Was zählt alles zu verminderter Zurechnungsfähigkeit?

vom 13.06.2014, 13:44 Uhr

Hier in der Gegend wurde eine Frau von einem betrunkenen Mann belästigt. Die Anklage wurde durch Zahlung einer Spende (wenn ich das richtig verstanden habe) fallen gelassen, weil eine verminderte Zurechnungsfähigkeit festgestellt wurde. Ich kann sowas irgendwie nicht verstehen, weil ja der Mensch selber dafür verantwortlich ist, wenn man trinkt. Ich kann mich doch auch nicht betrinken und mich ins Auto setzen und einen Unfall bauen und auf verminderte Zurechnungsfähigkeit plädieren.

Auch wenn jemand geistig nicht so ganz auf der Höhe ist, wird schon mal von einer verminderten Zurechnungsfähigkeit gesprochen. Was aber zählt alles zu einer verminderten Zurechnungsfähigkeit und wie wird diese festgestellt? Ist denn der Einfluss durch Alkohol oder Drogen wirklich schon eine verminderte Zurechnungsfähigkeit und warum ist das so?

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge



Also zunächst mal lautet der Begriff korrekt "Schuldunfähigkeit". Laut Paragraf 20 des Strafgesetzbuches gilt jemand als schuldunfähig, wenn der Täter unfähig ist, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Oder wenn er unfähig ist, nach dieser Unterscheidung zu handeln. Dazu zählen krankhafte seelische Störungen, "Schwachsinn und andere schwere seelische Abartigkeiten" oder eben auch tiefgreifende Bewusstseinsstörungen.

Sowohl Bewusstseinsstörungen als auch seelische Störungen kann man durch Alkohol und Drogen herbeiführen. Unter letzterem versteht man dann beispielsweise Psychosen. Dabei ist die Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt wichtig. Bei 2,0 Promille, beziehungsweise bei 2,2 Promille bei Tötungsdelikten beginnt die verminderte Schuldfähigkeit, bei 3,0, beziehungsweise 3,3 Promille, beginnt die vollständige Schuldunfähigkeit. Aber das sind wohl nur Richtwerte und der Blutalkohol wird ja auch immer erst nach der Tat gemessen und dann hochgerechnet. Da ist also ein wenig Spielraum.

Je nachdem kann eine Strafe wegen vollständiger Schuldunfähigkeit ganz ausgesetzt oder wegen verminderter Schuldfähigkeit heruntergesetzt werden. Statt beispielsweise Lebenslang bekommt man dann eine Freiheitsstrafe von wenigstens drei Jahren. Das ist in § 49 geregelt.

Es geht dabei aber einzig allein um die Schuldfähigkeit, die in einem Strafverfahren festgestellt wird. Daneben gibt es noch die Deliktfähigkeit, die in einem Zivilverfahren festgestellt wird. Während viele psychische Erkrankungen ebenso wie zur Schuldunfähigkeit auch zur Deliktunfähigkeit führen, ist das bei bewusstseinsverändernden Mitteln nicht der Fall. Auch im betrunkenen Zustand bleibt man immer deliktfähig. Somit kann man zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt werden.

So viel zu den Fakten. Moralisch kann ich deine Bedenken natürlich nachvollziehen. Meist wird der Alkohol ganz freiwillig genommen, von Erwachsenen. Hätten sie es gelassen, wäre es gar nicht dazu gekommen, dass sie nicht mehr zwischen Unrecht und Recht unterscheiden konnten oder sich nicht mehr kontrollieren konnten. Dennoch sind sie dann in einem Zustand, in dem sie nicht mehr klar handeln können.

Bei Drogen wird das noch deutlicher als bei Alkohol. Wenn man eine Psychose entwickelt, sich verfolgt und bedroht fühlt, dreht man durch. Lässt die Wirkung der Drogen nach, sieht man die Sache anders und es tut einem leid. Man war einfach nicht man selbst. Selbst, wenn man sich angestrengt hätte, wäre man nicht in der Lage gewesen, normal zu denken. Weil Alkohol und Drogen eben Auswirkungen auf das Gehirn haben.

Es ist also egal, wie dieser Zustand erreicht wurde. Ob durch einen Schlag auf den Kopf oder eben selbst herbeigeführt durch Saufen und Drogennehmen. Letztlich ist nur wichtig, dass derjenige in einem Zustand war, der es ihm nicht möglich machte, eine fundierte Entscheidung zu treffen und die Konsequenzen seines Handelns abzusehen. Er konnte es nicht, selbst, wenn er gewollt hätte. Somit war er nicht schuldfähig.

Das ist aber doch dennoch kein Freifahrtschein. Wenn man betrunken einen Unfall verursacht, wird man eventuell als schuldunfähig eingestuft. Man kommt also nicht ins Gefängnis. Aber man muss dennoch Schadensersatz zahlen und es hat natürlich auch Auswirkungen auf den Führerschein. Außerdem kann, wenn davon ausgegangen werden muss, dass derjenige eine Gefahr darstellt und im Rausch weitere Straftaten begehen wird, auch eine Einweisung in die Psychiatrie oder in eine Entziehungsanstalt stattfinden.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


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