anzuschließen.
Osteuropäische slawische Völker wurden von den Nazis als minderwertig angesehen, weshalb diese auch sehr stark verfolgt wurden. An Polen, Russen, Ukrainer etc. kam es während des Krieges auch zu schlimmen Kriegsverbrechen. Trotzdem gab es aus strategischen Überlegungen auch dort Partnerschaften. So gab es z.B. SS-Freiwilligeneinheiten aus Ukrainern, die sich lieber den Nazis anschlossen, als für Stalin zu kämpfen.
So einfach war das mit der "Rassenlehre" aber eben auch nicht. Viele glauben heute, es ginge um die Überlegenheit irgendeiner "weißen Rasse". Im Grunde war die Einteilung aber völlig willkürlich. Nachdem das Bündnis mit Japan geschlossen wurde, wurden die Japaner ganz einfach mal als "gleichwertige Rasse" bezeichnet. Und Italiener und Deutsche beispielsweise galten an sich auch als unterschiedliche "Rassen", was als bedeutungslos definiert wurde, nachdem man sich verbündete.
Wobei man jetzt nicht einmal sagen könnte, dass alle Deutschen einfach nur als "Arier" bezeichnet worden wären. Da gibt es noch viele weitere Bezeichnungen, die "nordische Rasse", die "fälische Rasse", und noch verschiedene andere, die als "deutsche Rassen" zusammengefasst worden sind, und ähnlicher Blödsinn. Das ist eine riesige Pseudowissenschaft, die ausgelegt wurde, wie es gerade passte.
Es gab darüber hinaus sogar noch den Begriff des "Ehren-Ariers". Den konnte im Prinzip jeder, der den Nazis lieb war, bekommen, unabhängig seiner "Rasse", Religion und Hautfarbe. Wurde beispielsweise jemand, der Jude war, als "Ehren-Arier" angesehen, hat man ihn verschont. Das waren dann aber auch wirklich nur solche Leute, die der NSDAP wirklich nahe standen.
Interessieren würde mich eher, welche Nicht-Deutschen damals weiterhin im Deutschen Reich lebten, also woher sie ursprünglich stammten. Ebenso, was sie eigentlich von der Nazi-Herrschaft hielten. Und wie die deutsche Bevölkerung darauf reagierte. Offizielle Ideologie und das Denken und Handeln der normalen Bevölkerung können ja auseinandergehen.
Ich habe da nun nicht so ein prächtiges Beispiel aber der farbige Kinderstar Marie Nejar (Künstlername Leila Negra) fällt mir da sofort ein. Sie hatte kreolische und ghanaische Wurzeln und war Goebbels Liebling. Sie ist Jahrgang 1930 und spielte mit Hans Albers im „Münchhausen“ oder mit Hans Rühmann „Quax in Afrika“. Sie sang auch so ähnlich wie Heintje als Knabe und auch später nach dem Krieg mit Peter Alexander und anderen Leuten.
Sicherlich gab es da keine tragenden Rolle, sie war halt nur das Buschkind dass die Palmen zur Kühlung wedeln musste. Aber dass Goebbels ihrer Schule anwies sie vom Unterricht freizustellen halte ich schon für bemerkenswert.
Sie hatte übrigens auch ein schönes Buch geschrieben falls es dich interessiert. Es ist vielleicht auch nicht so langweilig wie über einen Politiker (Marie Nejar: Mach nicht so traurige Augen, weil du ein Negerlein bist: meine Jugend im Dritten Reich (aufgeschrieben von Regina Carstensen). Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2007, ISBN 978-3-499-62240-3).
Danke für den Buch-Tipp! Der ist wirklich sehr interessant. Ich werde mir das mal genauer ansehen. Dass eine dunkelhäutige Person mit afrikanischen Vorfahren damals so beliebt war, während man die "negroide Rasse" in pseudowissenschaftlichen "Rassenlehre"-Büchern als minderwertig und verblödet darstellte, finde ich wirklich sehr widersprüchlich und seltsam.
Auch noch eine kleine Anmerkung, passend zum Hauptthema: Ich habe gerade gestern davon gelesen, dass in den 1920er und 1930er Jahren wohl in Hamburg sehr viele Chinesen gelebt haben sollen. Es soll dort sogar eine richtige Chinatown gegeben haben, wie es sie heute teilweise zum Beispiel in den USA noch gibt, aber nirgends mehr in ganz Deutschland. In der Literatur heißt es dann aber, die Chinesen hätten in der NS-Zeit aus Gründen "rassischer Verfolgung" das Land verlassen müssen. Weiß jemand mehr dazu? Andere Asiaten wie beispielsweise Japaner waren ja damals nicht verfolgt worden.
Gerade was die Nazis betrifft, so herrscht viel Halbwissen in unserer Gesellschaft. Es war ein menschenverachtendes System, ganz klar. Sie haben über 6 Millionen Juden umgebracht, Zigeuner und andere Menschen. Sie haben Europa zerstört. All das wissen die meisten Menschen.
Aber was ihre Rassenideologie betrifft, so ist es doch etwas anders als die meisten denken. Es wird immer so dargestellt, dass die Nazis nur blonde und blauäugige Menschen als „lebenswert“ betrachteten. So einfach ist das nicht. Die Nazis hatten eine Art esoterischen Hintergrund. Dieser Hintergrund geht auf die obskuren Ideen einiger Menschen aus dem 19. Jahrhundert zurück. Es gibt eine Menge seriöser Bücher dazu. Kern dieser ganzen seltsamen Theorien ist, dass es früher einige Grundrassen gab. Und es gab edle und angeblich weniger edle Rassen. Man dachte, dass es nachkommen der Bewohner von Atlantis gibt, und direkte Nachfahren von Affen. Also alles sehr seltsam. Die sogenannten Arier seien die höchste Rasse und eine Abspaltung der Arier waren angeblich die Nordischen Menschen, von denen dann die Deutschen die besten seien.
In einem waren sich diese dummen Menschen aber einig: Die Juden seien die schlechteste Rasse. Warum das so ist, darüber gibt es auch zahllose Bücher. Das ist auch kleine Erfindung der Nazis. Was Ausländer betrifft, so gab es da sehr große Differenzierungen. Es hing von der Rasse ab. Oder besser gesagt der angenommenen Rasse, denn der Begriff ist wissenschaftlich gesehen bei Menschen vollkommen hirnrissig, wie genetische Untersuchungen zeigen. Ein Iraner galt als edel, weil die Iraner ja angeblich Arier sind, und ein Russe galt als minderwertig. Alleine daran sieht man schon den Irrsinn. Es gibt blonde und blauäugige Russen, aber das wollte Niemand wahrhaben, denn es waren ja Slawen.
Was kaum Jemand weiß: Himmler, als Reichsführer SS bekannt, hatte gegen Ende des Krieges Personalnot. Seine blonden Arier waren ja beinahe alle gefallen. Er bildete Einsatztruppen, die vornehmlich aus muslimischen Kämpfern bestanden. Das waren Iraker oder Türken, genau weiß ich es nicht. Und er lobte sie in höchsten Tönen!
Man sieht: Selbst in seiner Unmenschlichkeit war das Nazi-Regime nicht stringent. Frei nach dem Motto „Wer Jude ist, Bestimme ich“ ging es nur darum, Macht zu haben, zu erhalten und die Menschen in die Irre zu leiten. Im Übrigen war Hitler ja selbst Ausländer.
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