Als Laie jemanden therapieren

vom 15.06.2014, 11:32 Uhr

Mein Partner hat ein paar psychische Probleme, die zu einem großen Teil aus seiner Kindheit rühren. Sein Vater hat ihn schon früh im Stich gelassen, war höchstens mal sporadisch da und dann meist betrunken. Zudem hat seine Mutter schon früh eine Tablettensucht entwickelt und er wurde Zeuge davon, wie sie sich den Kopf an der Wand blutig schlug, wie sie nie zum Arzt ging, trotz massiver Kopfschmerzen und wie sie die Wut auf den Partner, an ihrem Sohn ausgelassen hat.

Die Auswirkungen die ich an meinem Partner heute sehe sind vielfältig. Zum einem ist er ein sehr isolierter Mensch, er ist nicht zugänglich für Freundschaften oder ähnliches. Das fatale ist aber, dass Menschen sich nach seiner Freundschaft sehnen, denn er ist freundlich, gebildet und überaus sozial. Er lässt aber keine Bindungen zu, außer zu mir, ich bin die einzige Person, die wirklich Zugang zu seinem Inneren hat.

Ich habe schon darüber nachgedacht, ob eine Therapie für meinen Partner sinnvoll wäre, doch er selbst sieht keine Problematik und leidet auch (nach eigener Aussage) nicht unter der Situation. Ich hingegen sehe teilweise ein Problem, da ich auch einen ausgeprägten Kinderwunsch habe, er aber aus Angst davor, dem Kind kein guter Vater sein zu können, ein Baby rigoros ablehnt. Ich glaube einfach, er nimmt sich selbst bereichernde Möglichkeiten in seinem Leben, basierend auf dem, was er in der Vergangenheit erlebt hat.

Doch nun zum Kern meiner Frage, hat man als Laie die Chance, ein psychologisches Traumata zu therapieren? Mir fällt oft auf, dass wenn ich mit meinem Partner rede, wenn er sich dann öffnet und von früher erzählt, er hinterher sehr erleichtert wirkt. Ich versuche im Gegenzug immer, die in solchen Gesprächen aufgegriffenen Themen, nicht in unseren Alltag einfließen zu lassen, so dass tatsächlich ein psychotherapeutischer Charakter entsteht.

Denkt ihr, dass man als Laie eine Therapie durchführen kann? Gibt es möglicherweise sogar Buchmaterial, wie man eine Traumabewältigung durchführt? Es gibt doch mittlerweile so viele Do-it-Yourself Anleitungen und Strategien, die bei Depressionen oder Angststörungen eingesetzt werden, dass es das vielleicht auch für Traumata gibt?

» Jess0708 » Beiträge: 715 » Talkpoints: 47,47 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Ich muss ehrlich sagen, ich würde dir raten die Finger davon zu lassen, den Partner selbst therapieren zu wollen. Ratgeber hin oder her, aber Psychologen und Psychotherapeuten haben nicht umsonst ein Studium und eben das nötige Fachwissen.

Ich denke auch, dass jeder Fall, jede Geschichte anders ist und jeder Mensch auf eine gewisse, ihm eigene Art und Weise therapiert werden muss. Da hilft einem ein Ratgeber auch nicht weiter. Erschwerend kommt hinzu, dass du eben keine neutrale Persönlichkeit bist und dir doch das eine oder andere sehr zu Herzen nehmen wirst, auf Dauer. Das heißt wiederum, dass du dir mit der Zeit selbst schaden wirst und das ist keine gute Grundlage für eine gesunde Beziehung.

Animiere deinen Partner lieber dazu, sich Hilfe zu suchen und Hilfe anzunehmen, statt Selbstversuche zu starten. Er selbst muss zudem erkennen, dass er psychische Probleme hat und muss sich mit diesen auseinander setzen wollen, ansonsten bringt das alles überhaupt nichts. Dies nennt man Hilfe zur Selbsthilfe. Vielleicht kannst du dir ein Forum, oder Menschen suchen, die ähnliches erleben, oder erlebt haben, oder die ähnliche Probleme, wie dein Partner haben. Sie werden dir sicher besser weiterhelfen können und du wirst viel neues erfahren.

» scorpion24 » Beiträge: 207 » Talkpoints: 4,32 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Er hat aber kein Trauma. Ein Trauma ist ein einzelnes, sehr belastendes Ereignis, dass dann immer wieder gedanklich zurückkehrt. Ein Trauma wäre etwa ein schwerer Unfall, ein Überfall, ein Krieg usw. Bei einem Trauma hat jemand Flashbacks, d.h. belastende Erinnerungsstücke tauchen plötzlich in Gedanken auf und führen zu Panikattacken und jemand ist permanent unruhig und angespannt.

Was er hat, ist eine schlechte Sozialisation, keine optimale Kindheit, teils vernachlässigt usw. Das hat nicht das Ausmaß eines Traumas, es ist eben nur blöd gelaufen. D.h sein Charakter wurde in einem langen Prozess dazu geprägt, dass er sich nicht auf die Eltern verlassen kann oder auf andere Menschen generell. Das ist dann eher eine Persönlichkeitsstörung, wobei auch hier die Frage wäre, ob das so stark ausgeprägt ist, dass man von einer Störung sprechen kann. Oder anders ausgedrückt, es hat eben seine Persönlichkeit beeinflusst und das kann man nicht mehr rückgängig machen. Das ist eben so, das bleibt auch so, der Charakter ändert sich im Erwachsenenalter nicht mehr.

Bei einer psychischen Störung oder einem Trauma hat man ja einen vom Charakter her gesunden Menschen, der eine Störung entwickelt hat, genauso wie beispielsweise ein gesunder Mensch eine körperliche Krankheit hat und man therapiert dann diese Krankheit. Aber wenn der komplette Charakter durch eine besondere Situation des Aufwachsend anders ist als beim Durchschnitt, dann lässt sich das nicht ändern.

Therapiemanuale findest du auch auf Amazon, da musst du nur mal den Begriff Therapiemanual eingeben. Und ich denke auch, dass man als Laie mit so einem Buch, wenn man es denn versteht, auch durchaus gewisse Dinge therapieren kann. Denn im Endeffekt ist eine Therapie nur eine Aneinanderreihung von Übungen, die eben ein verändertes Handeln oder Denken mit sich bringen sollen. Aber das verändert nicht die Persönlichkeit.

Ich finde, man sollte es dann akzeptieren, wenn jemand keine Kinder will. Wenn man sich als Frau unbedingt welche wünscht, dann muss man sich jemanden suchen, der auch Kinder möchte und sollte sich nicht an jemanden binden, der Kinder konsequent ablehnt - egal aus welchem Grund. Es gibt nun einmal Menschen, die keine Kinder wollen.

Er kennt sich doch selber am besten, vielleicht hat er recht. Vielleicht würde er wirklich damit überlastet sein, sich um ein Kind kümmern zu müssen oder würde in einer stark belastenden Situation auch mal unangemessen reagieren. Das weiß man als Außenstehender ja nicht, aber er wird sich besser als jeder andere einschätzen können.

Wenn ihm einfache Gespräche helfen, dann ist es doch gut so. Gespräche helfen vielen, dann mach das weiter. Das Gespräch allein ist aber keine Therapie und eine Therapie wirst du mit ihm nicht machen können, weil er kein Trauma hat, sondern der ganze Charakter durch das Aufwachsen geprägt wurde.

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Ich gehe ganz klar davon aus, dass man das als Laie nicht kann. Man kann sich das Ganze zwar anhören, aber man macht ja in einer Therapie weitaus mehr. Ich denke, dass er da ganz dringend mal Fachpersonal aufsuchen sollte. Wenn er selber das nicht einsieht, kannst du ja durchaus sagen, dass dir das wichtig wäre, wegen deinem Kinderwunsch. Wichtig wäre es auf jeden Fall und wenn er erst mal da ist, wird das vielleicht auch etwas.

Man muss ja auch mal sehen, dass diese Menschen lange dafür studiert haben, wenn das jeder könnte, könnte man sich das Studium ja sparen. Versteh mich nicht falsch, es ist gut dass du ihm zuhörst, aber das allein bringt ihm ja nur bedingt etwas.

Benutzeravatar

» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Eine Therapie würde ich einem Laien nicht unbedingt zutrauen. Dass eine gute Beziehung einem Menschen weiter helfen kann, steht sicher außer Frage. Wenn man endlich ein Leben führen kann, wie man es sich immer gewünscht hat, hilft das sicher über viele Verletzungen hinweg und du kannst ihm sicher auch viel Halt geben.

Aber als Therapeut muss man denke ich, auch mal unbequem werden und den Patienten auch mal in Situationen bringen, die unangenehm sind und ihn wachsen lassen. Ich denke, dass man die Rolle als Partner, der Stütze ist, und dem Therapeuten nicht unter einen Hut bringen kann. Zumindest nicht ohne Abstriche. Zudem gibt es vielleicht auch Dinge, die man auch nicht unbedingt dem Partner erzählen möchte, und da ist ein Therapeut vielleicht der bessere Gesprächspartner, auch wegen der Schweigepflicht.

Selbsthilfebücher mag es schon geben. Sicherlich auch gute. Aber ich gehe davon aus, dass man als Lebensgefährte ein wenig betriebsblind ist, und manche Dinge im Verhalten des Partners anders beurteilt, als ein unbeteiligter Fremder, der professionelle Distanz zur Person des Betroffenen halten kann. Und es ist ja völlig richtig, wenn du in deinen Partner verliebt bist und ihn auch mit einer mehr oder weniger rosaroten Brille siehst. Aber das könnte theoretisch schon ausreichen, um dir den Blick zu verändern, so dass du manches vielleicht nicht nüchtern genug siehst. Das liegt eben in der Natur von Lebensgefährten. Versteh das nicht als Kritik.

Ratgeber würde ich insofern nur konsultieren, wie man als Partner solche Lebensgefährten mit besonderen Bedürfnissen besser unterstützen kann. Also Ratgeber, die auf deine Rolle als Lebensgefährte zugeschnitten sind. Denn letztlich kann man eine passende Therapie auch nur dann anfangen, wenn man nach einer fundierten Untersuchung genau weiß, wo die Probleme alle liegen und welcher Art sie wirklich exakt sind. Solche Diagnosen würde ich mir als Laie auch nicht zutrauen, auch wenn ich im Lehramtsstudium doch das eine oder andere Psychologieseminar besucht habe.

Zum Kinderwunsch: Viele Männer, auch aus intakten Elternhäusern, haben Schwierigkeiten, sich mit der Idee abzufinden, erwachsen zu werden und Vater zu werden. Bei manchen legt sich das dann mit zunehmendem Alter. Fragt sich also, in welchem Alter dein Partner gerade ist? Vielleicht braucht er auch einfach noch ein paar Jahre Zeit, zu sich selbst zu finden? Vielleicht aber kann man ihn ja sanft überzeugen, dass er zumindest für diesen Bereich des Lebens eine Therapie beginnt, die gezielt an seinem Selbstbild als künftiger Vater arbeiten soll und ihm zeigt, wie er sich über erlebte Muster willentlich hinweg setzen kann. Aber da kann man wenig konkret raten, wenn man euch nicht kennt.

Benutzeravatar

» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge


Suche deinem Partner Hilfe, auch wenn er das zuerst ablehnt. Ich glaube nicht das ihm das Vergangene noch so beeinflusst, er wird sicherlich ab und die Zeit brauchen in der er mit dir darüber spricht. Das ist aber kein Trauma an sich, er arbeitet ab und zu mal die Situation auf. Versuch dich nicht selber daran, du bist nicht ausgebildet darin. Du könntest es unabsichtlich schlimmer machen, so das dein Partner wirklich Hilfe in Anspruch nehmen muss.

Benutzeravatar

» 19kitty90 » Beiträge: 573 » Talkpoints: 2,58 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Ich habe irgendwie den Verdacht, dass du deinen Partner nur deswegen therapieren möchtest, weil du denkst, dass er nach einer "Heilung" auf einmal doch Kinder haben möchte und du einen ausgeprägten Kinderwunsch hast. Ich denke nicht, dass die Gleichung so aufgeht.

Wenn du deinen Kinderwunsch in dieser Beziehung nicht erfüllen kannst und er dir so wichtig ist, dann solltest du dir einen anderen Partner suchen. Lass aber die Finger davon, als Laie andere Menschen zu therapieren, das kann nur schief gehen.

Benutzeravatar

» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^