Wie kann man die Bedeutung des Vampirs interpretieren?

vom 01.09.2014, 13:49 Uhr

Im Vampir könnte man etwa eine Gegenfigur zum Engel sehen. Während sich der Engel an der Schnittstelle zwischen der Geschichte und dem Eschaton befindet, hat der Vampir den Tod versäumt und es ist ihm mangels Sterbemöglichkeit jede Chance auf Erlösung genommen. Deswegen wird er in künstlerischen Ausdrucksformen (wie beispielsweise in Dracula) als sehr depressiv, betrübt und niedergeschlagen dargestellt. Wenn man so will, selbst an der letzten Gewissheit des Menschen, nämlich sterblich zu sein, wird mit jener Gestalt gerüttelt.

Aber der Vampir parodiert in gewisser Weise auch christliche Vorstellungen, wie zum Beispiel durch das Bluttrinken. Während sich nach christlicher Auffassung, im christlichen, euacharistischen Geschehen, der Wein zum Blut Christi verwandelt und eine Vereinigung mit Christi angestrebt wird, strebt auch der Vampir durch das Bluttrinken eine Vereinigung an, allerdings parasitär. Christus ist dem Glauben nach, für die Menschen gestorben, um sie von ihren Sünden zu befreien. Der Vampir braucht das Blut, um seine eigenen Bedürfnisse zu stillen.

Im eucharistischen Verzehr des „Leibes Christi“ bzw im Trinken „seines Blutes“ durch die wahlweise von den Gläubigen in Anspruch genommene Kelchkommunion, wird man nach christlicher Auffassung, in eine höhere Ebene, der Wirklichkeit Christi hineingenommen und dabei von weltlichen, irdischen Konnotationen befreit beziehungsweise erlöst. Der Vampir hingegen bleibt nach seinem Bluttrinken seinem Schattendasein, ohne jegliche Aussicht auf Erlösung verhaftet. Oder was denkt Ihr, welche Bedeutung der Gestalt des Vampirs zugrundeliegt?

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Ich denke, dass bei dem Mythos vom bluttrinkenden Vampir wie bei vielen Sagengestalten sich alle möglichen Ideen und Vorstellungen, wie sie seit Jahrhunderten im Volksglauben existieren, mischen.

Beispielsweise gibt es ja viele Krankheiten wie Tuberkulose oder Krebs, die bis vor relativ kurzer Zeit noch meistens zum Tod nach längerem Siechtum geführt haben. Da gerade auf dem Land auch die Ursachen und eventuelle Behandlungsmöglichkeiten dieser Krankheiten gänzlich unbekannt waren, haben sich die Menschen eben Ursachen zusammengereimt. Auch die Übertragung von Seuchen war ein Buch mit sieben Siegeln. Wenn also immer mehr Freunde oder Verwandten immer bleicher und hinfälliger werden und kein Mittel dagegen hilft, kann man sich als Ursache schon böse Geister vorstellen, die ihnen die Lebenskraft aus den Adern saugen.

Gruseligerweise gehört es zum Verwesungsprozess eines Toten darüber hinaus dazu, dass der Körper durch Verwesungsgase anschwillt und die Haut sich schält und rosig wird. Wenn man einen unter Vampirverdacht stehenden Verstorbenen exhumiert und der Tote sieht auffällig wohlgenährt und blühend aus, oftmals besser als zu Lebzeiten, schürt das den Aberglauben und auch die Massenhysterie noch zusätzlich.

Verworrene religiöse Vorstellungen sind sicher auch noch dazu gekommen. Auch die Rolle der Kunst und Literatur, die den Vampir-Mythos schon im 19. Jahrhundert aufgegriffen, gesellschaftstauglich gemacht und romantifiziert hat, sollte nicht unterschätzt werden. Die Vorstellung, unsterblich und ewig jung durch die Nächte zu geistern (oder nur bei bedecktem Himmel das Haus zu verlassen) ist kulturübergreifend faszinierend und regt bis heute die Fantasie der eher düster-romantischen Gemüter an. Der Original-Mythos war erheblich unappetitlicher.

» Gerbera » Beiträge: 11335 » Talkpoints: 53,75 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


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