Als Partner immer nur Halt sein - auf Dauer möglich?

Ich habe heute das Buch einer Frau gelesen, die als Kind missbraucht wurde. Sie hat dann im Laufe der Zeit einen sehr verständnisvollen Mann gefunden, bei dem sie immer betonte, dass er ihr Halt gibt und eben so verständnisvoll ist. Sagen wir mal, dass er ihr immer nur Halt gibt. Kann das auf Dauer gut gehen? Kann so eine Beziehung funktionieren, bei der man immer Verständnis haben muss und Halt gibt?

Ich kenne selbst jemand im Bekanntenkreis dessen Frau seit mehreren Jahren psychisch erkrankt ist. Wenn er abends nach Hause kommt, kann die Welt in Ordnung sein oder die Hütte brennt quasi. Er arbeitet Vollzeit und auch ein Schulkind ist noch im Haus, das aber auch noch Oma und Opa als Anlaufstelle hat und hin und wieder quasi in eine Selbsthilfegruppe für Kinder in so einer Situation geht.

Ich denke es ist einfach wichtig, dass man sich nicht selbst vergisst und sich Freiräume nimmt, damit man nicht von den Problemen des Partners aufgefressen wird. Das ist im Grunde das Gleiche als wenn man einen Angehörigen pflegt. Das darf einfach kein 24 Stunden Job werden.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass das funktioniert. Ich bin nun kein Experte in Sachen Beziehungen, aber ich denke, eine Beziehung sollte aus Geben und Nehmen bestehen. Außerdem denke ich, dass jeder Mensch auch mal schwach ist und dann seinerseits jemanden braucht, an den man sich anlehnen kann, der einem mit Verständnis begegnet und einen hält, wenn man zu fallen droht.

Natürlich kann man nun für jemanden die starke Schulter sein und sich dann eben jemand anderen suchen, der dann für einen selbst der Fels in der Brandung ist. In Freundschaften ist das sicherlich oft so -wenn man nicht gerade zu den Menschen gehört, die nur sehr wenige aber dafür intensive Freundschaften führen. Es mag auch ein befriedigendes Gefühl sein, seinen Halt außerhalb der Beziehung zu finden. Ich glaube aber, dass der freundschaftliche Halt eine ganz andere Dynamik hat, als der partnerschaftliche. Und ich glaube auch, dass es zu einer gesunden Beziehung gehört, sich gegenseitig auffangen zu können, da andernfalls eine ungesunde Imbalance entsteht, die auf Dauer nicht erfüllt.

Mal abgesehen von einzelnen Charakteren, die so gestrickt sind, dass sie immer Verständnis haben und Halt geben können, ohne dies auch mal vom Partner zu erwarten oder zu brauchen, gehe ich mal davon aus, dass die breite Masse eben nicht damit klar käme, eigene Schwächen und Bedürfnisse hinten an zu stellen und dass so eine Beziehung auf kurz oder lang in die Brüche gehen würde.

Warum sollte das nicht funktionieren? Es gibt doch auch Menschen, die es genießen, wenn jemand materiell oder emotional von ihnen abhängig ist, weil ihnen das Macht über die andere Person verleiht. Ich kannte mal einen Mann, der es sich absolut nicht vorstellen konnte in einer gleichberechtigten Beziehung mit einer Frau zu sein. Er hat gezielt nach solchen Halt suchenden Frauen gesucht, das war seine Idealvorstellung von einer Partnerin, abhängig und devot.

Ich verurteile keine Seite in so einer Beziehung. Menschen haben nun mal verschiedene Vorlieben und verschiedene Vorstellungen was die Partnerschaft betrifft. Und wenn sich zwei Menschen treffen, deren Vorlieben sich ergänzen, ist das doch perfekt. Dass deren Vorlieben nun nicht meine Vorlieben sind ist völlig irrelevant.

Ich kann mir vorstellen, dass es sich hier um eine recht subjektive und einseitige Schilderung handelt, die in erster Linie die Sicht der Frau darstellt. Allein schon deswegen wäre ich vorsichtig bei der Beurteilung dieser Beziehung. Für die Frau ist es eben am wichtigsten, dass ihr der Partner "Halt gibt", weswegen sie diesen Aspekt hervorhebt. Vermutlich gibt es noch andere Aspekte in ihrer Beziehung wie gemeinsame Hobbys oder kompatible Charaktereigenschaften, die ebenfalls zum Gelingen beitragen.

Vielen Leuten kommt es zudem von ihrem Charakter her durchaus entgegen, wenn sie sich in einer Beziehung um den Partner oder die Partnerin kümmern können und sozusagen den starken und verlässlichen Part übernehmen. Ich bin eher für eine gleichmäßige Verteilung der Lasten, aber ebenso wie manche Leute dankbar sind, wenn man ihnen eine Stütze ist, so freuen sich eben andere, eine Stütze sein zu können. Wenn es für alle Beteiligten klappt, ist es doch eigentlich in Ordnung.

Außerdem hat es, wenn man der Typ dafür ist, durchaus auch Vorteile, wenn sich der Partner ständig Halt suchend anklammert. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihm oder ihr plötzlich ein Selbstbewusstsein wächst und die Person sich aus dem Staub macht, ist recht gering. Gerade wenn man zur Eifersucht neigt oder selber wenig Selbstwertgefühl hat, kann es bestimmt sogar ganz angenehm sein, wenn der Partner glaubt, auf einen angewiesen zu sein. Manche Leute, Männer wie Frauen, haben zudem einfach gern die Hosen an und kehren den Chef heraus. Wenn der Partner das brav hinnimmt oder sogar dankbar ist, kann das die Basis für eine funktionierende Beziehung sein.